listische Anschauung der organischen Natur und ihrer Entstehung so schlagend zu widerlegen, als ihm dies selbst durch die überall hervor- tretenden inneren Widersprüche gelungen ist. Sollten Sie bei dem Lesen von Darwins Werk zweifelhaft werden über den Werth seiner Lehre zur Erklärung dieser oder jener allgemeinen Erscheinungsreihe, so brauchen Sie bloß in dem Werke von Agassiz den entgegenge- setzten Erklärungsversuch zu vergleichen, um sofort die Unmöglichkeit des letzteren, die Nothwendigkeit der ersteren zu erkennen.
Die Gegner der monistischen oder mechanischen Weltanschauung haben das Werk von Agassiz mit Freuden begrüßt und erblicken darin eine vollendete Beweisführung für die unmittelbare Schöpfungs- thätigkeit eines persönlichen Gottes. Allein sie übersehen dabei, daß dieser persönliche Schöpfer bloß ein mit menschlichen Attributen ausge- rüsteter, idealisirter Organismus ist. Diese niedere dualistische Gottes- vorstellung entspricht einer niederen thierischen Entwickelungsstufe des menschlichen Organismus. Der höher entwickelte Mensch der Gegen- wart ist befähigt und berechtigt zu jener unendlich edleren und erha- beneren Gottesvorstellung, welche allein mit der monistischen Weltan- schauung verträglich ist, und welche Gottes Geist und Kraft in allen Erscheinungen ohne Ausnahme erblickt. Diese monistische Gottesidee, welcher die Zukunft gehört, hat schon Giordano Bruno (S. 18) mit den Worten ausgesprochen: "Ein Geist findet sich in allen Din- gen, und es ist kein Körper so klein, daß er nicht einen Theil der gött- lichen Substanz in sich enthielte, wodurch er beseelt wird". Diese veredelte Gottesidee ist es, von welcher Goethe sagt: "Gewiß es giebt keine schönere Gottesverehrung, als diejenige, welche kein Bild bedarf welche aus dem Wechselgespräch mit der Natur in unserem Bu- sen entspringt". Durch sie werden wir zu der edelsten und erhabensten Vorstellung geführt, welcher der Mensch fähig ist, zu der Vorstellung von der Einheit Gottes und der Natur.
Dualiſtiſche und moniſtiſche Gottesvorſtellung.
liſtiſche Anſchauung der organiſchen Natur und ihrer Entſtehung ſo ſchlagend zu widerlegen, als ihm dies ſelbſt durch die uͤberall hervor- tretenden inneren Widerſpruͤche gelungen iſt. Sollten Sie bei dem Leſen von Darwins Werk zweifelhaft werden uͤber den Werth ſeiner Lehre zur Erklaͤrung dieſer oder jener allgemeinen Erſcheinungsreihe, ſo brauchen Sie bloß in dem Werke von Agaſſiz den entgegenge- ſetzten Erklaͤrungsverſuch zu vergleichen, um ſofort die Unmoͤglichkeit des letzteren, die Nothwendigkeit der erſteren zu erkennen.
Die Gegner der moniſtiſchen oder mechaniſchen Weltanſchauung haben das Werk von Agaſſiz mit Freuden begruͤßt und erblicken darin eine vollendete Beweisfuͤhrung fuͤr die unmittelbare Schoͤpfungs- thaͤtigkeit eines perſoͤnlichen Gottes. Allein ſie uͤberſehen dabei, daß dieſer perſoͤnliche Schoͤpfer bloß ein mit menſchlichen Attributen ausge- ruͤſteter, idealiſirter Organismus iſt. Dieſe niedere dualiſtiſche Gottes- vorſtellung entſpricht einer niederen thieriſchen Entwickelungsſtufe des menſchlichen Organismus. Der hoͤher entwickelte Menſch der Gegen- wart iſt befaͤhigt und berechtigt zu jener unendlich edleren und erha- beneren Gottesvorſtellung, welche allein mit der moniſtiſchen Weltan- ſchauung vertraͤglich iſt, und welche Gottes Geiſt und Kraft in allen Erſcheinungen ohne Ausnahme erblickt. Dieſe moniſtiſche Gottesidee, welcher die Zukunft gehoͤrt, hat ſchon Giordano Bruno (S. 18) mit den Worten ausgeſprochen: „Ein Geiſt findet ſich in allen Din- gen, und es iſt kein Koͤrper ſo klein, daß er nicht einen Theil der goͤtt- lichen Subſtanz in ſich enthielte, wodurch er beſeelt wird“. Dieſe veredelte Gottesidee iſt es, von welcher Goethe ſagt: „Gewiß es giebt keine ſchoͤnere Gottesverehrung, als diejenige, welche kein Bild bedarf welche aus dem Wechſelgeſpraͤch mit der Natur in unſerem Bu- ſen entſpringt“. Durch ſie werden wir zu der edelſten und erhabenſten Vorſtellung gefuͤhrt, welcher der Menſch faͤhig iſt, zu der Vorſtellung von der Einheit Gottes und der Natur.
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Dualiſtiſche und moniſtiſche Gottesvorſtellung.
liſtiſche Anſchauung der organiſchen Natur und ihrer Entſtehung ſo
ſchlagend zu widerlegen, als ihm dies ſelbſt durch die uͤberall hervor-
tretenden inneren Widerſpruͤche gelungen iſt. Sollten Sie bei dem
Leſen von Darwins Werk zweifelhaft werden uͤber den Werth ſeiner
Lehre zur Erklaͤrung dieſer oder jener allgemeinen Erſcheinungsreihe,
ſo brauchen Sie bloß in dem Werke von Agaſſiz den entgegenge-
ſetzten Erklaͤrungsverſuch zu vergleichen, um ſofort die Unmoͤglichkeit
des letzteren, die Nothwendigkeit der erſteren zu erkennen.
Die Gegner der moniſtiſchen oder mechaniſchen Weltanſchauung
haben das Werk von Agaſſiz mit Freuden begruͤßt und erblicken
darin eine vollendete Beweisfuͤhrung fuͤr die unmittelbare Schoͤpfungs-
thaͤtigkeit eines perſoͤnlichen Gottes. Allein ſie uͤberſehen dabei, daß
dieſer perſoͤnliche Schoͤpfer bloß ein mit menſchlichen Attributen ausge-
ruͤſteter, idealiſirter Organismus iſt. Dieſe niedere dualiſtiſche Gottes-
vorſtellung entſpricht einer niederen thieriſchen Entwickelungsſtufe des
menſchlichen Organismus. Der hoͤher entwickelte Menſch der Gegen-
wart iſt befaͤhigt und berechtigt zu jener unendlich edleren und erha-
beneren Gottesvorſtellung, welche allein mit der moniſtiſchen Weltan-
ſchauung vertraͤglich iſt, und welche Gottes Geiſt und Kraft in allen
Erſcheinungen ohne Ausnahme erblickt. Dieſe moniſtiſche Gottesidee,
welcher die Zukunft gehoͤrt, hat ſchon Giordano Bruno (S. 18)
mit den Worten ausgeſprochen: „Ein Geiſt findet ſich in allen Din-
gen, und es iſt kein Koͤrper ſo klein, daß er nicht einen Theil der goͤtt-
lichen Subſtanz in ſich enthielte, wodurch er beſeelt wird“. Dieſe
veredelte Gottesidee iſt es, von welcher Goethe ſagt: „Gewiß es
giebt keine ſchoͤnere Gottesverehrung, als diejenige, welche kein Bild
bedarf welche aus dem Wechſelgeſpraͤch mit der Natur in unſerem Bu-
ſen entſpringt“. Durch ſie werden wir zu der edelſten und erhabenſten
Vorſtellung gefuͤhrt, welcher der Menſch faͤhig iſt, zu der Vorſtellung
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Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868, S. 58. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_schoepfungsgeschichte_1868/79>, abgerufen am 22.11.2024.
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