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Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899.

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Atomistische Theorie des Bewußtseins. X.
psychischen Funktionen höchst bedenklich erscheint; man glaubte
daher dieses Hinderniß am leichtesten dadurch zu überwinden,
daß man sie als eine Elementar-Eigenschaft aller Materie an-
nahm, gleich der Massen-Anziehung oder der chemischen Wahl-
verwandtschaft. Es würde danach so viele Formen des Elementar-
Bewußtseins geben, als es chemische Elemente giebt; jedes Atom
Wasserstoff würde sein hydrogenes Bewußtsein haben, jedes Atom
Kohlenstoff sein karbonisches Bewußtsein u. s. w. Auch den
alten vier Elementen des Empedokles, deren Mischung durch
"Lieben und Hassen" das Werden der Dinge bewirkt, schrieben
manche Philosophen Bewußtsein zu.

Ich selbst habe diese Hypothese des Atom-Bewußtseins
niemals
vertreten; ich bin gezwungen, dies hier besonders
hervorzuheben, weil E. du Bois-Reymond mir diese Ansicht
fälschlich untergeschoben hat. In der scharfen Polemik, welche
derselbe (1880) in seiner Rede über "die sieben Welträthsel"
gegen mich führt, bekämpft er meine "verderbliche falsche Natur-
Philosophie" auf das Heftigste und behauptet, ich hätte in
meinem Aufsatz über die Perigenesis der Plastidule die "Annahme,
daß die Atome einzeln Bewußtsein haben, als metaphysisches
Axiom hingestellt". Ich habe vielmehr ausdrücklich betont, daß
ich mir die elementaren psychischen Thätigkeiten der Empfindung
und des Willens, die man den Atomen zuschreiben kann, un-
bewußt
vorstelle, ebenso unbewußt wie das elementare Ge-
dächtniß, welches ich nach dem Vorgange des ausgezeichneten
Physiologen Ewald Hering (1870) als "eine allgemeine
Funktion der organisirten Materie" (besser der "lebendigen Sub-
stanz") betrachte. Du Bois-Reymond verwechselt demnach
hier in auffälliger Weise "Seele" und "Bewußtsein"; ich will dahin
gestellt sein lassen, ob er diese Konfusion nur aus Versehen
begeht. Da er selbst das Bewußtsein für eine transscendente Er-

Atomiſtiſche Theorie des Bewußtſeins. X.
pſychiſchen Funktionen höchſt bedenklich erſcheint; man glaubte
daher dieſes Hinderniß am leichteſten dadurch zu überwinden,
daß man ſie als eine Elementar-Eigenſchaft aller Materie an-
nahm, gleich der Maſſen-Anziehung oder der chemiſchen Wahl-
verwandtſchaft. Es würde danach ſo viele Formen des Elementar-
Bewußtſeins geben, als es chemiſche Elemente giebt; jedes Atom
Waſſerſtoff würde ſein hydrogenes Bewußtſein haben, jedes Atom
Kohlenſtoff ſein karboniſches Bewußtſein u. ſ. w. Auch den
alten vier Elementen des Empedokles, deren Miſchung durch
„Lieben und Haſſen“ das Werden der Dinge bewirkt, ſchrieben
manche Philoſophen Bewußtſein zu.

Ich ſelbſt habe dieſe Hypotheſe des Atom-Bewußtſeins
niemals
vertreten; ich bin gezwungen, dies hier beſonders
hervorzuheben, weil E. du Bois-Reymond mir dieſe Anſicht
fälſchlich untergeſchoben hat. In der ſcharfen Polemik, welche
derſelbe (1880) in ſeiner Rede über „die ſieben Welträthſel“
gegen mich führt, bekämpft er meine „verderbliche falſche Natur-
Philoſophie“ auf das Heftigſte und behauptet, ich hätte in
meinem Aufſatz über die Perigeneſis der Plaſtidule die „Annahme,
daß die Atome einzeln Bewußtſein haben, als metaphyſiſches
Axiom hingeſtellt“. Ich habe vielmehr ausdrücklich betont, daß
ich mir die elementaren pſychiſchen Thätigkeiten der Empfindung
und des Willens, die man den Atomen zuſchreiben kann, un-
bewußt
vorſtelle, ebenſo unbewußt wie das elementare Ge-
dächtniß, welches ich nach dem Vorgange des ausgezeichneten
Phyſiologen Ewald Hering (1870) als „eine allgemeine
Funktion der organiſirten Materie“ (beſſer der „lebendigen Sub-
ſtanz“) betrachte. Du Bois-Reymond verwechſelt demnach
hier in auffälliger Weiſe „Seele“ und „Bewußtſein“; ich will dahin
geſtellt ſein laſſen, ob er dieſe Konfuſion nur aus Verſehen
begeht. Da er ſelbſt das Bewußtſein für eine transſcendente Er-

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[206/0222] Atomiſtiſche Theorie des Bewußtſeins. X. pſychiſchen Funktionen höchſt bedenklich erſcheint; man glaubte daher dieſes Hinderniß am leichteſten dadurch zu überwinden, daß man ſie als eine Elementar-Eigenſchaft aller Materie an- nahm, gleich der Maſſen-Anziehung oder der chemiſchen Wahl- verwandtſchaft. Es würde danach ſo viele Formen des Elementar- Bewußtſeins geben, als es chemiſche Elemente giebt; jedes Atom Waſſerſtoff würde ſein hydrogenes Bewußtſein haben, jedes Atom Kohlenſtoff ſein karboniſches Bewußtſein u. ſ. w. Auch den alten vier Elementen des Empedokles, deren Miſchung durch „Lieben und Haſſen“ das Werden der Dinge bewirkt, ſchrieben manche Philoſophen Bewußtſein zu. Ich ſelbſt habe dieſe Hypotheſe des Atom-Bewußtſeins niemals vertreten; ich bin gezwungen, dies hier beſonders hervorzuheben, weil E. du Bois-Reymond mir dieſe Anſicht fälſchlich untergeſchoben hat. In der ſcharfen Polemik, welche derſelbe (1880) in ſeiner Rede über „die ſieben Welträthſel“ gegen mich führt, bekämpft er meine „verderbliche falſche Natur- Philoſophie“ auf das Heftigſte und behauptet, ich hätte in meinem Aufſatz über die Perigeneſis der Plaſtidule die „Annahme, daß die Atome einzeln Bewußtſein haben, als metaphyſiſches Axiom hingeſtellt“. Ich habe vielmehr ausdrücklich betont, daß ich mir die elementaren pſychiſchen Thätigkeiten der Empfindung und des Willens, die man den Atomen zuſchreiben kann, un- bewußt vorſtelle, ebenſo unbewußt wie das elementare Ge- dächtniß, welches ich nach dem Vorgange des ausgezeichneten Phyſiologen Ewald Hering (1870) als „eine allgemeine Funktion der organiſirten Materie“ (beſſer der „lebendigen Sub- ſtanz“) betrachte. Du Bois-Reymond verwechſelt demnach hier in auffälliger Weiſe „Seele“ und „Bewußtſein“; ich will dahin geſtellt ſein laſſen, ob er dieſe Konfuſion nur aus Verſehen begeht. Da er ſelbſt das Bewußtſein für eine transſcendente Er-

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Zitationshilfe: Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899, S. 206. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_weltraethsel_1899/222>, abgerufen am 24.11.2024.