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Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899.

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X. Physiologie des Bewußtseins.
fesselnd durch den Bilderreichthum und die überraschenden Rede-
wendungen. Aber eine wesentliche Förderung der Welterkenntniß
liefert ihre oberflächliche Betrachtungsweise nicht. Am wenigsten
gilt das vom Darwinismus, als dessen Anhänger sich der
Berliner Physiologe später bedingungsweise bekennt, obgleich er
nie das Geringste zu seiner Förderung gethan hat; seine
absprechenden Bemerkungen über das biogenetische Grundgesetz,
seine Verwerfung der Stammesgeschichte u. s. w. bekunden hin-
länglich, daß derselbe weder mit den empirischen Thatsachen der
vergleichenden Morphologie und Entwickelungsgeschichte hin-
reichend vertraut, noch zu der philosophischen Würdigung ihrer
theoretischen Bedeutung befähigt war.

Physiologie des Bewußtseins. Die eigenartige Natur-
Erscheinung des Bewußtseins ist nicht, wie Du Bois-Reymond
und die dualistische Philosophie behauptet, ein völlig und "durch-
aus transscendentes Problem"; sondern sie ist, wie ich schon seit
33 Jahren behauptet habe, ein physiologisches Problem,
und als solches auf die Erscheinungen im Gebiete der Physik
und Chemie zurückzuführen. Ich habe dasselbe später noch be-
stimmter als ein neurologisches Problem bezeichnet, weil
ich der Ansicht bin, daß wahres Bewußtsein (Denken und
Vernunft) nur bei jenen höheren Thieren zu finden ist, welche
ein centralisirtes Nerven-System und Sinnesorgane
von einer gewissen Höhe der Ausbildung besitzen. Mit voller
Sicherheit läßt sich das für die höheren Wirbelthiere behaupten,
und vor Allem für die placentalen Säugethiere, aus deren Stamm
das Menschen-Geschlecht selbst entsprossen ist. Das Bewußtsein
der höchstentwickelten Affen, Hunde, Elephanten u. s. w. ist von
demjenigen des Menschen nur dem Grade, nicht der Art nach
verschieden, und die graduellen Unterschiede im Bewußtsein dieser
"vernünftigsten" Zottenthiere und der niedersten Menschen-Rassen
(Weddas, Australneger u. s. w.) sind geringer als die ent-

14*

X. Phyſiologie des Bewußtſeins.
feſſelnd durch den Bilderreichthum und die überraſchenden Rede-
wendungen. Aber eine weſentliche Förderung der Welterkenntniß
liefert ihre oberflächliche Betrachtungsweiſe nicht. Am wenigſten
gilt das vom Darwinismus, als deſſen Anhänger ſich der
Berliner Phyſiologe ſpäter bedingungsweiſe bekennt, obgleich er
nie das Geringſte zu ſeiner Förderung gethan hat; ſeine
abſprechenden Bemerkungen über das biogenetiſche Grundgeſetz,
ſeine Verwerfung der Stammesgeſchichte u. ſ. w. bekunden hin-
länglich, daß derſelbe weder mit den empiriſchen Thatſachen der
vergleichenden Morphologie und Entwickelungsgeſchichte hin-
reichend vertraut, noch zu der philoſophiſchen Würdigung ihrer
theoretiſchen Bedeutung befähigt war.

Phyſiologie des Bewußtſeins. Die eigenartige Natur-
Erſcheinung des Bewußtſeins iſt nicht, wie Du Bois-Reymond
und die dualiſtiſche Philoſophie behauptet, ein völlig und „durch-
aus transſcendentes Problem“; ſondern ſie iſt, wie ich ſchon ſeit
33 Jahren behauptet habe, ein phyſiologiſches Problem,
und als ſolches auf die Erſcheinungen im Gebiete der Phyſik
und Chemie zurückzuführen. Ich habe dasſelbe ſpäter noch be-
ſtimmter als ein neurologiſches Problem bezeichnet, weil
ich der Anſicht bin, daß wahres Bewußtſein (Denken und
Vernunft) nur bei jenen höheren Thieren zu finden iſt, welche
ein centraliſirtes Nerven-Syſtem und Sinnesorgane
von einer gewiſſen Höhe der Ausbildung beſitzen. Mit voller
Sicherheit läßt ſich das für die höheren Wirbelthiere behaupten,
und vor Allem für die placentalen Säugethiere, aus deren Stamm
das Menſchen-Geſchlecht ſelbſt entſproſſen iſt. Das Bewußtſein
der höchſtentwickelten Affen, Hunde, Elephanten u. ſ. w. iſt von
demjenigen des Menſchen nur dem Grade, nicht der Art nach
verſchieden, und die graduellen Unterſchiede im Bewußtſein dieſer
„vernünftigſten“ Zottenthiere und der niederſten Menſchen-Raſſen
(Weddas, Auſtralneger u. ſ. w.) ſind geringer als die ent-

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[211/0227] X. Phyſiologie des Bewußtſeins. feſſelnd durch den Bilderreichthum und die überraſchenden Rede- wendungen. Aber eine weſentliche Förderung der Welterkenntniß liefert ihre oberflächliche Betrachtungsweiſe nicht. Am wenigſten gilt das vom Darwinismus, als deſſen Anhänger ſich der Berliner Phyſiologe ſpäter bedingungsweiſe bekennt, obgleich er nie das Geringſte zu ſeiner Förderung gethan hat; ſeine abſprechenden Bemerkungen über das biogenetiſche Grundgeſetz, ſeine Verwerfung der Stammesgeſchichte u. ſ. w. bekunden hin- länglich, daß derſelbe weder mit den empiriſchen Thatſachen der vergleichenden Morphologie und Entwickelungsgeſchichte hin- reichend vertraut, noch zu der philoſophiſchen Würdigung ihrer theoretiſchen Bedeutung befähigt war. Phyſiologie des Bewußtſeins. Die eigenartige Natur- Erſcheinung des Bewußtſeins iſt nicht, wie Du Bois-Reymond und die dualiſtiſche Philoſophie behauptet, ein völlig und „durch- aus transſcendentes Problem“; ſondern ſie iſt, wie ich ſchon ſeit 33 Jahren behauptet habe, ein phyſiologiſches Problem, und als ſolches auf die Erſcheinungen im Gebiete der Phyſik und Chemie zurückzuführen. Ich habe dasſelbe ſpäter noch be- ſtimmter als ein neurologiſches Problem bezeichnet, weil ich der Anſicht bin, daß wahres Bewußtſein (Denken und Vernunft) nur bei jenen höheren Thieren zu finden iſt, welche ein centraliſirtes Nerven-Syſtem und Sinnesorgane von einer gewiſſen Höhe der Ausbildung beſitzen. Mit voller Sicherheit läßt ſich das für die höheren Wirbelthiere behaupten, und vor Allem für die placentalen Säugethiere, aus deren Stamm das Menſchen-Geſchlecht ſelbſt entſproſſen iſt. Das Bewußtſein der höchſtentwickelten Affen, Hunde, Elephanten u. ſ. w. iſt von demjenigen des Menſchen nur dem Grade, nicht der Art nach verſchieden, und die graduellen Unterſchiede im Bewußtſein dieſer „vernünftigſten“ Zottenthiere und der niederſten Menſchen-Raſſen (Weddas, Auſtralneger u. ſ. w.) ſind geringer als die ent- 14*

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Zitationshilfe: Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899, S. 211. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_weltraethsel_1899/227>, abgerufen am 23.11.2024.