ich persönlich (als bloßer Dilettant auf diesem Gebiete!) mir durch reifliches Nachdenken gebildet habe, fasse ich in folgenden acht Sätzen zusammen:
I. Der Aether erfüllt als eine kontinuirliche Materie den ganzen Weltraum, soweit dieser nicht von der Masse (oder der ponderablen Materie) eingenommen ist; er füllt auch alle Zwischenräume zwischen den Atomen der letzteren vollständig aus. II. Der Aether besitzt wahrscheinlich noch keinen Chemismus und ist noch nicht aus Atomen zusammengesetzt, wie die Masse; wenn man annimmt, derselbe sei aus äußerst kleinen, gleichartigen Atomen zusammengesetzt (z. B. untheilbaren Aetherkugeln von gleicher Größe), so muß man weiterhin auch annehmen, daß zwischen denselben noch etwas Anderes existirt, entweder der "leere Raum" oder ein drittes (ganz unbekanntes) Medium, ein völlig hypothetischer "Interäther"; bei der Frage nach dessen Wesen würde sich dann dieselbe Schwierigkeit, wie beim Aether erheben (in infinitum!). III. Da die An- nahme des leeren Raumes und der unvermittelten Fernwirkung beim jetzigen Stande unseres Naturerkennens kaum mehr möglich ist (wenigstens zu keiner klaren monistischen Vorstellung führt), so nehme ich eine eigenthümliche Struktur des Aethers an, die nicht atomistisch ist, wie diejenige der ponderablen Masse, und die man vorläufig (ohne weitere Bestimmung) als ätherische oder dynamische Struktur bezeichnen kann. IV. Der Aggregat-Zustand des Aethers ist, dieser Hypo- these zufolge, ebenfalls eigenthümlich und von demjenigen der Masse verschieden; er ist weder gasförmig, wie einige, noch fest, wie andere Physiker annehmen; die beste Vorstellung davon gewinnt man vielleicht durch den Vergleich mit einer äußerst feinen, elastischen und leichten Gallerte. V. Der Aether ist imponderable Materie in dem Sinne, daß wir kein Mittel besitzen, sein Gewicht experimentell zu bestimmen; wenn
Eigenſchaften des Aethers. XII.
ich perſönlich (als bloßer Dilettant auf dieſem Gebiete!) mir durch reifliches Nachdenken gebildet habe, faſſe ich in folgenden acht Sätzen zuſammen:
I. Der Aether erfüllt als eine kontinuirliche Materie den ganzen Weltraum, ſoweit dieſer nicht von der Maſſe (oder der ponderablen Materie) eingenommen iſt; er füllt auch alle Zwiſchenräume zwiſchen den Atomen der letzteren vollſtändig aus. II. Der Aether beſitzt wahrſcheinlich noch keinen Chemismus und iſt noch nicht aus Atomen zuſammengeſetzt, wie die Maſſe; wenn man annimmt, derſelbe ſei aus äußerſt kleinen, gleichartigen Atomen zuſammengeſetzt (z. B. untheilbaren Aetherkugeln von gleicher Größe), ſo muß man weiterhin auch annehmen, daß zwiſchen denſelben noch etwas Anderes exiſtirt, entweder der „leere Raum“ oder ein drittes (ganz unbekanntes) Medium, ein völlig hypothetiſcher „Interäther“; bei der Frage nach deſſen Weſen würde ſich dann dieſelbe Schwierigkeit, wie beim Aether erheben (in infinitum!). III. Da die An- nahme des leeren Raumes und der unvermittelten Fernwirkung beim jetzigen Stande unſeres Naturerkennens kaum mehr möglich iſt (wenigſtens zu keiner klaren moniſtiſchen Vorſtellung führt), ſo nehme ich eine eigenthümliche Struktur des Aethers an, die nicht atomiſtiſch iſt, wie diejenige der ponderablen Maſſe, und die man vorläufig (ohne weitere Beſtimmung) als ätheriſche oder dynamiſche Struktur bezeichnen kann. IV. Der Aggregat-Zuſtand des Aethers iſt, dieſer Hypo- theſe zufolge, ebenfalls eigenthümlich und von demjenigen der Maſſe verſchieden; er iſt weder gasförmig, wie einige, noch feſt, wie andere Phyſiker annehmen; die beſte Vorſtellung davon gewinnt man vielleicht durch den Vergleich mit einer äußerſt feinen, elaſtiſchen und leichten Gallerte. V. Der Aether iſt imponderable Materie in dem Sinne, daß wir kein Mittel beſitzen, ſein Gewicht experimentell zu beſtimmen; wenn
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Eigenſchaften des Aethers. XII.
ich perſönlich (als bloßer Dilettant auf dieſem Gebiete!) mir
durch reifliches Nachdenken gebildet habe, faſſe ich in folgenden
acht Sätzen zuſammen:
I. Der Aether erfüllt als eine kontinuirliche Materie
den ganzen Weltraum, ſoweit dieſer nicht von der Maſſe (oder
der ponderablen Materie) eingenommen iſt; er füllt auch alle
Zwiſchenräume zwiſchen den Atomen der letzteren vollſtändig
aus. II. Der Aether beſitzt wahrſcheinlich noch keinen
Chemismus und iſt noch nicht aus Atomen zuſammengeſetzt,
wie die Maſſe; wenn man annimmt, derſelbe ſei aus äußerſt
kleinen, gleichartigen Atomen zuſammengeſetzt (z. B. untheilbaren
Aetherkugeln von gleicher Größe), ſo muß man weiterhin auch
annehmen, daß zwiſchen denſelben noch etwas Anderes exiſtirt,
entweder der „leere Raum“ oder ein drittes (ganz unbekanntes)
Medium, ein völlig hypothetiſcher „Interäther“; bei der
Frage nach deſſen Weſen würde ſich dann dieſelbe Schwierigkeit,
wie beim Aether erheben (in infinitum!). III. Da die An-
nahme des leeren Raumes und der unvermittelten Fernwirkung
beim jetzigen Stande unſeres Naturerkennens kaum mehr möglich
iſt (wenigſtens zu keiner klaren moniſtiſchen Vorſtellung führt),
ſo nehme ich eine eigenthümliche Struktur des Aethers
an, die nicht atomiſtiſch iſt, wie diejenige der ponderablen
Maſſe, und die man vorläufig (ohne weitere Beſtimmung) als
ätheriſche oder dynamiſche Struktur bezeichnen kann.
IV. Der Aggregat-Zuſtand des Aethers iſt, dieſer Hypo-
theſe zufolge, ebenfalls eigenthümlich und von demjenigen der
Maſſe verſchieden; er iſt weder gasförmig, wie einige, noch
feſt, wie andere Phyſiker annehmen; die beſte Vorſtellung
davon gewinnt man vielleicht durch den Vergleich mit einer
äußerſt feinen, elaſtiſchen und leichten Gallerte. V. Der Aether
iſt imponderable Materie in dem Sinne, daß wir kein
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Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899, S. 262. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_weltraethsel_1899/278>, abgerufen am 22.11.2024.
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