Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868.

Bild:

<< vorherige Seite

nächste Seite >>

Paläontologische Entwickelungsgesetze von Agassiz.

bilde! Hiermit ist das Endziel aller Schöpfungsgeschichte erreicht und
die Reihe der Erdrevolutionen abgeschlossen. Der Mensch, das Kind
und Ebenbild Gottes, giebt demselben so viel zu thun, macht ihm so
viel Vergnügen und Mühe, daß er nun niemals mehr Langeweile hat,
und keine neue Schöpfung mehr eintreten zu lassen braucht. Sie se-
hen offenbar, wenn man einmal in der Weise, wie Agassiz, dem
Schöpfer durchaus menschliche Attribute und Eigenschaften beilegt, und
sein Schöpfungswerk durchaus analog einer menschlichen Schöpfungs-
thätigkeit betrachtet, so ist man nothwendig auch zur Annahme dieser
ganz absurden Konsequenzen gezwungen.

Die vielen inneren Widersprüche und die auffallenden Verkehrt-
heiten der Schöpfungsansichten von Agassiz, welche ihn nothwendig
zu dem entschiedensten Widerstand gegen die Abstammungslehre führ-
ten, müssen aber um so mehr unser Erstaunen erregen, als vielleicht
(in mancher Beziehung wenigstens) kein anderer Naturforscher der
neuern Zeit so sehr thatsächlich Darwin vorgearbeitet hat, insbeson-
dere durch seine Thätigkeit auf dem paläontologischen Gebiete. Unter
den zahlreichen Untersuchungen über Versteinerungen, welche der jun-
gen Paläontologie schnell die allgemeine Theilnahme erwarben, schlie-
ßen sich diejenigen von Agassiz, namentlich das berühmte Werk "über
die fossilen Fische", zunächst ebenbürtig an die grundlegenden Arbeiten
von Cuvier an. Nicht allein haben die versteinerten Fische, mit de-
nen uns Agassiz bekannt machte, eine außerordentlich hohe Bedeu-
tung für das Verständniß der ganzen Wirbelthiergruppe und ihrer ge-
schichtlichen Entwickelung gewonnen; sondern wir sind dadurch auch
zur sicheren Erkenntniß wichtiger allgemeiner Entwickelungsgesetze ge-
langt, die zum Theil von Agassiz zuerst entdeckt wurden. Jnsbe-
sondere hat derselbe zuerst den merkwürdigen Parallelismus zwischen
der embryonalen und der paläontologischen Entwickelung, zwischen der
Ontogenie und Phylogenie hervorgehoben, eine Uebereinstimmung, welche
ich schon vorher (S. 9) als eine der stärksten Stützen für die Abstam-
mungslehre in Anspruch genommen habe. Niemand hatte vorher so
bestimmt, wie es Agassiz that, hervorgehoben, daß von den Wirbel-

Palaͤontologiſche Entwickelungsgeſetze von Agaſſiz.

bilde! Hiermit iſt das Endziel aller Schoͤpfungsgeſchichte erreicht und
die Reihe der Erdrevolutionen abgeſchloſſen. Der Menſch, das Kind
und Ebenbild Gottes, giebt demſelben ſo viel zu thun, macht ihm ſo
viel Vergnuͤgen und Muͤhe, daß er nun niemals mehr Langeweile hat,
und keine neue Schoͤpfung mehr eintreten zu laſſen braucht. Sie ſe-
hen offenbar, wenn man einmal in der Weiſe, wie Agaſſiz, dem
Schoͤpfer durchaus menſchliche Attribute und Eigenſchaften beilegt, und
ſein Schoͤpfungswerk durchaus analog einer menſchlichen Schoͤpfungs-
thaͤtigkeit betrachtet, ſo iſt man nothwendig auch zur Annahme dieſer
ganz abſurden Konſequenzen gezwungen.

Die vielen inneren Widerſpruͤche und die auffallenden Verkehrt-
heiten der Schoͤpfungsanſichten von Agaſſiz, welche ihn nothwendig
zu dem entſchiedenſten Widerſtand gegen die Abſtammungslehre fuͤhr-
ten, muͤſſen aber um ſo mehr unſer Erſtaunen erregen, als vielleicht
(in mancher Beziehung wenigſtens) kein anderer Naturforſcher der
neuern Zeit ſo ſehr thatſaͤchlich Darwin vorgearbeitet hat, insbeſon-
dere durch ſeine Thaͤtigkeit auf dem palaͤontologiſchen Gebiete. Unter
den zahlreichen Unterſuchungen uͤber Verſteinerungen, welche der jun-
gen Palaͤontologie ſchnell die allgemeine Theilnahme erwarben, ſchlie-
ßen ſich diejenigen von Agaſſiz, namentlich das beruͤhmte Werk „uͤber
die foſſilen Fiſche“, zunaͤchſt ebenbuͤrtig an die grundlegenden Arbeiten
von Cuvier an. Nicht allein haben die verſteinerten Fiſche, mit de-
nen uns Agaſſiz bekannt machte, eine außerordentlich hohe Bedeu-
tung fuͤr das Verſtaͤndniß der ganzen Wirbelthiergruppe und ihrer ge-
ſchichtlichen Entwickelung gewonnen; ſondern wir ſind dadurch auch
zur ſicheren Erkenntniß wichtiger allgemeiner Entwickelungsgeſetze ge-
langt, die zum Theil von Agaſſiz zuerſt entdeckt wurden. Jnsbe-
ſondere hat derſelbe zuerſt den merkwuͤrdigen Parallelismus zwiſchen
der embryonalen und der palaͤontologiſchen Entwickelung, zwiſchen der
Ontogenie und Phylogenie hervorgehoben, eine Uebereinſtimmung, welche
ich ſchon vorher (S. 9) als eine der ſtaͤrkſten Stuͤtzen fuͤr die Abſtam-
mungslehre in Anſpruch genommen habe. Niemand hatte vorher ſo
beſtimmt, wie es Agaſſiz that, hervorgehoben, daß von den Wirbel-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0076" n="55"/><fw place="top" type="header">Pala&#x0364;ontologi&#x017F;che Entwickelungsge&#x017F;etze von Aga&#x017F;&#x017F;iz.</fw><lb/>
bilde! Hiermit i&#x017F;t das Endziel aller Scho&#x0364;pfungsge&#x017F;chichte erreicht und<lb/>
die Reihe der Erdrevolutionen abge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en. Der Men&#x017F;ch, das Kind<lb/>
und Ebenbild Gottes, giebt dem&#x017F;elben &#x017F;o viel zu thun, macht ihm &#x017F;o<lb/>
viel Vergnu&#x0364;gen und Mu&#x0364;he, daß er nun niemals mehr Langeweile hat,<lb/>
und keine neue Scho&#x0364;pfung mehr eintreten zu la&#x017F;&#x017F;en braucht. Sie &#x017F;e-<lb/>
hen offenbar, wenn man einmal in der Wei&#x017F;e, wie <hi rendition="#g">Aga&#x017F;&#x017F;iz,</hi> dem<lb/>
Scho&#x0364;pfer durchaus men&#x017F;chliche Attribute und Eigen&#x017F;chaften beilegt, und<lb/>
&#x017F;ein Scho&#x0364;pfungswerk durchaus analog einer men&#x017F;chlichen Scho&#x0364;pfungs-<lb/>
tha&#x0364;tigkeit betrachtet, &#x017F;o i&#x017F;t man nothwendig auch zur Annahme die&#x017F;er<lb/>
ganz ab&#x017F;urden Kon&#x017F;equenzen gezwungen.</p><lb/>
        <p>Die vielen inneren Wider&#x017F;pru&#x0364;che und die auffallenden Verkehrt-<lb/>
heiten der Scho&#x0364;pfungsan&#x017F;ichten von <hi rendition="#g">Aga&#x017F;&#x017F;iz,</hi> welche ihn nothwendig<lb/>
zu dem ent&#x017F;chieden&#x017F;ten Wider&#x017F;tand gegen die Ab&#x017F;tammungslehre fu&#x0364;hr-<lb/>
ten, mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en aber um &#x017F;o mehr un&#x017F;er Er&#x017F;taunen erregen, als vielleicht<lb/>
(in mancher Beziehung wenig&#x017F;tens) kein anderer Naturfor&#x017F;cher der<lb/>
neuern Zeit &#x017F;o &#x017F;ehr that&#x017F;a&#x0364;chlich <hi rendition="#g">Darwin</hi> vorgearbeitet hat, insbe&#x017F;on-<lb/>
dere durch &#x017F;eine Tha&#x0364;tigkeit auf dem pala&#x0364;ontologi&#x017F;chen Gebiete. Unter<lb/>
den zahlreichen Unter&#x017F;uchungen u&#x0364;ber Ver&#x017F;teinerungen, welche der jun-<lb/>
gen Pala&#x0364;ontologie &#x017F;chnell die allgemeine Theilnahme erwarben, &#x017F;chlie-<lb/>
ßen &#x017F;ich diejenigen von <hi rendition="#g">Aga&#x017F;&#x017F;iz,</hi> namentlich das beru&#x0364;hmte Werk &#x201E;u&#x0364;ber<lb/>
die fo&#x017F;&#x017F;ilen Fi&#x017F;che&#x201C;, zuna&#x0364;ch&#x017F;t ebenbu&#x0364;rtig an die grundlegenden Arbeiten<lb/>
von <hi rendition="#g">Cuvier</hi> an. Nicht allein haben die ver&#x017F;teinerten Fi&#x017F;che, mit de-<lb/>
nen uns <hi rendition="#g">Aga&#x017F;&#x017F;iz</hi> bekannt machte, eine außerordentlich hohe Bedeu-<lb/>
tung fu&#x0364;r das Ver&#x017F;ta&#x0364;ndniß der ganzen Wirbelthiergruppe und ihrer ge-<lb/>
&#x017F;chichtlichen Entwickelung gewonnen; &#x017F;ondern wir &#x017F;ind dadurch auch<lb/>
zur &#x017F;icheren Erkenntniß wichtiger allgemeiner Entwickelungsge&#x017F;etze ge-<lb/>
langt, die zum Theil von <hi rendition="#g">Aga&#x017F;&#x017F;iz</hi> zuer&#x017F;t entdeckt wurden. Jnsbe-<lb/>
&#x017F;ondere hat der&#x017F;elbe zuer&#x017F;t den merkwu&#x0364;rdigen Parallelismus zwi&#x017F;chen<lb/>
der embryonalen und der pala&#x0364;ontologi&#x017F;chen Entwickelung, zwi&#x017F;chen der<lb/>
Ontogenie und Phylogenie hervorgehoben, eine Ueberein&#x017F;timmung, welche<lb/><hi rendition="#g">ich</hi> &#x017F;chon vorher (S. 9) als eine der &#x017F;ta&#x0364;rk&#x017F;ten Stu&#x0364;tzen fu&#x0364;r die Ab&#x017F;tam-<lb/>
mungslehre in An&#x017F;pruch genommen habe. Niemand hatte vorher &#x017F;o<lb/>
be&#x017F;timmt, wie es <hi rendition="#g">Aga&#x017F;&#x017F;iz</hi> that, hervorgehoben, daß von den Wirbel-<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>

[55/0076] Palaͤontologiſche Entwickelungsgeſetze von Agaſſiz. bilde! Hiermit iſt das Endziel aller Schoͤpfungsgeſchichte erreicht und die Reihe der Erdrevolutionen abgeſchloſſen. Der Menſch, das Kind und Ebenbild Gottes, giebt demſelben ſo viel zu thun, macht ihm ſo viel Vergnuͤgen und Muͤhe, daß er nun niemals mehr Langeweile hat, und keine neue Schoͤpfung mehr eintreten zu laſſen braucht. Sie ſe- hen offenbar, wenn man einmal in der Weiſe, wie Agaſſiz, dem Schoͤpfer durchaus menſchliche Attribute und Eigenſchaften beilegt, und ſein Schoͤpfungswerk durchaus analog einer menſchlichen Schoͤpfungs- thaͤtigkeit betrachtet, ſo iſt man nothwendig auch zur Annahme dieſer ganz abſurden Konſequenzen gezwungen. Die vielen inneren Widerſpruͤche und die auffallenden Verkehrt- heiten der Schoͤpfungsanſichten von Agaſſiz, welche ihn nothwendig zu dem entſchiedenſten Widerſtand gegen die Abſtammungslehre fuͤhr- ten, muͤſſen aber um ſo mehr unſer Erſtaunen erregen, als vielleicht (in mancher Beziehung wenigſtens) kein anderer Naturforſcher der neuern Zeit ſo ſehr thatſaͤchlich Darwin vorgearbeitet hat, insbeſon- dere durch ſeine Thaͤtigkeit auf dem palaͤontologiſchen Gebiete. Unter den zahlreichen Unterſuchungen uͤber Verſteinerungen, welche der jun- gen Palaͤontologie ſchnell die allgemeine Theilnahme erwarben, ſchlie- ßen ſich diejenigen von Agaſſiz, namentlich das beruͤhmte Werk „uͤber die foſſilen Fiſche“, zunaͤchſt ebenbuͤrtig an die grundlegenden Arbeiten von Cuvier an. Nicht allein haben die verſteinerten Fiſche, mit de- nen uns Agaſſiz bekannt machte, eine außerordentlich hohe Bedeu- tung fuͤr das Verſtaͤndniß der ganzen Wirbelthiergruppe und ihrer ge- ſchichtlichen Entwickelung gewonnen; ſondern wir ſind dadurch auch zur ſicheren Erkenntniß wichtiger allgemeiner Entwickelungsgeſetze ge- langt, die zum Theil von Agaſſiz zuerſt entdeckt wurden. Jnsbe- ſondere hat derſelbe zuerſt den merkwuͤrdigen Parallelismus zwiſchen der embryonalen und der palaͤontologiſchen Entwickelung, zwiſchen der Ontogenie und Phylogenie hervorgehoben, eine Uebereinſtimmung, welche ich ſchon vorher (S. 9) als eine der ſtaͤrkſten Stuͤtzen fuͤr die Abſtam- mungslehre in Anſpruch genommen habe. Niemand hatte vorher ſo beſtimmt, wie es Agaſſiz that, hervorgehoben, daß von den Wirbel-

Suche im Werk

Informationen zum Werk

Titeldaten
Verfügbarkeit Text (TEI-XML-, HTML-, TCF-, E-Book-Fassung): CC BY-SA 4.0.
Nutzungsbedingungen

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ^?

Language Resource Switchboard^?

Resource/URL übermitteln

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.

Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk:	https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_schoepfungsgeschichte_1868
URL zu dieser Seite:	https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_schoepfungsgeschichte_1868/76
Zitationshilfe:	Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868, S. 55. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_schoepfungsgeschichte_1868/76>, abgerufen am 24.11.2024.

Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer Creative-Commons-Lizenz. Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken. Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.

Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.

2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften. Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de.

Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.