Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899.XIII. Moderne Entwickelungslehre. auf diesem Gebiete ganz. Die Tortur und die Scheiterhaufender Inquisition sorgten dafür, daß der unbedingte Glaube an die hebräische Mythologie des Moses als definitive Antwort auf alle Schöpfungsfragen galt. Selbst diejenigen Erscheinungen, die unmittelbar zur Beobachtung der Entwickelungs-Thatsachen aufforderten, die Keimesgeschichte der Thiere und Pflanzen, die Embryologie des Menschen, blieben unbeachtet oder erregten nur hier und da das Interesse einzelner wißbegieriger Beobachter: aber ihre Entdeckungen wurden ignorirt und vergessen. Außerdem wurde der wahren Erkenntniß der natürlichen Entwickelung ihr Weg von vornherein durch die herrschende Präformations- Lehre versperrt, durch das Dogma, daß die charakteristische Form und Struktur jeder Thier- und Pflanzen-Art schon im Keime vorgebildet sei (vergl. S. 64). Entwickelungslehre (Genetik, Evolutismus, Evo- XIII. Moderne Entwickelungslehre. auf dieſem Gebiete ganz. Die Tortur und die Scheiterhaufender Inquiſition ſorgten dafür, daß der unbedingte Glaube an die hebräiſche Mythologie des Moſes als definitive Antwort auf alle Schöpfungsfragen galt. Selbſt diejenigen Erſcheinungen, die unmittelbar zur Beobachtung der Entwickelungs-Thatſachen aufforderten, die Keimesgeſchichte der Thiere und Pflanzen, die Embryologie des Menſchen, blieben unbeachtet oder erregten nur hier und da das Intereſſe einzelner wißbegieriger Beobachter: aber ihre Entdeckungen wurden ignorirt und vergeſſen. Außerdem wurde der wahren Erkenntniß der natürlichen Entwickelung ihr Weg von vornherein durch die herrſchende Präformations- Lehre verſperrt, durch das Dogma, daß die charakteriſtiſche Form und Struktur jeder Thier- und Pflanzen-Art ſchon im Keime vorgebildet ſei (vergl. S. 64). Entwickelungslehre (Genetik, Evolutismus, Evo- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0293" n="277"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">XIII.</hi> Moderne Entwickelungslehre.</fw><lb/> auf dieſem Gebiete ganz. Die Tortur und die Scheiterhaufen<lb/> der Inquiſition ſorgten dafür, daß der unbedingte Glaube an<lb/> die hebräiſche Mythologie des Moſes als definitive Antwort auf<lb/> alle Schöpfungsfragen galt. Selbſt diejenigen Erſcheinungen, die<lb/> unmittelbar zur Beobachtung der Entwickelungs-<hi rendition="#g">Thatſachen</hi><lb/> aufforderten, die Keimesgeſchichte der Thiere und Pflanzen, die<lb/> Embryologie des Menſchen, blieben unbeachtet oder erregten nur<lb/> hier und da das Intereſſe einzelner wißbegieriger Beobachter:<lb/> aber ihre Entdeckungen wurden ignorirt und vergeſſen. Außerdem<lb/> wurde der wahren Erkenntniß der natürlichen Entwickelung ihr<lb/> Weg von vornherein durch die herrſchende <hi rendition="#g">Präformations-<lb/> Lehre</hi> verſperrt, durch das Dogma, daß die charakteriſtiſche Form<lb/> und Struktur jeder Thier- und Pflanzen-Art ſchon im Keime<lb/> vorgebildet ſei (vergl. S. 64).</p><lb/> <p><hi rendition="#b">Entwickelungslehre</hi> (<hi rendition="#g">Genetik, Evolutismus, Evo-<lb/> lutionismus</hi>). Die Wiſſenſchaft, die wir heute Entwickelungs-<lb/> lehre (im weiteſten Sinne) nennen, iſt ſowohl im Ganzen als<lb/> in ihren einzelnen Theilen ein Kind des 19. Jahrhunderts; ſie<lb/> gehört zu deſſen wichtigſten und glänzendſten Erzeugniſſen. That-<lb/> ſächlich iſt dieſer Begriff, der noch im vorigen Jahrhundert faſt<lb/> unbekannt war, heute bereits ein feſter Grundſtein unſerer ganzen<lb/> Weltanſchauung geworden. Ich habe die Grundzüge derſelben<lb/> in früheren Schriften ausführlich behandelt, am eingehendſten in<lb/> der „Generellen Morphologie“ (1866), ſodann mehr populär in<lb/> der „Natürlichen Schöpfungsgeſchichte“ (1868, neunte Auflage<lb/> 1898) und mit beſonderer Beziehung auf den Menſchen in der<lb/> „Anthropogenie“ (1874, vierte Auflage 1891). Ich beſchränke<lb/> mich daher hier auf eine kurze Ueberſicht der wichtigſten Fort-<lb/> ſchritte, welche die Entwickelungslehre im Laufe unſeres Jahr-<lb/> hunderts gemacht hat; ſie zerfällt nach ihren Objekten in vier<lb/> Haupttheile: ſie betrifft die natürliche Entſtehung 1. des Kosmos,<lb/> 2. der Erde, 3. der irdiſchen Organismen und 4. des Menſchen.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [277/0293]
XIII. Moderne Entwickelungslehre.
auf dieſem Gebiete ganz. Die Tortur und die Scheiterhaufen
der Inquiſition ſorgten dafür, daß der unbedingte Glaube an
die hebräiſche Mythologie des Moſes als definitive Antwort auf
alle Schöpfungsfragen galt. Selbſt diejenigen Erſcheinungen, die
unmittelbar zur Beobachtung der Entwickelungs-Thatſachen
aufforderten, die Keimesgeſchichte der Thiere und Pflanzen, die
Embryologie des Menſchen, blieben unbeachtet oder erregten nur
hier und da das Intereſſe einzelner wißbegieriger Beobachter:
aber ihre Entdeckungen wurden ignorirt und vergeſſen. Außerdem
wurde der wahren Erkenntniß der natürlichen Entwickelung ihr
Weg von vornherein durch die herrſchende Präformations-
Lehre verſperrt, durch das Dogma, daß die charakteriſtiſche Form
und Struktur jeder Thier- und Pflanzen-Art ſchon im Keime
vorgebildet ſei (vergl. S. 64).
Entwickelungslehre (Genetik, Evolutismus, Evo-
lutionismus). Die Wiſſenſchaft, die wir heute Entwickelungs-
lehre (im weiteſten Sinne) nennen, iſt ſowohl im Ganzen als
in ihren einzelnen Theilen ein Kind des 19. Jahrhunderts; ſie
gehört zu deſſen wichtigſten und glänzendſten Erzeugniſſen. That-
ſächlich iſt dieſer Begriff, der noch im vorigen Jahrhundert faſt
unbekannt war, heute bereits ein feſter Grundſtein unſerer ganzen
Weltanſchauung geworden. Ich habe die Grundzüge derſelben
in früheren Schriften ausführlich behandelt, am eingehendſten in
der „Generellen Morphologie“ (1866), ſodann mehr populär in
der „Natürlichen Schöpfungsgeſchichte“ (1868, neunte Auflage
1898) und mit beſonderer Beziehung auf den Menſchen in der
„Anthropogenie“ (1874, vierte Auflage 1891). Ich beſchränke
mich daher hier auf eine kurze Ueberſicht der wichtigſten Fort-
ſchritte, welche die Entwickelungslehre im Laufe unſeres Jahr-
hunderts gemacht hat; ſie zerfällt nach ihren Objekten in vier
Haupttheile: ſie betrifft die natürliche Entſtehung 1. des Kosmos,
2. der Erde, 3. der irdiſchen Organismen und 4. des Menſchen.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |