Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899.Pflanzen-Seele (Phytopsyche). IX. "logisches Individuum", als wirklichen "Zellenstaat" erscheinenläßt. Sie beherrscht alle die einzelnen "Zellseelen" der socialen Zellen, welche als abhängige "Staatsbürger" den einheitlichen Zellenstaat konstituiren. Diese fundamentale Duplicität der Psyche bei den Metaphyten und bei den niederen, nervenlosen Metazoen ist sehr wichtig; sie wird durch unbefangene Beobachtung und passenden Versuch unmittelbar bewiesen: erstens besitzt jede einzelne Zelle ihre eigene Empfindung und Bewegung, und zweitens zeigt jedes Gewebe und jedes Organ, das aus einer Zahl gleich- artiger Zellen sich zusammensetzt, seine besondere Reizbarkeit und psychische Einheit (z. B. Pollen und Staubgefäße). III. A. Die Pflanzen-Seele (Phytopsyche) ist für uns Pflanzen-Seele (Phytopſyche). IX. „logiſches Individuum“, als wirklichen „Zellenſtaat“ erſcheinenläßt. Sie beherrſcht alle die einzelnen „Zellſeelen“ der ſocialen Zellen, welche als abhängige „Staatsbürger“ den einheitlichen Zellenſtaat konſtituiren. Dieſe fundamentale Duplicität der Pſyche bei den Metaphyten und bei den niederen, nervenloſen Metazoen iſt ſehr wichtig; ſie wird durch unbefangene Beobachtung und paſſenden Verſuch unmittelbar bewieſen: erſtens beſitzt jede einzelne Zelle ihre eigene Empfindung und Bewegung, und zweitens zeigt jedes Gewebe und jedes Organ, das aus einer Zahl gleich- artiger Zellen ſich zuſammenſetzt, ſeine beſondere Reizbarkeit und pſychiſche Einheit (z. B. Pollen und Staubgefäße). III. A. Die Pflanzen-Seele (Phytopſyche) iſt für uns <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0198" n="182"/><fw place="top" type="header">Pflanzen-Seele (Phytopſyche). <hi rendition="#aq">IX.</hi></fw><lb/> „<hi rendition="#g">logiſches Individuum</hi>“, als wirklichen „Zellenſtaat“ erſcheinen<lb/> läßt. Sie beherrſcht alle die einzelnen „Zellſeelen“ der ſocialen<lb/> Zellen, welche als abhängige „Staatsbürger“ den einheitlichen<lb/> Zellenſtaat konſtituiren. Dieſe fundamentale <hi rendition="#g">Duplicität der<lb/> Pſyche</hi> bei den Metaphyten und bei den niederen, nervenloſen<lb/> Metazoen iſt ſehr wichtig; ſie wird durch unbefangene Beobachtung<lb/> und paſſenden Verſuch unmittelbar bewieſen: erſtens beſitzt jede<lb/> einzelne Zelle ihre eigene Empfindung und Bewegung, und zweitens<lb/> zeigt jedes Gewebe und jedes Organ, das aus einer Zahl gleich-<lb/> artiger Zellen ſich zuſammenſetzt, ſeine beſondere Reizbarkeit und<lb/> pſychiſche Einheit (z. B. Pollen und Staubgefäße).</p><lb/> <p><hi rendition="#aq">III. A.</hi><hi rendition="#b">Die Pflanzen-Seele <hi rendition="#aq">(Phytopſyche)</hi></hi> iſt für uns<lb/> der Inbegriff der geſammten pſychiſchen Thätigkeit der gewebe-<lb/> bildenden, <hi rendition="#g">vielzelligen Pflanzen</hi> (<hi rendition="#aq">Metaphyten</hi>, nach Aus-<lb/> ſchluß der einzelligen <hi rendition="#aq">Protophyten</hi>); ſie iſt Gegenſtand der ver-<lb/> ſchiedenſten Beurtheilung bis auf den heutigen Tag geblieben.<lb/> Früher fand man gewöhnlich einen Hauptunterſchied zwiſchen<lb/> Pflanzen und Thieren darin, daß man den letzteren allgemein<lb/> eine „Seele“ zuſchrieb, den erſteren dagegen nicht. Indeſſen<lb/> führte unbefangene Vergleichung der Reizbarkeit und der Be-<lb/> wegungen bei verſchiedenen höheren Pflanzen und niederen Thieren<lb/> ſchon im Anfange des Jahrhunderts einzelne Forſcher zu der<lb/> Ueberzeugung, daß beide gleichmäßig beſeelt ſein müßten. Später<lb/> traten namentlich <hi rendition="#g">Fechner, Leitgeb</hi> u. A. lebhaft für die<lb/> Annahme einer „<hi rendition="#g">Pflanzen-Seele</hi>“ ein. Tieferes Verſtändniß<lb/> derſelben wurde erſt erworben, nachdem durch die <hi rendition="#g">Zellen-<lb/> theorie</hi> (1838) die gleiche Elementar-Struktur in Pflanzen<lb/> und Thieren nachgewieſen und beſonders ſeitdem durch die<lb/><hi rendition="#g">Plasma-Theorie</hi> von <hi rendition="#g">Max Schultze</hi> (1859) das gleiche<lb/> Verhalten des aktiven, lebendigen Protoplasma in beiden er-<lb/> kannt worden war. Die neuere vergleichende Phyſiologie (ſeit<lb/> 30 Jahren) zeigte ſodann, daß das phyſiologiſche Verhalten gegen<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [182/0198]
Pflanzen-Seele (Phytopſyche). IX.
„logiſches Individuum“, als wirklichen „Zellenſtaat“ erſcheinen
läßt. Sie beherrſcht alle die einzelnen „Zellſeelen“ der ſocialen
Zellen, welche als abhängige „Staatsbürger“ den einheitlichen
Zellenſtaat konſtituiren. Dieſe fundamentale Duplicität der
Pſyche bei den Metaphyten und bei den niederen, nervenloſen
Metazoen iſt ſehr wichtig; ſie wird durch unbefangene Beobachtung
und paſſenden Verſuch unmittelbar bewieſen: erſtens beſitzt jede
einzelne Zelle ihre eigene Empfindung und Bewegung, und zweitens
zeigt jedes Gewebe und jedes Organ, das aus einer Zahl gleich-
artiger Zellen ſich zuſammenſetzt, ſeine beſondere Reizbarkeit und
pſychiſche Einheit (z. B. Pollen und Staubgefäße).
III. A. Die Pflanzen-Seele (Phytopſyche) iſt für uns
der Inbegriff der geſammten pſychiſchen Thätigkeit der gewebe-
bildenden, vielzelligen Pflanzen (Metaphyten, nach Aus-
ſchluß der einzelligen Protophyten); ſie iſt Gegenſtand der ver-
ſchiedenſten Beurtheilung bis auf den heutigen Tag geblieben.
Früher fand man gewöhnlich einen Hauptunterſchied zwiſchen
Pflanzen und Thieren darin, daß man den letzteren allgemein
eine „Seele“ zuſchrieb, den erſteren dagegen nicht. Indeſſen
führte unbefangene Vergleichung der Reizbarkeit und der Be-
wegungen bei verſchiedenen höheren Pflanzen und niederen Thieren
ſchon im Anfange des Jahrhunderts einzelne Forſcher zu der
Ueberzeugung, daß beide gleichmäßig beſeelt ſein müßten. Später
traten namentlich Fechner, Leitgeb u. A. lebhaft für die
Annahme einer „Pflanzen-Seele“ ein. Tieferes Verſtändniß
derſelben wurde erſt erworben, nachdem durch die Zellen-
theorie (1838) die gleiche Elementar-Struktur in Pflanzen
und Thieren nachgewieſen und beſonders ſeitdem durch die
Plasma-Theorie von Max Schultze (1859) das gleiche
Verhalten des aktiven, lebendigen Protoplasma in beiden er-
kannt worden war. Die neuere vergleichende Phyſiologie (ſeit
30 Jahren) zeigte ſodann, daß das phyſiologiſche Verhalten gegen
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