Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899.
Nerven-Seele (Neuropsyche) der Thiere. IX. Die Einrichtung und Thätigkeit dieses Seelen-Apparates pflegtman mit einem elektrischen Telegraphen-System zu vergleichen; die Nerven sind die Leitungsdrähte, das Gehirn die Central- Station, die Muskeln und Sensillen die untergeordneten Lokal- Stationen. Die motorischen Nervenfasern leiten die Willens- Befehle oder Impulse centrifugal von diesem Nervencentrum zu den Muskeln und bewirken durch deren Kontraktion Bewegungen; die sensiblen Nervenfasern dagegen leiten die verschiedenen Em- pfindungen centripetal von den peripheren Sinnesorganen zum Gehirn und statten Bericht ab von den empfangenen Eindrücken der Außenwelt. Die Ganglienzellen oder "Seelenzellen", welche das nervöse Central-Organ zusammensetzen, sind die vollkommensten von allen organischen Elementar-Theilen; denn sie vermitteln nicht nur den Verkehr zwischen den Muskeln und Sinnesorganen, sondern auch die höchsten von allen Leistungen der Thierseele, die Bildung von Vorstellungen und Gedanken, an der Spitze von Allem das Bewußtsein. Die großen Fortschritte der Anatomie und Physiologie, der Jeder der höheren Thierstämme besitzt sein eigenthümliches Nerven-Seele (Neuropſyche) der Thiere. IX. Die Einrichtung und Thätigkeit dieſes Seelen-Apparates pflegtman mit einem elektriſchen Telegraphen-Syſtem zu vergleichen; die Nerven ſind die Leitungsdrähte, das Gehirn die Central- Station, die Muskeln und Senſillen die untergeordneten Lokal- Stationen. Die motoriſchen Nervenfaſern leiten die Willens- Befehle oder Impulſe centrifugal von dieſem Nervencentrum zu den Muskeln und bewirken durch deren Kontraktion Bewegungen; die ſenſiblen Nervenfaſern dagegen leiten die verſchiedenen Em- pfindungen centripetal von den peripheren Sinnesorganen zum Gehirn und ſtatten Bericht ab von den empfangenen Eindrücken der Außenwelt. Die Ganglienzellen oder „Seelenzellen“, welche das nervöſe Central-Organ zuſammenſetzen, ſind die vollkommenſten von allen organiſchen Elementar-Theilen; denn ſie vermitteln nicht nur den Verkehr zwiſchen den Muskeln und Sinnesorganen, ſondern auch die höchſten von allen Leiſtungen der Thierſeele, die Bildung von Vorſtellungen und Gedanken, an der Spitze von Allem das Bewußtſein. Die großen Fortſchritte der Anatomie und Phyſiologie, der Jeder der höheren Thierſtämme beſitzt ſein eigenthümliches <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0204" n="188"/><fw place="top" type="header">Nerven-Seele (Neuropſyche) der Thiere. <hi rendition="#aq">IX.</hi></fw><lb/> Die Einrichtung und Thätigkeit dieſes Seelen-Apparates pflegt<lb/> man mit einem elektriſchen Telegraphen-Syſtem zu vergleichen;<lb/> die Nerven ſind die Leitungsdrähte, das Gehirn die Central-<lb/> Station, die Muskeln und Senſillen die untergeordneten Lokal-<lb/> Stationen. Die motoriſchen Nervenfaſern leiten die Willens-<lb/> Befehle oder Impulſe centrifugal von dieſem Nervencentrum zu<lb/> den Muskeln und bewirken durch deren Kontraktion Bewegungen;<lb/> die ſenſiblen Nervenfaſern dagegen leiten die verſchiedenen Em-<lb/> pfindungen centripetal von den peripheren Sinnesorganen zum<lb/> Gehirn und ſtatten Bericht ab von den empfangenen Eindrücken<lb/> der Außenwelt. Die Ganglienzellen oder „Seelenzellen“, welche<lb/> das nervöſe Central-Organ zuſammenſetzen, ſind die vollkommenſten<lb/> von allen organiſchen Elementar-Theilen; denn ſie vermitteln<lb/> nicht nur den Verkehr zwiſchen den Muskeln und Sinnesorganen,<lb/> ſondern auch die höchſten von allen Leiſtungen der Thierſeele, die<lb/> Bildung von Vorſtellungen und Gedanken, an der Spitze von<lb/> Allem das Bewußtſein.</p><lb/> <p>Die großen Fortſchritte der Anatomie und Phyſiologie, der<lb/> Hiſtologie und Ontogenie haben in der Neuzeit unſere tiefere<lb/> Kenntniß des Seelen-Apparates mit einer Fülle der intereſſanteſten<lb/> Entdeckungen bereichert. Wenn die ſpekulative Philoſophie auch<lb/> nur die wichtigſten von dieſen bedeutungsvollen Erwerbungen der<lb/> empiriſchen Biologie in ſich aufgenommen hätte, müßte ſie heute<lb/> ſchon eine ganz andere Phyſiognomie zeigen, als es leider der<lb/> Fall iſt. Da eine eingehende Beſprechung derſelben uns hier<lb/> zu weit führen würde, beſchränke ich mich darauf, nur die wich-<lb/> tigſten Thatſachen hervorzuheben.</p><lb/> <p>Jeder der höheren Thierſtämme beſitzt ſein eigenthümliches<lb/> Seelen-Organ; in jedem iſt das Central-Nervenſyſtem durch eine<lb/> beſondere Geſtalt, Lage und Zuſammenſetzung ausgezeichnet.<lb/> Unter den ſtrahlig gebauten <hi rendition="#g">Neſſelthieren</hi> <hi rendition="#aq">(Cnidaria)</hi> zeigen<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [188/0204]
Nerven-Seele (Neuropſyche) der Thiere. IX.
Die Einrichtung und Thätigkeit dieſes Seelen-Apparates pflegt
man mit einem elektriſchen Telegraphen-Syſtem zu vergleichen;
die Nerven ſind die Leitungsdrähte, das Gehirn die Central-
Station, die Muskeln und Senſillen die untergeordneten Lokal-
Stationen. Die motoriſchen Nervenfaſern leiten die Willens-
Befehle oder Impulſe centrifugal von dieſem Nervencentrum zu
den Muskeln und bewirken durch deren Kontraktion Bewegungen;
die ſenſiblen Nervenfaſern dagegen leiten die verſchiedenen Em-
pfindungen centripetal von den peripheren Sinnesorganen zum
Gehirn und ſtatten Bericht ab von den empfangenen Eindrücken
der Außenwelt. Die Ganglienzellen oder „Seelenzellen“, welche
das nervöſe Central-Organ zuſammenſetzen, ſind die vollkommenſten
von allen organiſchen Elementar-Theilen; denn ſie vermitteln
nicht nur den Verkehr zwiſchen den Muskeln und Sinnesorganen,
ſondern auch die höchſten von allen Leiſtungen der Thierſeele, die
Bildung von Vorſtellungen und Gedanken, an der Spitze von
Allem das Bewußtſein.
Die großen Fortſchritte der Anatomie und Phyſiologie, der
Hiſtologie und Ontogenie haben in der Neuzeit unſere tiefere
Kenntniß des Seelen-Apparates mit einer Fülle der intereſſanteſten
Entdeckungen bereichert. Wenn die ſpekulative Philoſophie auch
nur die wichtigſten von dieſen bedeutungsvollen Erwerbungen der
empiriſchen Biologie in ſich aufgenommen hätte, müßte ſie heute
ſchon eine ganz andere Phyſiognomie zeigen, als es leider der
Fall iſt. Da eine eingehende Beſprechung derſelben uns hier
zu weit führen würde, beſchränke ich mich darauf, nur die wich-
tigſten Thatſachen hervorzuheben.
Jeder der höheren Thierſtämme beſitzt ſein eigenthümliches
Seelen-Organ; in jedem iſt das Central-Nervenſyſtem durch eine
beſondere Geſtalt, Lage und Zuſammenſetzung ausgezeichnet.
Unter den ſtrahlig gebauten Neſſelthieren (Cnidaria) zeigen
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| Zitationshilfe: | Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899, S. 188. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_weltraethsel_1899/204>, abgerufen am 25.11.2024. |
