Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899.VII. Stufenleiter des Gemüthes. hier der direkte Zusammenhang der Gehirnfunktion mit anderenphysiologischen Funktionen (Herzschlag, Sinnesthätigkeit, Muskel- bewegung) unmittelbar einleuchtet; dadurch wird hier besonders das Widernatürliche und Unhaltbare jener Philosophie klar, welche die Psychologie principiell von der Physiologie trennen will. Alle die zahlreichen Aeußerungen des Gemüthslebens, welche wir beim Menschen finden, kommen auch bei den höheren Thieren vor (besonders bei den Menschenaffen und Hunden); so verschiedenartig sie auch entwickelt sind, so lassen sich doch alle wieder auf die beiden Elementar-Funktionen der Psyche zurückführen, auf Empfindung und Bewegung, und auf deren Verbindung im Reflex und in der Vorstellung. Zum Gebiete der Empfindung im weiteren Sinne gehört das Gefühl von Lust und Unlust, welches das Gemüth bestimmt, und ebenso gehört auf der anderen Seite zum Gebiete der Bewegung die entsprechende Zuneigung und Abneigung ("Liebe und Haß"), das Streben nach Erlangen der Lust und nach Vermeiden der Unlust. "Anziehung und Abstoßung" erscheinen hier zugleich als die Urquelle des Willens, jenes hochwichtigen Seelen- Elementes, welches den Charakter des Individuums bestimmt. Die Leidenschaften, welche eine so große Rolle im höheren Seelenleben des Menschen spielen, sind nur Steigerungen der "Gemüthsbewegungen" und Affekte. Daß auch diese den Menschen und Thieren gemeinsam sind, hat Romanes neuerdings ein- leuchtend gezeigt. Auf der tiefsten Stufe des organischen Lebens schon finden wir bei allen Protisten jene elementaren Gefühle von Lust und Unlust, welche sich in ihren sogenannten Tro- pismen äußeren, in dem Streben nach Licht oder Dunkel- heit, nach Wärme oder Kälte, in dem verschiedenen Verhalten gegen positive und negative Elektricität. Auf der höchsten Stufe des Seelenlebens dagegen treffen wir beim Kulturmenschen jene feinsten Gefühlstöne und Abstufungen von Entzücken und Abscheu, 10 *
VII. Stufenleiter des Gemüthes. hier der direkte Zuſammenhang der Gehirnfunktion mit anderenphyſiologiſchen Funktionen (Herzſchlag, Sinnesthätigkeit, Muskel- bewegung) unmittelbar einleuchtet; dadurch wird hier beſonders das Widernatürliche und Unhaltbare jener Philoſophie klar, welche die Pſychologie principiell von der Phyſiologie trennen will. Alle die zahlreichen Aeußerungen des Gemüthslebens, welche wir beim Menſchen finden, kommen auch bei den höheren Thieren vor (beſonders bei den Menſchenaffen und Hunden); ſo verſchiedenartig ſie auch entwickelt ſind, ſo laſſen ſich doch alle wieder auf die beiden Elementar-Funktionen der Pſyche zurückführen, auf Empfindung und Bewegung, und auf deren Verbindung im Reflex und in der Vorſtellung. Zum Gebiete der Empfindung im weiteren Sinne gehört das Gefühl von Luſt und Unluſt, welches das Gemüth beſtimmt, und ebenſo gehört auf der anderen Seite zum Gebiete der Bewegung die entſprechende Zuneigung und Abneigung („Liebe und Haß“), das Streben nach Erlangen der Luſt und nach Vermeiden der Unluſt. „Anziehung und Abſtoßung“ erſcheinen hier zugleich als die Urquelle des Willens, jenes hochwichtigen Seelen- Elementes, welches den Charakter des Individuums beſtimmt. Die Leidenſchaften, welche eine ſo große Rolle im höheren Seelenleben des Menſchen ſpielen, ſind nur Steigerungen der „Gemüthsbewegungen“ und Affekte. Daß auch dieſe den Menſchen und Thieren gemeinſam ſind, hat Romanes neuerdings ein- leuchtend gezeigt. Auf der tiefſten Stufe des organiſchen Lebens ſchon finden wir bei allen Protiſten jene elementaren Gefühle von Luſt und Unluſt, welche ſich in ihren ſogenannten Tro- pismen äußeren, in dem Streben nach Licht oder Dunkel- heit, nach Wärme oder Kälte, in dem verſchiedenen Verhalten gegen poſitive und negative Elektricität. Auf der höchſten Stufe des Seelenlebens dagegen treffen wir beim Kulturmenſchen jene feinſten Gefühlstöne und Abſtufungen von Entzücken und Abſcheu, 10 *
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VII. Stufenleiter des Gemüthes.
hier der direkte Zuſammenhang der Gehirnfunktion mit anderen
phyſiologiſchen Funktionen (Herzſchlag, Sinnesthätigkeit, Muskel-
bewegung) unmittelbar einleuchtet; dadurch wird hier beſonders
das Widernatürliche und Unhaltbare jener Philoſophie klar,
welche die Pſychologie principiell von der Phyſiologie trennen
will. Alle die zahlreichen Aeußerungen des Gemüthslebens,
welche wir beim Menſchen finden, kommen auch bei den höheren
Thieren vor (beſonders bei den Menſchenaffen und Hunden);
ſo verſchiedenartig ſie auch entwickelt ſind, ſo laſſen ſich doch alle
wieder auf die beiden Elementar-Funktionen der Pſyche
zurückführen, auf Empfindung und Bewegung, und auf deren
Verbindung im Reflex und in der Vorſtellung. Zum Gebiete
der Empfindung im weiteren Sinne gehört das Gefühl von
Luſt und Unluſt, welches das Gemüth beſtimmt, und ebenſo
gehört auf der anderen Seite zum Gebiete der Bewegung die
entſprechende Zuneigung und Abneigung („Liebe und
Haß“), das Streben nach Erlangen der Luſt und nach Vermeiden
der Unluſt. „Anziehung und Abſtoßung“ erſcheinen hier zugleich
als die Urquelle des Willens, jenes hochwichtigen Seelen-
Elementes, welches den Charakter des Individuums beſtimmt.
Die Leidenſchaften, welche eine ſo große Rolle im höheren
Seelenleben des Menſchen ſpielen, ſind nur Steigerungen der
„Gemüthsbewegungen“ und Affekte. Daß auch dieſe den Menſchen
und Thieren gemeinſam ſind, hat Romanes neuerdings ein-
leuchtend gezeigt. Auf der tiefſten Stufe des organiſchen Lebens
ſchon finden wir bei allen Protiſten jene elementaren Gefühle
von Luſt und Unluſt, welche ſich in ihren ſogenannten Tro-
pismen äußeren, in dem Streben nach Licht oder Dunkel-
heit, nach Wärme oder Kälte, in dem verſchiedenen Verhalten
gegen poſitive und negative Elektricität. Auf der höchſten Stufe
des Seelenlebens dagegen treffen wir beim Kulturmenſchen jene
feinſten Gefühlstöne und Abſtufungen von Entzücken und Abſcheu,
10 *
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