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Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899.

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VII. Stufenleiter des Gedächtnisses.
Gedächtnisses; diese höchst wichtige Funktion des Psychoplasma,
-- die Bedingung aller fortschreitenden Seelen-Entwickelung --
ist ja im Wesentlichen Reproduktion von Vorstellungen.
Die Eindrücke im Bioplasma, welche der Reiz als Empfindung
bewirkt hatte, und welche bleibend zu Vorstellungen geworden
waren, werden durch das Gedächtniß neu belebt; sie gehen aus
dem potentiellen in den aktuellen Zustand über. Die latente
"Spannkraft" im Psychoplasma verwandelt sich in aktive
"lebendige Kraft". Entsprechend den vier Stufen der Vor-
stellung können wir auch beim Gedächtniß vier Hauptstufen der
aufsteigenden Entwickelung unterscheiden.

I. Cellular-Gedächtniß. Schon vor dreißig Jahren hat
Ewald Hering in einer gedankenreichen Abhandlung "das
Gedächtniß als eine allgemeine Funktion der organisirten Materie"
bezeichnet und die hohe Bedeutung dieser Seelenthätigkeit hervor-
gehoben, "der wir fast Alles verdanken, was wir sind und
haben" (1870). Ich habe später (1876) diesen Gedanken weiter
ausgeführt und in seiner fruchtbaren Anwendung auf die Ent-
wickelungslehre zu begründen versucht, in meiner Abhandlung
über "Die Perigenesis der Plastidule oder die Wellenzeugung
der Lebenstheilchen; ein Versuch zur mechanischen Erklärung der
elementaren Entwickelungs-Vorgänge" *) Ich habe dort das "un-
bewußte Gedächtniß" als eine allgemeine höchst wichtige Funktion
aller Plastidule nachzuweisen gesucht, d. h. jener hypothetischen
Molekeln oder Molekel-Gruppen, welche von Naegeli als
Micellen, von Anderen als Bioplasten u. s. w. bezeichnet
worden sind. Nur die lebendigen Plastidule, als die indi-
viduellen Molekeln des aktiven Plasma, sind reproduktiv und
besitzen somit Gedächtniß; das ist der Hauptunterschied der orga-
nischen Natur von der anorganischen. Man kann sagen: "Die

*) E. Haeckel, Gesammelte populäre Vorträge. Zweites Heft. 1879.

VII. Stufenleiter des Gedächtniſſes.
Gedächtniſſes; dieſe höchſt wichtige Funktion des Pſychoplasma,
— die Bedingung aller fortſchreitenden Seelen-Entwickelung —
iſt ja im Weſentlichen Reproduktion von Vorſtellungen.
Die Eindrücke im Bioplasma, welche der Reiz als Empfindung
bewirkt hatte, und welche bleibend zu Vorſtellungen geworden
waren, werden durch das Gedächtniß neu belebt; ſie gehen aus
dem potentiellen in den aktuellen Zuſtand über. Die latente
„Spannkraft“ im Pſychoplasma verwandelt ſich in aktive
„lebendige Kraft“. Entſprechend den vier Stufen der Vor-
ſtellung können wir auch beim Gedächtniß vier Hauptſtufen der
aufſteigenden Entwickelung unterſcheiden.

I. Cellular-Gedächtniß. Schon vor dreißig Jahren hat
Ewald Hering in einer gedankenreichen Abhandlung „das
Gedächtniß als eine allgemeine Funktion der organiſirten Materie“
bezeichnet und die hohe Bedeutung dieſer Seelenthätigkeit hervor-
gehoben, „der wir faſt Alles verdanken, was wir ſind und
haben“ (1870). Ich habe ſpäter (1876) dieſen Gedanken weiter
ausgeführt und in ſeiner fruchtbaren Anwendung auf die Ent-
wickelungslehre zu begründen verſucht, in meiner Abhandlung
über „Die Perigeneſis der Plaſtidule oder die Wellenzeugung
der Lebenstheilchen; ein Verſuch zur mechaniſchen Erklärung der
elementaren Entwickelungs-Vorgänge“ *) Ich habe dort das „un-
bewußte Gedächtniß“ als eine allgemeine höchſt wichtige Funktion
aller Plaſtidule nachzuweiſen geſucht, d. h. jener hypothetiſchen
Molekeln oder Molekel-Gruppen, welche von Naegeli als
Micellen, von Anderen als Bioplaſten u. ſ. w. bezeichnet
worden ſind. Nur die lebendigen Plaſtidule, als die indi-
viduellen Molekeln des aktiven Plasma, ſind reproduktiv und
beſitzen ſomit Gedächtniß; das iſt der Hauptunterſchied der orga-
niſchen Natur von der anorganiſchen. Man kann ſagen: „Die

*) E. Haeckel, Geſammelte populäre Vorträge. Zweites Heft. 1879.
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[139/0155] VII. Stufenleiter des Gedächtniſſes. Gedächtniſſes; dieſe höchſt wichtige Funktion des Pſychoplasma, — die Bedingung aller fortſchreitenden Seelen-Entwickelung — iſt ja im Weſentlichen Reproduktion von Vorſtellungen. Die Eindrücke im Bioplasma, welche der Reiz als Empfindung bewirkt hatte, und welche bleibend zu Vorſtellungen geworden waren, werden durch das Gedächtniß neu belebt; ſie gehen aus dem potentiellen in den aktuellen Zuſtand über. Die latente „Spannkraft“ im Pſychoplasma verwandelt ſich in aktive „lebendige Kraft“. Entſprechend den vier Stufen der Vor- ſtellung können wir auch beim Gedächtniß vier Hauptſtufen der aufſteigenden Entwickelung unterſcheiden. I. Cellular-Gedächtniß. Schon vor dreißig Jahren hat Ewald Hering in einer gedankenreichen Abhandlung „das Gedächtniß als eine allgemeine Funktion der organiſirten Materie“ bezeichnet und die hohe Bedeutung dieſer Seelenthätigkeit hervor- gehoben, „der wir faſt Alles verdanken, was wir ſind und haben“ (1870). Ich habe ſpäter (1876) dieſen Gedanken weiter ausgeführt und in ſeiner fruchtbaren Anwendung auf die Ent- wickelungslehre zu begründen verſucht, in meiner Abhandlung über „Die Perigeneſis der Plaſtidule oder die Wellenzeugung der Lebenstheilchen; ein Verſuch zur mechaniſchen Erklärung der elementaren Entwickelungs-Vorgänge“ *) Ich habe dort das „un- bewußte Gedächtniß“ als eine allgemeine höchſt wichtige Funktion aller Plaſtidule nachzuweiſen geſucht, d. h. jener hypothetiſchen Molekeln oder Molekel-Gruppen, welche von Naegeli als Micellen, von Anderen als Bioplaſten u. ſ. w. bezeichnet worden ſind. Nur die lebendigen Plaſtidule, als die indi- viduellen Molekeln des aktiven Plasma, ſind reproduktiv und beſitzen ſomit Gedächtniß; das iſt der Hauptunterſchied der orga- niſchen Natur von der anorganiſchen. Man kann ſagen: „Die *) E. Haeckel, Geſammelte populäre Vorträge. Zweites Heft. 1879.

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Zitationshilfe: Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899, S. 139. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_weltraethsel_1899/155>, abgerufen am 27.11.2024.