Entstehung der Arten. Denn damit war ja das mystische "Schöpfungs-Problem" gelöst, und mit ihm die inhalts- schwere "Frage aller Fragen", das Problem vom wahren Wesen und von der Entstehung des Menschen selbst.
Vergleichen wir die beiden großen Begründer des Trans- formismus, so finden wir bei Lamarck überwiegende Neigung zur Deduktion und zum Entwurfe eines vollständigen mo- nistischen Naturbildes, bei Darwin hingegen vorherrschende Anwendung der Induktion und das vorsichtige Bemühen, die einzelnen Theile der Descendenz-Theorie durch Beobachtung und Experiment möglichst sicher zu begründen. Während der fran- zösische Naturphilosoph den damaligen Kreis des empirischen Wissens weit überschritt und eigentlich das Programm der zu- künftigen Forschung entwarf, hatte der englische Experimentator umgekehrt den großen Vortheil, das einigende Erklärungs-Princip für eine Masse von empirischen Kenntnissen zu begründen, die bis dahin unverstanden sich angehäuft hatten. So erklärt es sich, daß der Erfolg von Darwin ebenso überwältigend, wie derjenige von Lamarck verschwindend war. Darwin hatte aber nicht allein das große Verdienst, die allgemeinen Ergebnisse der verschiedenen biologischen Forschungskreise in dem gemein- samen Brennpunkte des Descendenz-Princips zu sammeln und dadurch einheitlich zu erklären, sondern er entdeckte auch in dem Selektions-Princip jene direkte Ursache der Transforma- tion, welche Lamarck noch gefehlt hatte. Indem Darwin als praktischer Thierzüchter die Erfahrungen der künstlichen Zucht- wahl auf die Organismen im freien Naturzustande anwendete und in dem "Kampf um's Dasein" das auslesende Princip der natürlichen Zuchtwahl entdeckte, schuf er seine bedeutungs- volle Selektionstheorie, den eigentlichen Darwinismus*).
*)Arnold Lang, Zur Charakteristik der Forschungswege von Lamarck und Darwin. Jena 1889.
V. Begründung des Darwinismus.
Entſtehung der Arten. Denn damit war ja das myſtiſche „Schöpfungs-Problem“ gelöſt, und mit ihm die inhalts- ſchwere „Frage aller Fragen“, das Problem vom wahren Weſen und von der Entſtehung des Menſchen ſelbſt.
Vergleichen wir die beiden großen Begründer des Trans- formismus, ſo finden wir bei Lamarck überwiegende Neigung zur Deduktion und zum Entwurfe eines vollſtändigen mo- niſtiſchen Naturbildes, bei Darwin hingegen vorherrſchende Anwendung der Induktion und das vorſichtige Bemühen, die einzelnen Theile der Deſcendenz-Theorie durch Beobachtung und Experiment möglichſt ſicher zu begründen. Während der fran- zöſiſche Naturphiloſoph den damaligen Kreis des empiriſchen Wiſſens weit überſchritt und eigentlich das Programm der zu- künftigen Forſchung entwarf, hatte der engliſche Experimentator umgekehrt den großen Vortheil, das einigende Erklärungs-Princip für eine Maſſe von empiriſchen Kenntniſſen zu begründen, die bis dahin unverſtanden ſich angehäuft hatten. So erklärt es ſich, daß der Erfolg von Darwin ebenſo überwältigend, wie derjenige von Lamarck verſchwindend war. Darwin hatte aber nicht allein das große Verdienſt, die allgemeinen Ergebniſſe der verſchiedenen biologiſchen Forſchungskreiſe in dem gemein- ſamen Brennpunkte des Deſcendenz-Princips zu ſammeln und dadurch einheitlich zu erklären, ſondern er entdeckte auch in dem Selektions-Princip jene direkte Urſache der Transforma- tion, welche Lamarck noch gefehlt hatte. Indem Darwin als praktiſcher Thierzüchter die Erfahrungen der künſtlichen Zucht- wahl auf die Organismen im freien Naturzuſtande anwendete und in dem „Kampf um's Daſein“ das ausleſende Princip der natürlichen Zuchtwahl entdeckte, ſchuf er ſeine bedeutungs- volle Selektionstheorie, den eigentlichen Darwinismus*).
*)Arnold Lang, Zur Charakteriſtik der Forſchungswege von Lamarck und Darwin. Jena 1889.
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V. Begründung des Darwinismus.
Entſtehung der Arten. Denn damit war ja das myſtiſche
„Schöpfungs-Problem“ gelöſt, und mit ihm die inhalts-
ſchwere „Frage aller Fragen“, das Problem vom wahren Weſen
und von der Entſtehung des Menſchen ſelbſt.
Vergleichen wir die beiden großen Begründer des Trans-
formismus, ſo finden wir bei Lamarck überwiegende Neigung
zur Deduktion und zum Entwurfe eines vollſtändigen mo-
niſtiſchen Naturbildes, bei Darwin hingegen vorherrſchende
Anwendung der Induktion und das vorſichtige Bemühen, die
einzelnen Theile der Deſcendenz-Theorie durch Beobachtung und
Experiment möglichſt ſicher zu begründen. Während der fran-
zöſiſche Naturphiloſoph den damaligen Kreis des empiriſchen
Wiſſens weit überſchritt und eigentlich das Programm der zu-
künftigen Forſchung entwarf, hatte der engliſche Experimentator
umgekehrt den großen Vortheil, das einigende Erklärungs-Princip
für eine Maſſe von empiriſchen Kenntniſſen zu begründen, die
bis dahin unverſtanden ſich angehäuft hatten. So erklärt es
ſich, daß der Erfolg von Darwin ebenſo überwältigend, wie
derjenige von Lamarck verſchwindend war. Darwin hatte
aber nicht allein das große Verdienſt, die allgemeinen Ergebniſſe
der verſchiedenen biologiſchen Forſchungskreiſe in dem gemein-
ſamen Brennpunkte des Deſcendenz-Princips zu ſammeln und
dadurch einheitlich zu erklären, ſondern er entdeckte auch in dem
Selektions-Princip jene direkte Urſache der Transforma-
tion, welche Lamarck noch gefehlt hatte. Indem Darwin
als praktiſcher Thierzüchter die Erfahrungen der künſtlichen Zucht-
wahl auf die Organismen im freien Naturzuſtande anwendete
und in dem „Kampf um's Daſein“ das ausleſende Princip
der natürlichen Zuchtwahl entdeckte, ſchuf er ſeine bedeutungs-
volle Selektionstheorie, den eigentlichen Darwinismus *).
*) Arnold Lang, Zur Charakteriſtik der Forſchungswege von
Lamarck und Darwin. Jena 1889.
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Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899, S. 91. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_weltraethsel_1899/107>, abgerufen am 22.11.2024.
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