Methoden der phyletischen Psychogenie. Die Mittel und Wege, welche zu dem weit entfernten, im Nebel der Zukunft für Viele noch kaum erkennbaren Ziele der phylogenetischen Psychologie hinführen sollen, sind von denjenigen anderer stammesgeschichtlicher Forschungen nicht verschieden. Vor Allem ist auch hier die vergleichende Anatomie, Physiologie und Onto- genie von höchstem Werthe. Aber auch die Paläontologie liefert uns eine Anzahl von sicheren Stützpunkten; denn die Reihenfolge, in welcher die versteinerten Ueberreste der Vertebraten-Klassen nach einander in den Perioden der organischen Erdgeschichte auf- treten, offenbart uns theilweise, zugleich mit deren phyletischem Zusammenhang, auch die stufenweise Ausbildung ihrer Seelen- thätigkeit. Freilich sind wir hier, wie überall bei phylogenetischen Untersuchungen, zur Bildung zahlreicher Hypothesen gezwungen, welche die empfindlichen Lücken der empirischen Stammesurkunden ausfüllen; aber dennoch werfen die letzteren ein so helles und bedeutungsvolles Licht auf die wichtigsten Abstufungen der ge- schichtlichen Entwickelung, daß wir eine befriedigende Einsicht in deren allgemeinen Verlauf gewinnen können.
Hauptstufen der phyletischen Psychogenie. Die ver- gleichende Psychologie des Menschen und der höheren Thiere läßt uns zunächst in den höchsten Gruppen der placentalen Säugethiere, bei den Herrenthieren(Primates), die wichtigen Fortschritte erkennen, durch welche die Menschen-Seele aus der Psyche der Menschen-Affen (Anthropomorpha) hervorgegangen ist. Die Phylogenie der Säugethiere und weiterhin der niederen Wirbelthiere zeigt uns die lange Reihe der älteren Vorfahren der Primaten, welche innerhalb dieses Stammes seit der Silur-Zeit sich entwickelt haben. Alle diese Vertebraten stimmen überein in der Struktur und Entwickelung ihres charakte- ristischen Seelen-Organs, des Markrohrs. Daß dieses "Me- dullar-Rohr" sich aus einem dorsalen Akroganglion oder
Stammesgeſchichte der Seele. IX.
Methoden der phyletiſchen Pſychogenie. Die Mittel und Wege, welche zu dem weit entfernten, im Nebel der Zukunft für Viele noch kaum erkennbaren Ziele der phylogenetiſchen Pſychologie hinführen ſollen, ſind von denjenigen anderer ſtammesgeſchichtlicher Forſchungen nicht verſchieden. Vor Allem iſt auch hier die vergleichende Anatomie, Phyſiologie und Onto- genie von höchſtem Werthe. Aber auch die Paläontologie liefert uns eine Anzahl von ſicheren Stützpunkten; denn die Reihenfolge, in welcher die verſteinerten Ueberreſte der Vertebraten-Klaſſen nach einander in den Perioden der organiſchen Erdgeſchichte auf- treten, offenbart uns theilweiſe, zugleich mit deren phyletiſchem Zuſammenhang, auch die ſtufenweiſe Ausbildung ihrer Seelen- thätigkeit. Freilich ſind wir hier, wie überall bei phylogenetiſchen Unterſuchungen, zur Bildung zahlreicher Hypotheſen gezwungen, welche die empfindlichen Lücken der empiriſchen Stammesurkunden ausfüllen; aber dennoch werfen die letzteren ein ſo helles und bedeutungsvolles Licht auf die wichtigſten Abſtufungen der ge- ſchichtlichen Entwickelung, daß wir eine befriedigende Einſicht in deren allgemeinen Verlauf gewinnen können.
Hauptſtufen der phyletiſchen Pſychogenie. Die ver- gleichende Pſychologie des Menſchen und der höheren Thiere läßt uns zunächſt in den höchſten Gruppen der placentalen Säugethiere, bei den Herrenthieren(Primateſ), die wichtigen Fortſchritte erkennen, durch welche die Menſchen-Seele aus der Pſyche der Menſchen-Affen (Anthropomorpha) hervorgegangen iſt. Die Phylogenie der Säugethiere und weiterhin der niederen Wirbelthiere zeigt uns die lange Reihe der älteren Vorfahren der Primaten, welche innerhalb dieſes Stammes ſeit der Silur-Zeit ſich entwickelt haben. Alle dieſe Vertebraten ſtimmen überein in der Struktur und Entwickelung ihres charakte- riſtiſchen Seelen-Organs, des Markrohrs. Daß dieſes „Me- dullar-Rohr“ ſich aus einem dorſalen Akroganglion oder
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Stammesgeſchichte der Seele. IX.
Methoden der phyletiſchen Pſychogenie. Die Mittel
und Wege, welche zu dem weit entfernten, im Nebel der Zukunft
für Viele noch kaum erkennbaren Ziele der phylogenetiſchen
Pſychologie hinführen ſollen, ſind von denjenigen anderer
ſtammesgeſchichtlicher Forſchungen nicht verſchieden. Vor Allem
iſt auch hier die vergleichende Anatomie, Phyſiologie und Onto-
genie von höchſtem Werthe. Aber auch die Paläontologie liefert
uns eine Anzahl von ſicheren Stützpunkten; denn die Reihenfolge,
in welcher die verſteinerten Ueberreſte der Vertebraten-Klaſſen
nach einander in den Perioden der organiſchen Erdgeſchichte auf-
treten, offenbart uns theilweiſe, zugleich mit deren phyletiſchem
Zuſammenhang, auch die ſtufenweiſe Ausbildung ihrer Seelen-
thätigkeit. Freilich ſind wir hier, wie überall bei phylogenetiſchen
Unterſuchungen, zur Bildung zahlreicher Hypotheſen gezwungen,
welche die empfindlichen Lücken der empiriſchen Stammesurkunden
ausfüllen; aber dennoch werfen die letzteren ein ſo helles und
bedeutungsvolles Licht auf die wichtigſten Abſtufungen der ge-
ſchichtlichen Entwickelung, daß wir eine befriedigende Einſicht
in deren allgemeinen Verlauf gewinnen können.
Hauptſtufen der phyletiſchen Pſychogenie. Die ver-
gleichende Pſychologie des Menſchen und der höheren Thiere
läßt uns zunächſt in den höchſten Gruppen der placentalen
Säugethiere, bei den Herrenthieren (Primateſ), die wichtigen
Fortſchritte erkennen, durch welche die Menſchen-Seele aus der
Pſyche der Menſchen-Affen (Anthropomorpha) hervorgegangen
iſt. Die Phylogenie der Säugethiere und weiterhin der
niederen Wirbelthiere zeigt uns die lange Reihe der älteren
Vorfahren der Primaten, welche innerhalb dieſes Stammes ſeit
der Silur-Zeit ſich entwickelt haben. Alle dieſe Vertebraten
ſtimmen überein in der Struktur und Entwickelung ihres charakte-
riſtiſchen Seelen-Organs, des Markrohrs. Daß dieſes „Me-
dullar-Rohr“ ſich aus einem dorſalen Akroganglion oder
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Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899, S. 174. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_weltraethsel_1899/190>, abgerufen am 25.11.2024.
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