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Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868.

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Mechanische Entstehung zweckmäßiger Organisationseinrichtungen.
übersteigliche Schwierigkeiten verursachen. Wie könnte man sich er-
klären, daß allein durch die natürliche Züchtung jener außerordentlich
hohe und höchst bewunderungswürdige Grad der Vollkommenheit und
der Zweckmäßigkeit in jeder Beziehung erreicht wird, welchen wir bei
den Augen und Ohren der höheren Thiere wahrnehmen? Zum Glück
hilft uns aber hier die vergleichende Anatomie und Ent-
wickelungsgeschichte
über alle Hindernisse hinweg. Denn wenn
wir die stufenweise Vervollkommnung der Augen und Ohren Schritt
für Schritt im Thierreich verfolgen, so finden wir eine solche allmäh-
liche Stufenleiter der Ausbildung vor, daß wir auf das schönste die
Entwickelung der höchst verwickelten Organe durch alle Grade der
Vollkommenheit hindurch verfolgen können. So erscheint z. B. das
Auge bei den niedersten Thieren als ein einfacher Farbstofffleck, der
noch kein Bild von äußeren Gegenständen entwerfen, sondern höchstens
den Unterschied der verschiedenen Lichtstrahlen wahrnehmen kann. Dann
tritt zu diesem ein empfindender Nerv hinzu. Später entwickelt sich all-
mählich innerhalb jenes Pigmentflecks die erste Anlage der Linse, ein
lichtbrechender Körper, der schon im Stande ist, die Lichtstrahlen zu
concentriren und ein bestimmtes Bild zu entwerfen. Aber es fehlen
noch alle die zusammengesetzten Apparate für Akkommodation und Be-
wegung des Auges, die verschieden lichtbrechenden Medien, die hoch
differenzirte Sehnervenhaut u. s. w., welche bei den höheren Thieren
dieses Werkzeug so vollkommen gestalten. Von jenem einfachsten
Organ bis zu diesem höchst vollkommenen Apparat zeigt uns die
vergleichende Anatomie in ununterbrochener Stufenleiter alle möglichen
Uebergänge, so daß wir uns die stufenweise, allmähliche Bildung auch
eines solchen höchst complicirten Organes wohl anschaulich machen kön-
nen. Ebenso wie wir im Laufe der individuellen Entwickelung einen
gleichen stufenweisen Fortschritt in der Ausbildung des Organs un-
mittelbar verfolgen können, ebenso muß derselbe auch in der geschicht-
lichen (phyletischen) Entstehung des Organs stattgefunden haben.

Bei Betrachtung solcher höchst vollkommenen Organe, die schein-
bar von einem künstlerischen Schöpfer für ihre bestimmte Thätigkeit

Mechaniſche Entſtehung zweckmaͤßiger Organiſationseinrichtungen.
uͤberſteigliche Schwierigkeiten verurſachen. Wie koͤnnte man ſich er-
klaͤren, daß allein durch die natuͤrliche Zuͤchtung jener außerordentlich
hohe und hoͤchſt bewunderungswuͤrdige Grad der Vollkommenheit und
der Zweckmaͤßigkeit in jeder Beziehung erreicht wird, welchen wir bei
den Augen und Ohren der hoͤheren Thiere wahrnehmen? Zum Gluͤck
hilft uns aber hier die vergleichende Anatomie und Ent-
wickelungsgeſchichte
uͤber alle Hinderniſſe hinweg. Denn wenn
wir die ſtufenweiſe Vervollkommnung der Augen und Ohren Schritt
fuͤr Schritt im Thierreich verfolgen, ſo finden wir eine ſolche allmaͤh-
liche Stufenleiter der Ausbildung vor, daß wir auf das ſchoͤnſte die
Entwickelung der hoͤchſt verwickelten Organe durch alle Grade der
Vollkommenheit hindurch verfolgen koͤnnen. So erſcheint z. B. das
Auge bei den niederſten Thieren als ein einfacher Farbſtofffleck, der
noch kein Bild von aͤußeren Gegenſtaͤnden entwerfen, ſondern hoͤchſtens
den Unterſchied der verſchiedenen Lichtſtrahlen wahrnehmen kann. Dann
tritt zu dieſem ein empfindender Nerv hinzu. Spaͤter entwickelt ſich all-
maͤhlich innerhalb jenes Pigmentflecks die erſte Anlage der Linſe, ein
lichtbrechender Koͤrper, der ſchon im Stande iſt, die Lichtſtrahlen zu
concentriren und ein beſtimmtes Bild zu entwerfen. Aber es fehlen
noch alle die zuſammengeſetzten Apparate fuͤr Akkommodation und Be-
wegung des Auges, die verſchieden lichtbrechenden Medien, die hoch
differenzirte Sehnervenhaut u. ſ. w., welche bei den hoͤheren Thieren
dieſes Werkzeug ſo vollkommen geſtalten. Von jenem einfachſten
Organ bis zu dieſem hoͤchſt vollkommenen Apparat zeigt uns die
vergleichende Anatomie in ununterbrochener Stufenleiter alle moͤglichen
Uebergaͤnge, ſo daß wir uns die ſtufenweiſe, allmaͤhliche Bildung auch
eines ſolchen hoͤchſt complicirten Organes wohl anſchaulich machen koͤn-
nen. Ebenſo wie wir im Laufe der individuellen Entwickelung einen
gleichen ſtufenweiſen Fortſchritt in der Ausbildung des Organs un-
mittelbar verfolgen koͤnnen, ebenſo muß derſelbe auch in der geſchicht-
lichen (phyletiſchen) Entſtehung des Organs ſtattgefunden haben.

Bei Betrachtung ſolcher hoͤchſt vollkommenen Organe, die ſchein-
bar von einem kuͤnſtleriſchen Schoͤpfer fuͤr ihre beſtimmte Thaͤtigkeit

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[528/0553] Mechaniſche Entſtehung zweckmaͤßiger Organiſationseinrichtungen. uͤberſteigliche Schwierigkeiten verurſachen. Wie koͤnnte man ſich er- klaͤren, daß allein durch die natuͤrliche Zuͤchtung jener außerordentlich hohe und hoͤchſt bewunderungswuͤrdige Grad der Vollkommenheit und der Zweckmaͤßigkeit in jeder Beziehung erreicht wird, welchen wir bei den Augen und Ohren der hoͤheren Thiere wahrnehmen? Zum Gluͤck hilft uns aber hier die vergleichende Anatomie und Ent- wickelungsgeſchichte uͤber alle Hinderniſſe hinweg. Denn wenn wir die ſtufenweiſe Vervollkommnung der Augen und Ohren Schritt fuͤr Schritt im Thierreich verfolgen, ſo finden wir eine ſolche allmaͤh- liche Stufenleiter der Ausbildung vor, daß wir auf das ſchoͤnſte die Entwickelung der hoͤchſt verwickelten Organe durch alle Grade der Vollkommenheit hindurch verfolgen koͤnnen. So erſcheint z. B. das Auge bei den niederſten Thieren als ein einfacher Farbſtofffleck, der noch kein Bild von aͤußeren Gegenſtaͤnden entwerfen, ſondern hoͤchſtens den Unterſchied der verſchiedenen Lichtſtrahlen wahrnehmen kann. Dann tritt zu dieſem ein empfindender Nerv hinzu. Spaͤter entwickelt ſich all- maͤhlich innerhalb jenes Pigmentflecks die erſte Anlage der Linſe, ein lichtbrechender Koͤrper, der ſchon im Stande iſt, die Lichtſtrahlen zu concentriren und ein beſtimmtes Bild zu entwerfen. Aber es fehlen noch alle die zuſammengeſetzten Apparate fuͤr Akkommodation und Be- wegung des Auges, die verſchieden lichtbrechenden Medien, die hoch differenzirte Sehnervenhaut u. ſ. w., welche bei den hoͤheren Thieren dieſes Werkzeug ſo vollkommen geſtalten. Von jenem einfachſten Organ bis zu dieſem hoͤchſt vollkommenen Apparat zeigt uns die vergleichende Anatomie in ununterbrochener Stufenleiter alle moͤglichen Uebergaͤnge, ſo daß wir uns die ſtufenweiſe, allmaͤhliche Bildung auch eines ſolchen hoͤchſt complicirten Organes wohl anſchaulich machen koͤn- nen. Ebenſo wie wir im Laufe der individuellen Entwickelung einen gleichen ſtufenweiſen Fortſchritt in der Ausbildung des Organs un- mittelbar verfolgen koͤnnen, ebenſo muß derſelbe auch in der geſchicht- lichen (phyletiſchen) Entſtehung des Organs ſtattgefunden haben. Bei Betrachtung ſolcher hoͤchſt vollkommenen Organe, die ſchein- bar von einem kuͤnſtleriſchen Schoͤpfer fuͤr ihre beſtimmte Thaͤtigkeit

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Zitationshilfe: Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868, S. 528. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_schoepfungsgeschichte_1868/553>, abgerufen am 25.11.2024.