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Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899.

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Athanismus und Thanatismus. XI.
unsterblich). Dagegen nennen wir Thanatismus (abgeleitet
von Thanatos = Tod) die Ueberzeugung, daß mit dem Tode
des Menschen nicht nur alle übrigen physiologischen Lebensthätig-
keiten erlöschen, sondern auch die "Seele" verschwindet, d. h. jene
Summe von Gehirn-Funktionen, welche der psychische Dualismus
als ein eigenes "Wesen", unabhängig von den übrigen Lebens-
Aeußerungen des lebendigen Körpers betrachtet.

Indem wir hier das physiologische Problem des Todes
berühren, betonen wir nochmals den individuellen Charakter
dieser organischen Natur-Erscheinung. Wir verstehen unter Tod
ausschließlich das definitive Aufhören der Lebensthätigkeit des
organischen Individuums, gleichviel welcher Kategorie oder
welcher Stufenfolge der Individualität das betreffende Einzelwesen
angehört. Der Mensch ist todt, wenn seine Person stirbt, gleichviel
ob er gar keine Nachkommenschaft hinterlassen hat, oder ob er
Kinder erzeugt hat, deren Nachkommen sich durch viele Generationen
fruchtbar fortpflanzen. Man sagt ja in gewissem Sinne, daß
der "Geist" großer Männer (z. B. in einer Dynastie hervor-
ragender Herrscher, in einer Familie talentvoller Künstler) durch
Generationen fortlebt; und ebenso sagt man, daß die "Seele"
ausgezeichneter Frauen oft in den Kindern und Kindeskindern
sich forterhält. Allein in diesen Fällen handelt es sich stets um
verwickelte Vorgänge der Vererbung, bei welchen eine ab-
gelöste mikroskopische Zelle (die Spermazelle des Vaters, die Ei-
zelle der Mutter) gewisse Eigenschaften der Substanz auf die
Nachkommen überträgt. Die einzelnen Personen, welche jene
Geschlechtszellen zu Tausenden produciren, bleiben trotzdem sterblich
und mit ihrem Tode erlischt ihre individuelle Seelen-Thätigkeit
ebenso wie jede andere physiologische Funktion.

Unsterblichkeit der Einzelligen. Neuerdings ist von
mehreren namhaften Zoologen -- am eingehendsten 1882 von
Weismann -- die Ansicht vertheidigt worden, daß nur die

Athanismus und Thanatismus. XI.
unſterblich). Dagegen nennen wir Thanatismus (abgeleitet
von Thanatoſ = Tod) die Ueberzeugung, daß mit dem Tode
des Menſchen nicht nur alle übrigen phyſiologiſchen Lebensthätig-
keiten erlöſchen, ſondern auch die „Seele“ verſchwindet, d. h. jene
Summe von Gehirn-Funktionen, welche der pſychiſche Dualismus
als ein eigenes „Weſen“, unabhängig von den übrigen Lebens-
Aeußerungen des lebendigen Körpers betrachtet.

Indem wir hier das phyſiologiſche Problem des Todes
berühren, betonen wir nochmals den individuellen Charakter
dieſer organiſchen Natur-Erſcheinung. Wir verſtehen unter Tod
ausſchließlich das definitive Aufhören der Lebensthätigkeit des
organiſchen Individuums, gleichviel welcher Kategorie oder
welcher Stufenfolge der Individualität das betreffende Einzelweſen
angehört. Der Menſch iſt todt, wenn ſeine Perſon ſtirbt, gleichviel
ob er gar keine Nachkommenſchaft hinterlaſſen hat, oder ob er
Kinder erzeugt hat, deren Nachkommen ſich durch viele Generationen
fruchtbar fortpflanzen. Man ſagt ja in gewiſſem Sinne, daß
der „Geiſt“ großer Männer (z. B. in einer Dynaſtie hervor-
ragender Herrſcher, in einer Familie talentvoller Künſtler) durch
Generationen fortlebt; und ebenſo ſagt man, daß die „Seele“
ausgezeichneter Frauen oft in den Kindern und Kindeskindern
ſich forterhält. Allein in dieſen Fällen handelt es ſich ſtets um
verwickelte Vorgänge der Vererbung, bei welchen eine ab-
gelöſte mikroſkopiſche Zelle (die Spermazelle des Vaters, die Ei-
zelle der Mutter) gewiſſe Eigenſchaften der Subſtanz auf die
Nachkommen überträgt. Die einzelnen Perſonen, welche jene
Geſchlechtszellen zu Tauſenden produciren, bleiben trotzdem ſterblich
und mit ihrem Tode erliſcht ihre individuelle Seelen-Thätigkeit
ebenſo wie jede andere phyſiologiſche Funktion.

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mehreren namhaften Zoologen — am eingehendſten 1882 von
Weismann — die Anſicht vertheidigt worden, daß nur die

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[220/0236] Athanismus und Thanatismus. XI. unſterblich). Dagegen nennen wir Thanatismus (abgeleitet von Thanatoſ = Tod) die Ueberzeugung, daß mit dem Tode des Menſchen nicht nur alle übrigen phyſiologiſchen Lebensthätig- keiten erlöſchen, ſondern auch die „Seele“ verſchwindet, d. h. jene Summe von Gehirn-Funktionen, welche der pſychiſche Dualismus als ein eigenes „Weſen“, unabhängig von den übrigen Lebens- Aeußerungen des lebendigen Körpers betrachtet. Indem wir hier das phyſiologiſche Problem des Todes berühren, betonen wir nochmals den individuellen Charakter dieſer organiſchen Natur-Erſcheinung. Wir verſtehen unter Tod ausſchließlich das definitive Aufhören der Lebensthätigkeit des organiſchen Individuums, gleichviel welcher Kategorie oder welcher Stufenfolge der Individualität das betreffende Einzelweſen angehört. Der Menſch iſt todt, wenn ſeine Perſon ſtirbt, gleichviel ob er gar keine Nachkommenſchaft hinterlaſſen hat, oder ob er Kinder erzeugt hat, deren Nachkommen ſich durch viele Generationen fruchtbar fortpflanzen. Man ſagt ja in gewiſſem Sinne, daß der „Geiſt“ großer Männer (z. B. in einer Dynaſtie hervor- ragender Herrſcher, in einer Familie talentvoller Künſtler) durch Generationen fortlebt; und ebenſo ſagt man, daß die „Seele“ ausgezeichneter Frauen oft in den Kindern und Kindeskindern ſich forterhält. Allein in dieſen Fällen handelt es ſich ſtets um verwickelte Vorgänge der Vererbung, bei welchen eine ab- gelöſte mikroſkopiſche Zelle (die Spermazelle des Vaters, die Ei- zelle der Mutter) gewiſſe Eigenſchaften der Subſtanz auf die Nachkommen überträgt. Die einzelnen Perſonen, welche jene Geſchlechtszellen zu Tauſenden produciren, bleiben trotzdem ſterblich und mit ihrem Tode erliſcht ihre individuelle Seelen-Thätigkeit ebenſo wie jede andere phyſiologiſche Funktion. Unſterblichkeit der Einzelligen. Neuerdings iſt von mehreren namhaften Zoologen — am eingehendſten 1882 von Weismann — die Anſicht vertheidigt worden, daß nur die

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Zitationshilfe: Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899, S. 220. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_weltraethsel_1899/236>, abgerufen am 22.11.2024.