im Allgemeinen die Grundsätze unseres Monismus vertrat, je mehr er selbst zur Widerlegung des Vitalismus und der trans- scendenten Lebens-Auffassung beigetragen hatte, desto lauter war das Triumph-Geschrei der Gegner, als er 1872 in seiner wir- kungsvollen Ignorabimus-Rede das "Bewußtsein" als ein unlösbares Welträthsel hingestellt und als eine übernatürliche Erscheinung den anderen Gehirn-Funktionen gegenüber gestellt hatte. Ich komme später (im 10. Kapitel) darauf zurück.
Objektive und subjektive Psychologie. Die eigenthümliche Natur vieler Seelen-Erscheinungen, und vor Allem des Bewußt- seins, bedingt gewisse Abänderungen und Modifikationen unserer naturwissenschaftlichen Untersuchungs-Methoden. Besonders wichtig ist hier der Umstand, daß zu der gewöhnlichen, objektiven, äußeren Beobachtung noch die introspektive Methode treten muß, die subjektive, innere Beobachtung, welche die Spiegelung unsers "Ich" im Bewußtsein bedingt. Von dieser "unmittelbaren Gewißheit des Ich" gingen die meisten Psycho- logen aus: "Cogito, ergo sum!" "Ich denke, also bin Ich." Wir werden daher zunächst auf diesen Erkenntniß-Weg, und dann erst auf die anderen, ihn ergänzenden Methoden einen Blick werfen.
Introspektive Psychologie (Selbstbeobachtung der Seele). Der weitaus größte Theil aller derjenigen Kenntnisse, welche seit Jahrtausenden in unzähligen Schriften über das menschliche Seelenleben niedergelegt sind, beruht auf introspektiver Seelen- forschung, d. h. auf Selbstbeobachtung, und auf Schlüssen, welche wir aus der Association und Kritik dieser subjektiven, "inneren Erfahrungen" ziehen. Für einen wichtigen Theil der Seelenlehre ist dieser introspektive Weg überhaupt der einzig mögliche, vor Allem für die Erforschung des Bewußtseins; diese Gehirn-Funktion nimmt daher eine ganz eigenthümliche Stellung ein und ist mehr als jede andere die Quelle unzähliger
Methoden der ſubjektiven Pſychologie. VI.
im Allgemeinen die Grundſätze unſeres Monismus vertrat, je mehr er ſelbſt zur Widerlegung des Vitalismus und der trans- ſcendenten Lebens-Auffaſſung beigetragen hatte, deſto lauter war das Triumph-Geſchrei der Gegner, als er 1872 in ſeiner wir- kungsvollen Ignorabimus-Rede das „Bewußtſein“ als ein unlösbares Welträthſel hingeſtellt und als eine übernatürliche Erſcheinung den anderen Gehirn-Funktionen gegenüber geſtellt hatte. Ich komme ſpäter (im 10. Kapitel) darauf zurück.
Objektive und ſubjektive Pſychologie. Die eigenthümliche Natur vieler Seelen-Erſcheinungen, und vor Allem des Bewußt- ſeins, bedingt gewiſſe Abänderungen und Modifikationen unſerer naturwiſſenſchaftlichen Unterſuchungs-Methoden. Beſonders wichtig iſt hier der Umſtand, daß zu der gewöhnlichen, objektiven, äußeren Beobachtung noch die introſpektive Methode treten muß, die ſubjektive, innere Beobachtung, welche die Spiegelung unſers „Ich“ im Bewußtſein bedingt. Von dieſer „unmittelbaren Gewißheit des Ich“ gingen die meiſten Pſycho- logen aus: „Cogito, ergo ſum!“ „Ich denke, alſo bin Ich.“ Wir werden daher zunächſt auf dieſen Erkenntniß-Weg, und dann erſt auf die anderen, ihn ergänzenden Methoden einen Blick werfen.
Introſpektive Pſychologie (Selbſtbeobachtung der Seele). Der weitaus größte Theil aller derjenigen Kenntniſſe, welche ſeit Jahrtauſenden in unzähligen Schriften über das menſchliche Seelenleben niedergelegt ſind, beruht auf introſpektiver Seelen- forſchung, d. h. auf Selbſtbeobachtung, und auf Schlüſſen, welche wir aus der Aſſociation und Kritik dieſer ſubjektiven, „inneren Erfahrungen“ ziehen. Für einen wichtigen Theil der Seelenlehre iſt dieſer introſpektive Weg überhaupt der einzig mögliche, vor Allem für die Erforſchung des Bewußtſeins; dieſe Gehirn-Funktion nimmt daher eine ganz eigenthümliche Stellung ein und iſt mehr als jede andere die Quelle unzähliger
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Methoden der ſubjektiven Pſychologie. VI.
im Allgemeinen die Grundſätze unſeres Monismus vertrat, je
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ſcendenten Lebens-Auffaſſung beigetragen hatte, deſto lauter war
das Triumph-Geſchrei der Gegner, als er 1872 in ſeiner wir-
kungsvollen Ignorabimus-Rede das „Bewußtſein“ als ein
unlösbares Welträthſel hingeſtellt und als eine übernatürliche
Erſcheinung den anderen Gehirn-Funktionen gegenüber geſtellt
hatte. Ich komme ſpäter (im 10. Kapitel) darauf zurück.
Objektive und ſubjektive Pſychologie. Die eigenthümliche
Natur vieler Seelen-Erſcheinungen, und vor Allem des Bewußt-
ſeins, bedingt gewiſſe Abänderungen und Modifikationen unſerer
naturwiſſenſchaftlichen Unterſuchungs-Methoden. Beſonders wichtig
iſt hier der Umſtand, daß zu der gewöhnlichen, objektiven,
äußeren Beobachtung noch die introſpektive Methode
treten muß, die ſubjektive, innere Beobachtung, welche die
Spiegelung unſers „Ich“ im Bewußtſein bedingt. Von dieſer
„unmittelbaren Gewißheit des Ich“ gingen die meiſten Pſycho-
logen aus: „Cogito, ergo ſum!“ „Ich denke, alſo bin
Ich.“ Wir werden daher zunächſt auf dieſen Erkenntniß-Weg,
und dann erſt auf die anderen, ihn ergänzenden Methoden einen
Blick werfen.
Introſpektive Pſychologie (Selbſtbeobachtung der Seele).
Der weitaus größte Theil aller derjenigen Kenntniſſe, welche ſeit
Jahrtauſenden in unzähligen Schriften über das menſchliche
Seelenleben niedergelegt ſind, beruht auf introſpektiver Seelen-
forſchung, d. h. auf Selbſtbeobachtung, und auf Schlüſſen,
welche wir aus der Aſſociation und Kritik dieſer ſubjektiven,
„inneren Erfahrungen“ ziehen. Für einen wichtigen Theil der
Seelenlehre iſt dieſer introſpektive Weg überhaupt der einzig
mögliche, vor Allem für die Erforſchung des Bewußtſeins;
dieſe Gehirn-Funktion nimmt daher eine ganz eigenthümliche
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Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899, S. 110. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_weltraethsel_1899/126>, abgerufen am 23.07.2024.
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