hinten unten das Principalhirn oder das "große occipito-temporale Associons-Centrum" (das wichtigste von allen!) und endlich tief unten, im Innern versteckt, das Inselhirn oder "die Reilsche Insel", das insulare Associons-Centrum. Diese vier Denkherde, durch eigenthümliche und höchst verwickelte Nervenstruktur vor den zwischenliegenden Sinnesherden ausgezeichnet, sind die wahren "Denkorgane", die einzigen Organe unseres Bewußt- seins. In neuester Zeit hat Flechsig nachgewiesen, daß in einem Theile derselben sich beim Menschen noch ganz besonders verwickelte Strukturen finden, welche den übrigen Säugethieren fehlen, und welche die Ueberlegenheit des menschlichen Bewußt- seins erklären.
Pathologie des Bewußtseins. Die bedeutungsvolle Er- kenntniß der modernen Physiologie, daß das Großhirn beim Menschen und den höheren Säugethieren das Organ des Geistes- lebens und des Bewußtseins ist, wird einleuchtend bestätigt durch die Pathologie, durch die Kenntniß seiner Erkrankungen. Wenn die betreffenden Theile der Großhirnrinde durch Krankheit zerstört werden, erlischt ihre Funktion, und zwar läßt sich hier die Lokalisation der Gehirn-Funktionen sogar partiell nach- weisen; wenn einzelne Stellen jenes Gebietes erkranken, ver- schwindet auch der Theil des Denkens und Bewußtseins, welcher an die betreffende Stelle gebunden ist. Dasselbe Ergebniß liefert das pathologische Experiment; Zerstörung einer solchen bekannten Stelle (z. B. im Sprach-Centrum) vernichtet deren Funktion (die Sprache). Uebrigens genügt ja der Hinweis auf die be- kanntesten alltäglichen Erscheinungen im Gebiete des Bewußtseins, um die völlige Abhängigkeit desselben von den chemischen Veränderungen der Gehirn-Substanz zu beweisen. Viele Genuß- mittel (Kaffee, Thee) regen unser Denkvermögen an, andere (Wein, Bier) stimmen unser Gemüth heiter; Moschus und Kampher als "Excitantia" beleben das erlöschende Bewußtsein;
X. Pathologie des Bewußtſeins.
hinten unten das Principalhirn oder das „große occipito-temporale Aſſocions-Centrum“ (das wichtigſte von allen!) und endlich tief unten, im Innern verſteckt, das Inſelhirn oder „die Reilſche Inſel“, das inſulare Aſſocions-Centrum. Dieſe vier Denkherde, durch eigenthümliche und höchſt verwickelte Nervenſtruktur vor den zwiſchenliegenden Sinnesherden ausgezeichnet, ſind die wahren „Denkorgane“, die einzigen Organe unſeres Bewußt- ſeins. In neueſter Zeit hat Flechſig nachgewieſen, daß in einem Theile derſelben ſich beim Menſchen noch ganz beſonders verwickelte Strukturen finden, welche den übrigen Säugethieren fehlen, und welche die Ueberlegenheit des menſchlichen Bewußt- ſeins erklären.
Pathologie des Bewußtſeins. Die bedeutungsvolle Er- kenntniß der modernen Phyſiologie, daß das Großhirn beim Menſchen und den höheren Säugethieren das Organ des Geiſtes- lebens und des Bewußtſeins iſt, wird einleuchtend beſtätigt durch die Pathologie, durch die Kenntniß ſeiner Erkrankungen. Wenn die betreffenden Theile der Großhirnrinde durch Krankheit zerſtört werden, erliſcht ihre Funktion, und zwar läßt ſich hier die Lokaliſation der Gehirn-Funktionen ſogar partiell nach- weiſen; wenn einzelne Stellen jenes Gebietes erkranken, ver- ſchwindet auch der Theil des Denkens und Bewußtſeins, welcher an die betreffende Stelle gebunden iſt. Dasſelbe Ergebniß liefert das pathologiſche Experiment; Zerſtörung einer ſolchen bekannten Stelle (z. B. im Sprach-Centrum) vernichtet deren Funktion (die Sprache). Uebrigens genügt ja der Hinweis auf die be- kannteſten alltäglichen Erſcheinungen im Gebiete des Bewußtſeins, um die völlige Abhängigkeit desſelben von den chemiſchen Veränderungen der Gehirn-Subſtanz zu beweiſen. Viele Genuß- mittel (Kaffee, Thee) regen unſer Denkvermögen an, andere (Wein, Bier) ſtimmen unſer Gemüth heiter; Moſchus und Kampher als „Excitantia“ beleben das erlöſchende Bewußtſein;
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X. Pathologie des Bewußtſeins.
hinten unten das Principalhirn oder das „große occipito-temporale
Aſſocions-Centrum“ (das wichtigſte von allen!) und endlich tief
unten, im Innern verſteckt, das Inſelhirn oder „die Reilſche
Inſel“, das inſulare Aſſocions-Centrum. Dieſe vier Denkherde,
durch eigenthümliche und höchſt verwickelte Nervenſtruktur vor
den zwiſchenliegenden Sinnesherden ausgezeichnet, ſind die
wahren „Denkorgane“, die einzigen Organe unſeres Bewußt-
ſeins. In neueſter Zeit hat Flechſig nachgewieſen, daß in
einem Theile derſelben ſich beim Menſchen noch ganz beſonders
verwickelte Strukturen finden, welche den übrigen Säugethieren
fehlen, und welche die Ueberlegenheit des menſchlichen Bewußt-
ſeins erklären.
Pathologie des Bewußtſeins. Die bedeutungsvolle Er-
kenntniß der modernen Phyſiologie, daß das Großhirn beim
Menſchen und den höheren Säugethieren das Organ des Geiſtes-
lebens und des Bewußtſeins iſt, wird einleuchtend beſtätigt durch
die Pathologie, durch die Kenntniß ſeiner Erkrankungen.
Wenn die betreffenden Theile der Großhirnrinde durch Krankheit
zerſtört werden, erliſcht ihre Funktion, und zwar läßt ſich hier
die Lokaliſation der Gehirn-Funktionen ſogar partiell nach-
weiſen; wenn einzelne Stellen jenes Gebietes erkranken, ver-
ſchwindet auch der Theil des Denkens und Bewußtſeins, welcher
an die betreffende Stelle gebunden iſt. Dasſelbe Ergebniß liefert
das pathologiſche Experiment; Zerſtörung einer ſolchen bekannten
Stelle (z. B. im Sprach-Centrum) vernichtet deren Funktion
(die Sprache). Uebrigens genügt ja der Hinweis auf die be-
kannteſten alltäglichen Erſcheinungen im Gebiete des Bewußtſeins,
um die völlige Abhängigkeit desſelben von den chemiſchen
Veränderungen der Gehirn-Subſtanz zu beweiſen. Viele Genuß-
mittel (Kaffee, Thee) regen unſer Denkvermögen an, andere
(Wein, Bier) ſtimmen unſer Gemüth heiter; Moſchus und
Kampher als „Excitantia“ beleben das erlöſchende Bewußtſein;
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Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899, S. 213. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_weltraethsel_1899/229>, abgerufen am 23.07.2024.
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