Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868.Anthropomorphismus von Agassiz' Schöpfungsgeschichte. begreiflich. Nur die von Darwin entwickelte Wechselwirkung derVererbung und Anpassung kann die wahre Ursache derselben sein. Dagegen stehen sie alle in schroffem und unvereinbarem Gegensatz mit der vorher besprochenen Schöpfungshypothese von Agassiz, und mit allen Vorstellungen von der zweckmäßigen Werkthätigkeit eines persönlichen Schöpfers. Will man im Ernst durch die letztere jene merkwürdigen Erscheinungen und ihren inneren Zusammenhang er- klären, so verirrt man sich nothwendig zu der Annahme, daß auch der Schöpfer selbst sich mit der organischen Natur, die er schuf und um- bildete, entwickelt habe. Man kann sich dann nicht mehr von der Vor- stellung los machen, daß der Schöpfer selbst nach Art des menschlichen Organismus seine Pläne entworfen, verbessert und endlich unter vielen Abänderungen ausgeführt habe. "Es wächst der Mensch mit seinen höher'n Zwecken". Diese Gottes unwürdige Vorstellung müssen wir dann nothwendig auf ihn übertragen. Wenn es nach der Ehrfurcht, mit der Agassiz auf jeder Seite vom Schöpfer spricht, scheinen könnte, daß wir dadurch zur erhabensten Vorstellung von seinem Wirken in der Natur gelangen, so findet in Wahrheit das Gegentheil statt. Der göttliche Schöpfer wird dadurch zu einem idealisirten Menschen ernie- drigt, zu einem in der Entwickelung fortschreitenden Organismus. Bei der weiten Verbreitung und dem hohen Ansehen, welches Anthropomorphismus von Agaſſiz’ Schoͤpfungsgeſchichte. begreiflich. Nur die von Darwin entwickelte Wechſelwirkung derVererbung und Anpaſſung kann die wahre Urſache derſelben ſein. Dagegen ſtehen ſie alle in ſchroffem und unvereinbarem Gegenſatz mit der vorher beſprochenen Schoͤpfungshypotheſe von Agaſſiz, und mit allen Vorſtellungen von der zweckmaͤßigen Werkthaͤtigkeit eines perſoͤnlichen Schoͤpfers. Will man im Ernſt durch die letztere jene merkwuͤrdigen Erſcheinungen und ihren inneren Zuſammenhang er- klaͤren, ſo verirrt man ſich nothwendig zu der Annahme, daß auch der Schoͤpfer ſelbſt ſich mit der organiſchen Natur, die er ſchuf und um- bildete, entwickelt habe. Man kann ſich dann nicht mehr von der Vor- ſtellung los machen, daß der Schoͤpfer ſelbſt nach Art des menſchlichen Organismus ſeine Plaͤne entworfen, verbeſſert und endlich unter vielen Abaͤnderungen ausgefuͤhrt habe. „Es waͤchſt der Menſch mit ſeinen hoͤher’n Zwecken“. Dieſe Gottes unwuͤrdige Vorſtellung muͤſſen wir dann nothwendig auf ihn uͤbertragen. Wenn es nach der Ehrfurcht, mit der Agaſſiz auf jeder Seite vom Schoͤpfer ſpricht, ſcheinen koͤnnte, daß wir dadurch zur erhabenſten Vorſtellung von ſeinem Wirken in der Natur gelangen, ſo findet in Wahrheit das Gegentheil ſtatt. Der goͤttliche Schoͤpfer wird dadurch zu einem idealiſirten Menſchen ernie- drigt, zu einem in der Entwickelung fortſchreitenden Organismus. Bei der weiten Verbreitung und dem hohen Anſehen, welches <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0078" n="57"/><fw place="top" type="header">Anthropomorphismus von Agaſſiz’ Schoͤpfungsgeſchichte.</fw><lb/> begreiflich. Nur die von <hi rendition="#g">Darwin</hi> entwickelte Wechſelwirkung der<lb/> Vererbung und Anpaſſung kann die wahre Urſache derſelben ſein.<lb/> Dagegen ſtehen ſie alle in ſchroffem und unvereinbarem Gegenſatz<lb/> mit der vorher beſprochenen Schoͤpfungshypotheſe von <hi rendition="#g">Agaſſiz,</hi> und<lb/> mit allen Vorſtellungen von der zweckmaͤßigen Werkthaͤtigkeit eines<lb/> perſoͤnlichen Schoͤpfers. Will man im Ernſt durch die letztere jene<lb/> merkwuͤrdigen Erſcheinungen und ihren inneren Zuſammenhang er-<lb/> klaͤren, ſo verirrt man ſich nothwendig zu der Annahme, daß auch der<lb/> Schoͤpfer ſelbſt ſich mit der organiſchen Natur, die er ſchuf und um-<lb/> bildete, entwickelt habe. 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Anthropomorphismus von Agaſſiz’ Schoͤpfungsgeſchichte.
begreiflich. Nur die von Darwin entwickelte Wechſelwirkung der
Vererbung und Anpaſſung kann die wahre Urſache derſelben ſein.
Dagegen ſtehen ſie alle in ſchroffem und unvereinbarem Gegenſatz
mit der vorher beſprochenen Schoͤpfungshypotheſe von Agaſſiz, und
mit allen Vorſtellungen von der zweckmaͤßigen Werkthaͤtigkeit eines
perſoͤnlichen Schoͤpfers. Will man im Ernſt durch die letztere jene
merkwuͤrdigen Erſcheinungen und ihren inneren Zuſammenhang er-
klaͤren, ſo verirrt man ſich nothwendig zu der Annahme, daß auch der
Schoͤpfer ſelbſt ſich mit der organiſchen Natur, die er ſchuf und um-
bildete, entwickelt habe. Man kann ſich dann nicht mehr von der Vor-
ſtellung los machen, daß der Schoͤpfer ſelbſt nach Art des menſchlichen
Organismus ſeine Plaͤne entworfen, verbeſſert und endlich unter vielen
Abaͤnderungen ausgefuͤhrt habe. „Es waͤchſt der Menſch mit ſeinen
hoͤher’n Zwecken“. Dieſe Gottes unwuͤrdige Vorſtellung muͤſſen wir
dann nothwendig auf ihn uͤbertragen. Wenn es nach der Ehrfurcht,
mit der Agaſſiz auf jeder Seite vom Schoͤpfer ſpricht, ſcheinen koͤnnte,
daß wir dadurch zur erhabenſten Vorſtellung von ſeinem Wirken in der
Natur gelangen, ſo findet in Wahrheit das Gegentheil ſtatt. Der
goͤttliche Schoͤpfer wird dadurch zu einem idealiſirten Menſchen ernie-
drigt, zu einem in der Entwickelung fortſchreitenden Organismus.
Bei der weiten Verbreitung und dem hohen Anſehen, welches
ſich Agaſſiz’ Werk erworben hat, und welches in Anbetracht der an-
deren hohen wiſſenſchaftlichen Verdienſte des geiſtvollen Verfaſſers
gewiß gerechtfertigt iſt, glaubte ich es Jhnen ſchuldig zu ſein, hier dieſe
ſchwachen Seiten deſſelben ſtark hervorzuheben. Sofern dies Werk
eine naturwiſſenſchaftliche Schoͤpfungsgeſchichte ſein will, iſt daſſelbe
unzweifelhaft gaͤnzlich verfehlt. Es hat aber außerordentlichen Werth,
als der einzige, ausfuͤhrliche und mit wiſſenſchaftlichen Beweisgruͤnden
geſchmuͤckte Verſuch, den in neuerer Zeit ein hervorragender Natur-
forſcher zur Begruͤndung einer teleologiſchen oder dualiſtiſchen Schoͤ-
pfungsgeſchichte unternommen hat. Die innere Unmoͤglichkeit einer
ſolchen wird dadurch klar vor Jedermanns Augen gelegt. Kein
Gegner von Agaſſiz haͤtte vermocht, die von ihm entwickelte dua-
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