Stammesgeschichte (Phylogenie) (1866). Unter den zahl- reichen und wichtigen Aufgaben, welche Darwin der modernen Biologie stellte, erschien als eine der nächsten die Reform des zoologischen und botanischen Systems. Wenn die unzähligen Thier- und Pflanzen-Arten nicht durch übernatürliche Wunder "erschaffen", sondern durch natürliche Umbildung "entwickelt" waren, so ergab sich das "natürliche System" derselben als ihr Stammbaum. Den ersten Versuch, das System in diesem Sinne umzugestalten, unternahm ich selbst (1866) in meiner "Generellen Morphologie der Organismen". Der erste Band dieses Werkes (Allgemeine Anatomie) behandelte die "mechanische Wissenschaft von den entwickelten Formen", der zweite Band (Allgemeine Entwickelungsgeschichte) diejenige von den "entstehenden Formen". Die systematische Einleitung in die letztere bildete eine "Genealogische Uebersicht des natürlichen Systems der Organismen". Bis dahin hatte man unter "Ent- wickelungsgeschichte" sowohl in der Zoologie als in der Botanik ausschließlich diejenige der organischen Individuen verstanden (Embryologie und Metamorphosen-Lehre). Ich be- gründete dagegen die Ansicht, daß dieser Keimesgeschichte (Ontogenie) als zweiter, gleichberechtigter und eng verbundener Zweig die Stammesgeschichte(Phylogenie) gegenüberstehe. Beide Zweige der Entwickelungsgeschichte stehen nach meiner Auffassung im engsten kausalen Zusammenhang; dieser beruht auf der Wechselwirkung der Vererbungs- und Anpassungs-Gesetze; er fand seinen präcisen und umfassenden Ausdruck in meinem "biogenetischen Grundgesetze".
Natürliche Schöpfungsgeschichte (1868). Da die neuen, in der "Generellen Morphologie" niedergelegten Anschauungen trotz ihrer streng wissenschaftlichen Fassung bei den sachkundigen Fachgenossen sehr wenig Beachtung und noch weniger Beifall fanden, versuchte ich, den wichtigsten Theil derselben in einem
Begründung der Stammesgeſchichte. V.
Stammesgeſchichte (Phylogenie) (1866). Unter den zahl- reichen und wichtigen Aufgaben, welche Darwin der modernen Biologie ſtellte, erſchien als eine der nächſten die Reform des zoologiſchen und botaniſchen Syſtems. Wenn die unzähligen Thier- und Pflanzen-Arten nicht durch übernatürliche Wunder „erſchaffen“, ſondern durch natürliche Umbildung „entwickelt“ waren, ſo ergab ſich das „natürliche Syſtem“ derſelben als ihr Stammbaum. Den erſten Verſuch, das Syſtem in dieſem Sinne umzugeſtalten, unternahm ich ſelbſt (1866) in meiner „Generellen Morphologie der Organismen“. Der erſte Band dieſes Werkes (Allgemeine Anatomie) behandelte die „mechaniſche Wiſſenſchaft von den entwickelten Formen“, der zweite Band (Allgemeine Entwickelungsgeſchichte) diejenige von den „entſtehenden Formen“. Die ſyſtematiſche Einleitung in die letztere bildete eine „Genealogiſche Ueberſicht des natürlichen Syſtems der Organismen“. Bis dahin hatte man unter „Ent- wickelungsgeſchichte“ ſowohl in der Zoologie als in der Botanik ausſchließlich diejenige der organiſchen Individuen verſtanden (Embryologie und Metamorphoſen-Lehre). Ich be- gründete dagegen die Anſicht, daß dieſer Keimesgeſchichte (Ontogenie) als zweiter, gleichberechtigter und eng verbundener Zweig die Stammesgeſchichte(Phylogenie) gegenüberſtehe. Beide Zweige der Entwickelungsgeſchichte ſtehen nach meiner Auffaſſung im engſten kauſalen Zuſammenhang; dieſer beruht auf der Wechſelwirkung der Vererbungs- und Anpaſſungs-Geſetze; er fand ſeinen präciſen und umfaſſenden Ausdruck in meinem „biogenetiſchen Grundgeſetze“.
Natürliche Schöpfungsgeſchichte (1868). Da die neuen, in der „Generellen Morphologie“ niedergelegten Anſchauungen trotz ihrer ſtreng wiſſenſchaftlichen Faſſung bei den ſachkundigen Fachgenoſſen ſehr wenig Beachtung und noch weniger Beifall fanden, verſuchte ich, den wichtigſten Theil derſelben in einem
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Begründung der Stammesgeſchichte. V.
Stammesgeſchichte (Phylogenie) (1866). Unter den zahl-
reichen und wichtigen Aufgaben, welche Darwin der modernen
Biologie ſtellte, erſchien als eine der nächſten die Reform des
zoologiſchen und botaniſchen Syſtems. Wenn die unzähligen
Thier- und Pflanzen-Arten nicht durch übernatürliche Wunder
„erſchaffen“, ſondern durch natürliche Umbildung „entwickelt“
waren, ſo ergab ſich das „natürliche Syſtem“ derſelben als
ihr Stammbaum. Den erſten Verſuch, das Syſtem in dieſem
Sinne umzugeſtalten, unternahm ich ſelbſt (1866) in meiner
„Generellen Morphologie der Organismen“. Der
erſte Band dieſes Werkes (Allgemeine Anatomie) behandelte die
„mechaniſche Wiſſenſchaft von den entwickelten Formen“, der
zweite Band (Allgemeine Entwickelungsgeſchichte) diejenige von
den „entſtehenden Formen“. Die ſyſtematiſche Einleitung in die
letztere bildete eine „Genealogiſche Ueberſicht des natürlichen
Syſtems der Organismen“. Bis dahin hatte man unter „Ent-
wickelungsgeſchichte“ ſowohl in der Zoologie als in der
Botanik ausſchließlich diejenige der organiſchen Individuen
verſtanden (Embryologie und Metamorphoſen-Lehre). Ich be-
gründete dagegen die Anſicht, daß dieſer Keimesgeſchichte
(Ontogenie) als zweiter, gleichberechtigter und eng verbundener
Zweig die Stammesgeſchichte (Phylogenie) gegenüberſtehe.
Beide Zweige der Entwickelungsgeſchichte ſtehen nach meiner
Auffaſſung im engſten kauſalen Zuſammenhang; dieſer beruht
auf der Wechſelwirkung der Vererbungs- und Anpaſſungs-Geſetze;
er fand ſeinen präciſen und umfaſſenden Ausdruck in meinem
„biogenetiſchen Grundgeſetze“.
Natürliche Schöpfungsgeſchichte (1868). Da die neuen,
in der „Generellen Morphologie“ niedergelegten Anſchauungen
trotz ihrer ſtreng wiſſenſchaftlichen Faſſung bei den ſachkundigen
Fachgenoſſen ſehr wenig Beachtung und noch weniger Beifall
fanden, verſuchte ich, den wichtigſten Theil derſelben in einem
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Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899, S. 92. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_weltraethsel_1899/108>, abgerufen am 25.11.2024.
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