es sich bei den höheren Thieren, bei denen ein centralisirtes Nervensystem und vollkommene Sinnesorgane entwickelt sind. Hier hat sich aus der psychischen Reflex-Thätigkeit allmählich das Bewußtsein entwickelt, und nunmehr treten die bewußten Willenshandlungen in Gegensatz zu den daneben noch fort- bestehenden Reflex-Handlungen. Wir müssen aber hier, ebenso wie bei den Instinkten, zwei wesentlich verschiedene Erscheinungen trennen, die primären und die sekundären Reflexe. Primäre Reflexe sind solche, die phyletisch niemals bewußt gewesen sind, also die ursprüngliche Natur (durch Vererbung von niederen Thier-Ahnen) beibehalten haben. Sekundäre Reflexe dagegen sind solche, die bei den Voreltern bewußte Willens- handlungen waren, aber später durch Gewohnheit oder Ausfall des Bewußtseins zu unbewußten geworden sind. Eine scharfe Grenze ist hier -- wie überall -- zwischen bewußten und un- bewußten Seelenfunktionen nicht zu ziehen.
Skala der Vorstellungen(Dokesen). Aeltere Psychologen (z. B. Herbart) haben die "Vorstellung" als das seelische Grundphänomen betrachtet, aus dem alle übrigen abzuleiten seien. Die moderne vergleichende Psychologie acceptirt diese Anschauung, soweit es sich um den Begriff der unbewußten Vorstellung handelt; dagegen erblickt sie in der bewußten Vorstellung eine sekundäre Erscheinung des Seelenlebens, welche bei den Pflanzen und den niederen Thieren noch ganz fehlt und nur bei den höheren Thieren zur Ausbildung gelangt. Unter den zahlreichen widersprechenden Definitionen, welche die Psychologen vom Begriffe der "Vorstellung" (Dokesis) ge- geben haben, halten wir diejenige für die zweckmäßigste, welche darin das innere Bild des äußeren Objektes erblickt, welches durch die Empfindung uns übermittelt ist ("Idee" in gewissem Sinne). Wir unterscheiden in der aufsteigenden Stufenleiter der Vorstellungs-Funktion die folgenden vier Hauptstufen:
Primäre und ſekundäre Reflexe. VII.
es ſich bei den höheren Thieren, bei denen ein centraliſirtes Nervenſyſtem und vollkommene Sinnesorgane entwickelt ſind. Hier hat ſich aus der pſychiſchen Reflex-Thätigkeit allmählich das Bewußtſein entwickelt, und nunmehr treten die bewußten Willenshandlungen in Gegenſatz zu den daneben noch fort- beſtehenden Reflex-Handlungen. Wir müſſen aber hier, ebenſo wie bei den Inſtinkten, zwei weſentlich verſchiedene Erſcheinungen trennen, die primären und die ſekundären Reflexe. Primäre Reflexe ſind ſolche, die phyletiſch niemals bewußt geweſen ſind, alſo die urſprüngliche Natur (durch Vererbung von niederen Thier-Ahnen) beibehalten haben. Sekundäre Reflexe dagegen ſind ſolche, die bei den Voreltern bewußte Willens- handlungen waren, aber ſpäter durch Gewohnheit oder Ausfall des Bewußtſeins zu unbewußten geworden ſind. Eine ſcharfe Grenze iſt hier — wie überall — zwiſchen bewußten und un- bewußten Seelenfunktionen nicht zu ziehen.
Skala der Vorſtellungen(Dokeſen). Aeltere Pſychologen (z. B. Herbart) haben die „Vorſtellung“ als das ſeeliſche Grundphänomen betrachtet, aus dem alle übrigen abzuleiten ſeien. Die moderne vergleichende Pſychologie acceptirt dieſe Anſchauung, ſoweit es ſich um den Begriff der unbewußten Vorſtellung handelt; dagegen erblickt ſie in der bewußten Vorſtellung eine ſekundäre Erſcheinung des Seelenlebens, welche bei den Pflanzen und den niederen Thieren noch ganz fehlt und nur bei den höheren Thieren zur Ausbildung gelangt. Unter den zahlreichen widerſprechenden Definitionen, welche die Pſychologen vom Begriffe der „Vorſtellung“ (Dokeſiſ) ge- geben haben, halten wir diejenige für die zweckmäßigſte, welche darin das innere Bild des äußeren Objektes erblickt, welches durch die Empfindung uns übermittelt iſt („Idee“ in gewiſſem Sinne). Wir unterſcheiden in der aufſteigenden Stufenleiter der Vorſtellungs-Funktion die folgenden vier Hauptſtufen:
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Primäre und ſekundäre Reflexe. VII.
es ſich bei den höheren Thieren, bei denen ein centraliſirtes
Nervenſyſtem und vollkommene Sinnesorgane entwickelt ſind.
Hier hat ſich aus der pſychiſchen Reflex-Thätigkeit allmählich
das Bewußtſein entwickelt, und nunmehr treten die bewußten
Willenshandlungen in Gegenſatz zu den daneben noch fort-
beſtehenden Reflex-Handlungen. Wir müſſen aber hier, ebenſo
wie bei den Inſtinkten, zwei weſentlich verſchiedene Erſcheinungen
trennen, die primären und die ſekundären Reflexe. Primäre
Reflexe ſind ſolche, die phyletiſch niemals bewußt geweſen
ſind, alſo die urſprüngliche Natur (durch Vererbung von niederen
Thier-Ahnen) beibehalten haben. Sekundäre Reflexe
dagegen ſind ſolche, die bei den Voreltern bewußte Willens-
handlungen waren, aber ſpäter durch Gewohnheit oder Ausfall
des Bewußtſeins zu unbewußten geworden ſind. Eine ſcharfe
Grenze iſt hier — wie überall — zwiſchen bewußten und un-
bewußten Seelenfunktionen nicht zu ziehen.
Skala der Vorſtellungen (Dokeſen). Aeltere Pſychologen
(z. B. Herbart) haben die „Vorſtellung“ als das ſeeliſche
Grundphänomen betrachtet, aus dem alle übrigen abzuleiten
ſeien. Die moderne vergleichende Pſychologie acceptirt dieſe
Anſchauung, ſoweit es ſich um den Begriff der unbewußten
Vorſtellung handelt; dagegen erblickt ſie in der bewußten
Vorſtellung eine ſekundäre Erſcheinung des Seelenlebens, welche
bei den Pflanzen und den niederen Thieren noch ganz fehlt und
nur bei den höheren Thieren zur Ausbildung gelangt. Unter
den zahlreichen widerſprechenden Definitionen, welche die
Pſychologen vom Begriffe der „Vorſtellung“ (Dokeſiſ) ge-
geben haben, halten wir diejenige für die zweckmäßigſte, welche
darin das innere Bild des äußeren Objektes erblickt, welches
durch die Empfindung uns übermittelt iſt („Idee“ in gewiſſem
Sinne). Wir unterſcheiden in der aufſteigenden Stufenleiter
der Vorſtellungs-Funktion die folgenden vier Hauptſtufen:
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Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899, S. 136. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_weltraethsel_1899/152>, abgerufen am 16.07.2024.
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