Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899.

Bild:
<< vorherige Seite

XIII. Anfang und Ende der Welt.
Theilen desselben umgekehrt alte, erkaltete und abgestorbene
Weltkörper durch Zusammenstoß wieder zerstäubt und in diffuse
Nebelmassen aufgelöst*).

Anfang und Ende der Welt. Fast alle älteren und
neueren Kosmogenien und so auch die meisten, die sich an Kant
und Laplace anschlossen, gingen von der herrschenden Ansicht
aus, daß die Welt einen Anfang gehabt habe. So hätte sich
"im Anfang" nach einer vielverbreiteten Form der "Nebular-
Hypothese" ursprünglich ein ungeheurer Nebelball aus äußerst
dünner und leichter Materie gebildet, und in einem bestimmten
Zeitpunkte ("vor unendlich langer Zeit") habe in diesem eine
Rotations-Bewegung angefangen. Ist der "erste Anfang" dieser
kosmogenen Bewegung erst einmal gegeben, so lassen sich dann
nach jenen mechanischen Principien die weiteren Vorgänge in der
Bildung der Weltkörper, der Sonderung der Planeten-Systeme
u. s. w. sicher ableiten und mathematisch begründen. Dieser
erste "Ursprung der Bewegung" ist das zweite "Welt-
räthsel" von Du Bois-Reymond; er erklärt dasselbe für
transcendent. Auch viele andere Naturforscher und Philo-
sophen kommen um diese Schwierigkeit nicht herum und resigniren
mit dem Geständniß, daß man hier einen ersten "übernatürlichen
Anstoß", also ein "Wunder" annehmen müsse.

Nach unserer Ansicht wird dieses "zweite Welträthsel" durch
die Annahme gelöst, daß die Bewegung ebenso eine immanente
und ursprüngliche Eigenschaft der Substanz ist wie die
Empfindung (S. 259). Die Berechtigung zu dieser monistischen
Annahme finden wir erstens im Substanz-Gesetz und zweitens
in den großen Fortschritten, welche die Astronomie und Physik
in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gemacht haben.
Durch die Spektral-Analyse von Bunsen und Kirch-



*) Zehnder, Die Mechanik des Weltalls. 1897.

XIII. Anfang und Ende der Welt.
Theilen desſelben umgekehrt alte, erkaltete und abgeſtorbene
Weltkörper durch Zuſammenſtoß wieder zerſtäubt und in diffuſe
Nebelmaſſen aufgelöſt*).

Anfang und Ende der Welt. Faſt alle älteren und
neueren Kosmogenien und ſo auch die meiſten, die ſich an Kant
und Laplace anſchloſſen, gingen von der herrſchenden Anſicht
aus, daß die Welt einen Anfang gehabt habe. So hätte ſich
„im Anfang“ nach einer vielverbreiteten Form der „Nebular-
Hypotheſe“ urſprünglich ein ungeheurer Nebelball aus äußerſt
dünner und leichter Materie gebildet, und in einem beſtimmten
Zeitpunkte („vor unendlich langer Zeit“) habe in dieſem eine
Rotations-Bewegung angefangen. Iſt der „erſte Anfang“ dieſer
kosmogenen Bewegung erſt einmal gegeben, ſo laſſen ſich dann
nach jenen mechaniſchen Principien die weiteren Vorgänge in der
Bildung der Weltkörper, der Sonderung der Planeten-Syſteme
u. ſ. w. ſicher ableiten und mathematiſch begründen. Dieſer
erſte „Urſprung der Bewegung“ iſt das zweite „Welt-
räthſel“ von Du Bois-Reymond; er erklärt dasſelbe für
transcendent. Auch viele andere Naturforſcher und Philo-
ſophen kommen um dieſe Schwierigkeit nicht herum und reſigniren
mit dem Geſtändniß, daß man hier einen erſten „übernatürlichen
Anſtoß“, alſo ein „Wunder“ annehmen müſſe.

Nach unſerer Anſicht wird dieſes „zweite Welträthſel“ durch
die Annahme gelöſt, daß die Bewegung ebenſo eine immanente
und urſprüngliche Eigenſchaft der Subſtanz iſt wie die
Empfindung (S. 259). Die Berechtigung zu dieſer moniſtiſchen
Annahme finden wir erſtens im Subſtanz-Geſetz und zweitens
in den großen Fortſchritten, welche die Aſtronomie und Phyſik
in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gemacht haben.
Durch die Spektral-Analyſe von Bunſen und Kirch-



*) Zehnder, Die Mechanik des Weltalls. 1897.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0295" n="279"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">XIII.</hi> Anfang und Ende der Welt.</fw><lb/>
Theilen des&#x017F;elben umgekehrt alte, erkaltete und abge&#x017F;torbene<lb/>
Weltkörper durch Zu&#x017F;ammen&#x017F;toß wieder zer&#x017F;täubt und in diffu&#x017F;e<lb/>
Nebelma&#x017F;&#x017F;en aufgelö&#x017F;t<note place="foot" n="*)"><hi rendition="#g">Zehnder,</hi> Die Mechanik des Weltalls. 1897.</note>.</p><lb/>
          <p><hi rendition="#b">Anfang und Ende der Welt.</hi> Fa&#x017F;t alle älteren und<lb/>
neueren Kosmogenien und &#x017F;o auch die mei&#x017F;ten, die &#x017F;ich an <hi rendition="#g">Kant</hi><lb/>
und <hi rendition="#g">Laplace</hi> an&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en, gingen von der herr&#x017F;chenden An&#x017F;icht<lb/>
aus, daß die Welt einen <hi rendition="#g">Anfang</hi> gehabt habe. So hätte &#x017F;ich<lb/>
&#x201E;im Anfang&#x201C; nach einer vielverbreiteten Form der &#x201E;Nebular-<lb/>
Hypothe&#x017F;e&#x201C; ur&#x017F;prünglich ein ungeheurer Nebelball aus äußer&#x017F;t<lb/>
dünner und leichter Materie gebildet, und in einem be&#x017F;timmten<lb/>
Zeitpunkte (&#x201E;vor unendlich langer Zeit&#x201C;) habe in die&#x017F;em eine<lb/>
Rotations-Bewegung angefangen. I&#x017F;t der &#x201E;er&#x017F;te Anfang&#x201C; die&#x017F;er<lb/>
kosmogenen Bewegung er&#x017F;t einmal gegeben, &#x017F;o la&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ich dann<lb/>
nach jenen mechani&#x017F;chen Principien die weiteren Vorgänge in der<lb/>
Bildung der Weltkörper, der Sonderung der Planeten-Sy&#x017F;teme<lb/>
u. &#x017F;. w. &#x017F;icher ableiten und mathemati&#x017F;ch begründen. Die&#x017F;er<lb/>
er&#x017F;te &#x201E;<hi rendition="#g">Ur&#x017F;prung der Bewegung</hi>&#x201C; i&#x017F;t das <hi rendition="#g">zweite</hi> &#x201E;Welt-<lb/>
räth&#x017F;el&#x201C; von <hi rendition="#g">Du Bois-Reymond</hi>; er erklärt das&#x017F;elbe für<lb/><hi rendition="#g">transcendent</hi>. Auch viele andere Naturfor&#x017F;cher und Philo-<lb/>
&#x017F;ophen kommen um die&#x017F;e Schwierigkeit nicht herum und re&#x017F;igniren<lb/>
mit dem Ge&#x017F;tändniß, daß man hier einen er&#x017F;ten &#x201E;übernatürlichen<lb/>
An&#x017F;toß&#x201C;, al&#x017F;o ein &#x201E;Wunder&#x201C; annehmen mü&#x017F;&#x017F;e.</p><lb/>
          <p>Nach un&#x017F;erer An&#x017F;icht wird die&#x017F;es &#x201E;zweite Welträth&#x017F;el&#x201C; durch<lb/>
die Annahme gelö&#x017F;t, daß die <hi rendition="#g">Bewegung</hi> eben&#x017F;o eine immanente<lb/>
und <hi rendition="#g">ur&#x017F;prüngliche</hi> Eigen&#x017F;chaft der Sub&#x017F;tanz i&#x017F;t wie die<lb/><hi rendition="#g">Empfindung</hi> (S. 259). Die Berechtigung zu die&#x017F;er moni&#x017F;ti&#x017F;chen<lb/>
Annahme finden wir er&#x017F;tens im Sub&#x017F;tanz-Ge&#x017F;etz und zweitens<lb/>
in den großen Fort&#x017F;chritten, welche die A&#x017F;tronomie und Phy&#x017F;ik<lb/>
in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gemacht haben.<lb/>
Durch die <hi rendition="#g">Spektral-Analy&#x017F;e</hi> von <hi rendition="#g">Bun&#x017F;en</hi> und <hi rendition="#g">Kirch-</hi><lb/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[279/0295] XIII. Anfang und Ende der Welt. Theilen desſelben umgekehrt alte, erkaltete und abgeſtorbene Weltkörper durch Zuſammenſtoß wieder zerſtäubt und in diffuſe Nebelmaſſen aufgelöſt *). Anfang und Ende der Welt. Faſt alle älteren und neueren Kosmogenien und ſo auch die meiſten, die ſich an Kant und Laplace anſchloſſen, gingen von der herrſchenden Anſicht aus, daß die Welt einen Anfang gehabt habe. So hätte ſich „im Anfang“ nach einer vielverbreiteten Form der „Nebular- Hypotheſe“ urſprünglich ein ungeheurer Nebelball aus äußerſt dünner und leichter Materie gebildet, und in einem beſtimmten Zeitpunkte („vor unendlich langer Zeit“) habe in dieſem eine Rotations-Bewegung angefangen. Iſt der „erſte Anfang“ dieſer kosmogenen Bewegung erſt einmal gegeben, ſo laſſen ſich dann nach jenen mechaniſchen Principien die weiteren Vorgänge in der Bildung der Weltkörper, der Sonderung der Planeten-Syſteme u. ſ. w. ſicher ableiten und mathematiſch begründen. Dieſer erſte „Urſprung der Bewegung“ iſt das zweite „Welt- räthſel“ von Du Bois-Reymond; er erklärt dasſelbe für transcendent. Auch viele andere Naturforſcher und Philo- ſophen kommen um dieſe Schwierigkeit nicht herum und reſigniren mit dem Geſtändniß, daß man hier einen erſten „übernatürlichen Anſtoß“, alſo ein „Wunder“ annehmen müſſe. Nach unſerer Anſicht wird dieſes „zweite Welträthſel“ durch die Annahme gelöſt, daß die Bewegung ebenſo eine immanente und urſprüngliche Eigenſchaft der Subſtanz iſt wie die Empfindung (S. 259). Die Berechtigung zu dieſer moniſtiſchen Annahme finden wir erſtens im Subſtanz-Geſetz und zweitens in den großen Fortſchritten, welche die Aſtronomie und Phyſik in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gemacht haben. Durch die Spektral-Analyſe von Bunſen und Kirch- *) Zehnder, Die Mechanik des Weltalls. 1897.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_weltraethsel_1899
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_weltraethsel_1899/295
Zitationshilfe: Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899, S. 279. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_weltraethsel_1899/295>, abgerufen am 25.11.2024.