Verdichtung in principiellen Gegensatz stellt zu dem allgemeinen Vorgang der Bewegung -- er meint damit die Schwingung im Sinne der modernen Physik. Auch seine hypothetische "Ver- dichtung" (Pyknosis) ist ebenso durch Bewegung der Sub- stanz bedingt, wie die hypothetische "Schwingung" (Vibration); nur ist die Art der Bewegung und das Verhalten der bewegten Substanz-Theilchen nach der ersteren Hypothese ganz anders als nach der letzteren. Uebrigens wird durch die Verdichtungslehre keineswegs die gesammte Schwingungslehre beseitigt, sondern nur ein wichtiger Theil derselben.
Die moderne Physik hält gegenwärtig zum größten Theile noch zäh an der älteren Vibrations-Theorie fest, an der Vor- stellung der unvermittelten Fernwirkung und der ewigen Schwin- gung todter Atome im leeren Raume; sie verwirft daher die Pyknose-Theorie. Wenn diese letztere nun auch keineswegs vollendet sein mag, und wenn Vogt's originelle Spekulationen auch mehrfach irre gehen, so erblicke ich doch ein großes Ver- dienst dieses Naturphilosophen darin, daß er jene unhaltbaren Principien der kinetischen Substanz-Theorie eliminirt. Für meine eigene Vorstellung, wie für diejenige vieler anderer den- kender Naturforscher, muß ich die folgenden, in Vogt's pykno- tischer Substanz-Theorie enthaltenen Grundsätze als unentbehrlich für eine wirklich monistische, das ganze organische und an- organische Naturgebiet umfassende Substanz-Ansicht hinstellen: I. Die beiden Hauptbestandtheile der Substanz, Masse und Aether, sind nicht todt und nur durch äußere Kräfte beweglich, sondern sie besitzen Empfindung und Willen (natürlich niedersten Grades!); sie empfinden Lust bei Verdichtung, Unlust bei Spannung; sie streben nach der ersteren und kämpfen gegen letztere. II. Es giebt keinen leeren Raum; der Theil des un- endlichen Raumes, welchen nicht die Massen-Atome einnehmen, ist vom Aether erfüllt. III. Es giebt keine unvermittelte Fern-
Moniſtiſche Subſtanz-Theorie. XII.
Verdichtung in principiellen Gegenſatz ſtellt zu dem allgemeinen Vorgang der Bewegung — er meint damit die Schwingung im Sinne der modernen Phyſik. Auch ſeine hypothetiſche „Ver- dichtung“ (Pyknoſis) iſt ebenſo durch Bewegung der Sub- ſtanz bedingt, wie die hypothetiſche „Schwingung“ (Vibration); nur iſt die Art der Bewegung und das Verhalten der bewegten Subſtanz-Theilchen nach der erſteren Hypotheſe ganz anders als nach der letzteren. Uebrigens wird durch die Verdichtungslehre keineswegs die geſammte Schwingungslehre beſeitigt, ſondern nur ein wichtiger Theil derſelben.
Die moderne Phyſik hält gegenwärtig zum größten Theile noch zäh an der älteren Vibrations-Theorie feſt, an der Vor- ſtellung der unvermittelten Fernwirkung und der ewigen Schwin- gung todter Atome im leeren Raume; ſie verwirft daher die Pyknoſe-Theorie. Wenn dieſe letztere nun auch keineswegs vollendet ſein mag, und wenn Vogt's originelle Spekulationen auch mehrfach irre gehen, ſo erblicke ich doch ein großes Ver- dienſt dieſes Naturphiloſophen darin, daß er jene unhaltbaren Principien der kinetiſchen Subſtanz-Theorie eliminirt. Für meine eigene Vorſtellung, wie für diejenige vieler anderer den- kender Naturforſcher, muß ich die folgenden, in Vogt's pykno- tiſcher Subſtanz-Theorie enthaltenen Grundſätze als unentbehrlich für eine wirklich moniſtiſche, das ganze organiſche und an- organiſche Naturgebiet umfaſſende Subſtanz-Anſicht hinſtellen: I. Die beiden Hauptbeſtandtheile der Subſtanz, Maſſe und Aether, ſind nicht todt und nur durch äußere Kräfte beweglich, ſondern ſie beſitzen Empfindung und Willen (natürlich niederſten Grades!); ſie empfinden Luſt bei Verdichtung, Unluſt bei Spannung; ſie ſtreben nach der erſteren und kämpfen gegen letztere. II. Es giebt keinen leeren Raum; der Theil des un- endlichen Raumes, welchen nicht die Maſſen-Atome einnehmen, iſt vom Aether erfüllt. III. Es giebt keine unvermittelte Fern-
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Moniſtiſche Subſtanz-Theorie. XII.
Verdichtung in principiellen Gegenſatz ſtellt zu dem allgemeinen
Vorgang der Bewegung — er meint damit die Schwingung
im Sinne der modernen Phyſik. Auch ſeine hypothetiſche „Ver-
dichtung“ (Pyknoſis) iſt ebenſo durch Bewegung der Sub-
ſtanz bedingt, wie die hypothetiſche „Schwingung“ (Vibration);
nur iſt die Art der Bewegung und das Verhalten der bewegten
Subſtanz-Theilchen nach der erſteren Hypotheſe ganz anders als
nach der letzteren. Uebrigens wird durch die Verdichtungslehre
keineswegs die geſammte Schwingungslehre beſeitigt, ſondern
nur ein wichtiger Theil derſelben.
Die moderne Phyſik hält gegenwärtig zum größten Theile
noch zäh an der älteren Vibrations-Theorie feſt, an der Vor-
ſtellung der unvermittelten Fernwirkung und der ewigen Schwin-
gung todter Atome im leeren Raume; ſie verwirft daher die
Pyknoſe-Theorie. Wenn dieſe letztere nun auch keineswegs
vollendet ſein mag, und wenn Vogt's originelle Spekulationen
auch mehrfach irre gehen, ſo erblicke ich doch ein großes Ver-
dienſt dieſes Naturphiloſophen darin, daß er jene unhaltbaren
Principien der kinetiſchen Subſtanz-Theorie eliminirt. Für
meine eigene Vorſtellung, wie für diejenige vieler anderer den-
kender Naturforſcher, muß ich die folgenden, in Vogt's pykno-
tiſcher Subſtanz-Theorie enthaltenen Grundſätze als unentbehrlich
für eine wirklich moniſtiſche, das ganze organiſche und an-
organiſche Naturgebiet umfaſſende Subſtanz-Anſicht hinſtellen:
I. Die beiden Hauptbeſtandtheile der Subſtanz, Maſſe und
Aether, ſind nicht todt und nur durch äußere Kräfte beweglich,
ſondern ſie beſitzen Empfindung und Willen (natürlich niederſten
Grades!); ſie empfinden Luſt bei Verdichtung, Unluſt bei
Spannung; ſie ſtreben nach der erſteren und kämpfen gegen
letztere. II. Es giebt keinen leeren Raum; der Theil des un-
endlichen Raumes, welchen nicht die Maſſen-Atome einnehmen,
iſt vom Aether erfüllt. III. Es giebt keine unvermittelte Fern-
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Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899, S. 254. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_weltraethsel_1899/270>, abgerufen am 19.07.2024.
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