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Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868.

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Wissen und Glauben.
selbe erhoben haben werden. Es erscheint mir daher jetzt, am Schlusse
unserer Betrachtungen, durchaus nothwendig, wenigstens die wich-
tigsten derselben zu widerlegen, und zugleich auf der anderen Seite
die überzeugenden Beweisgründe nochmals hervorzuheben, welche für
die Wahrheit der Entwickelungslehre Zeugniß ablegen.

Die Einwürfe, welche man gegen die Abstammungslehre über-
haupt erhebt, zerfallen in zwei große Gruppen, Einwände des Glau-
bens und Einwände der Vernunft. Mit den Einwendungen der ersten
Gruppe, die in den unendlich mannichfaltigen Glaubensvorstellungen
der menschlichen Jndividuen ihren Ursprung haben, brauche ich mich
hier durchaus nicht zu befassen. Denn, wie ich bereits im Anfang
dieser Vorträge bemerkte, hat die Wissenschaft, als das objective Ergeb-
niß der sinnlichen Erfahrung und des Erkenntnißstrebens der mensch-
lichen Vernunft, gar Nichts mit den subjectiven Vorstellungen des
Glaubens zu thun, welche von einzelnen Menschen als unmittelbare
Eingebungen oder Offenbarungen des Schöpfers gepredigt, und dann
von der unselbstständigen Menge geglaubt werden. Dieser bei den ver-
schiedenen Völkern unendlich verschiedenartige Glaube fängt bekannt-
lich erst da an, wo die Wissenschaft aufhört. Die Naturwissenschaft be-
trachtet denselben nach dem Grundsatz Friedrich's des Großen, "daß
jeder auf seine Facon selig werden kann", und nur da tritt sie noth-
wendig in Konflikt mit besonderen Glaubensvorstellungen, wo dieselben
der freien Forschung eine Grenze, und der menschlichen Erkenntniß ein
Ziel setzen wollen, über welches dieselbe nicht hinaus dürfe. Das ist
nun allerdings gewiß hier im stärksten Maaße der Fall, da die Ent-
wickelungslehre sich zur Aufgabe das höchste wissenschaftliche Problem
gesetzt hat, das wir uns setzen können: das Problem der Schöpfung,
des Werdens der Dinge, und insbesondere des Werdens der organi-
schen Formen, an ihrer Spitze des Menschen. Hier ist es nun jeden-
falls eben so das gute Recht, wie die heilige Pflicht der freien Forsch-
ung, keinerlei menschliche Autorität zu scheuen, und muthig den Schleier
vom Bilde des Schöpfers zu lüften, unbekümmert, welche natürliche
Wahrheit darunter verborgen sein mag. Die göttliche Offenbarung,

Wiſſen und Glauben.
ſelbe erhoben haben werden. Es erſcheint mir daher jetzt, am Schluſſe
unſerer Betrachtungen, durchaus nothwendig, wenigſtens die wich-
tigſten derſelben zu widerlegen, und zugleich auf der anderen Seite
die uͤberzeugenden Beweisgruͤnde nochmals hervorzuheben, welche fuͤr
die Wahrheit der Entwickelungslehre Zeugniß ablegen.

Die Einwuͤrfe, welche man gegen die Abſtammungslehre uͤber-
haupt erhebt, zerfallen in zwei große Gruppen, Einwaͤnde des Glau-
bens und Einwaͤnde der Vernunft. Mit den Einwendungen der erſten
Gruppe, die in den unendlich mannichfaltigen Glaubensvorſtellungen
der menſchlichen Jndividuen ihren Urſprung haben, brauche ich mich
hier durchaus nicht zu befaſſen. Denn, wie ich bereits im Anfang
dieſer Vortraͤge bemerkte, hat die Wiſſenſchaft, als das objective Ergeb-
niß der ſinnlichen Erfahrung und des Erkenntnißſtrebens der menſch-
lichen Vernunft, gar Nichts mit den ſubjectiven Vorſtellungen des
Glaubens zu thun, welche von einzelnen Menſchen als unmittelbare
Eingebungen oder Offenbarungen des Schoͤpfers gepredigt, und dann
von der unſelbſtſtaͤndigen Menge geglaubt werden. Dieſer bei den ver-
ſchiedenen Voͤlkern unendlich verſchiedenartige Glaube faͤngt bekannt-
lich erſt da an, wo die Wiſſenſchaft aufhoͤrt. Die Naturwiſſenſchaft be-
trachtet denſelben nach dem Grundſatz Friedrich’s des Großen, „daß
jeder auf ſeine Façon ſelig werden kann“, und nur da tritt ſie noth-
wendig in Konflikt mit beſonderen Glaubensvorſtellungen, wo dieſelben
der freien Forſchung eine Grenze, und der menſchlichen Erkenntniß ein
Ziel ſetzen wollen, uͤber welches dieſelbe nicht hinaus duͤrfe. Das iſt
nun allerdings gewiß hier im ſtaͤrkſten Maaße der Fall, da die Ent-
wickelungslehre ſich zur Aufgabe das hoͤchſte wiſſenſchaftliche Problem
geſetzt hat, das wir uns ſetzen koͤnnen: das Problem der Schoͤpfung,
des Werdens der Dinge, und insbeſondere des Werdens der organi-
ſchen Formen, an ihrer Spitze des Menſchen. Hier iſt es nun jeden-
falls eben ſo das gute Recht, wie die heilige Pflicht der freien Forſch-
ung, keinerlei menſchliche Autoritaͤt zu ſcheuen, und muthig den Schleier
vom Bilde des Schoͤpfers zu luͤften, unbekuͤmmert, welche natuͤrliche
Wahrheit darunter verborgen ſein mag. Die goͤttliche Offenbarung,

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[522/0547] Wiſſen und Glauben. ſelbe erhoben haben werden. Es erſcheint mir daher jetzt, am Schluſſe unſerer Betrachtungen, durchaus nothwendig, wenigſtens die wich- tigſten derſelben zu widerlegen, und zugleich auf der anderen Seite die uͤberzeugenden Beweisgruͤnde nochmals hervorzuheben, welche fuͤr die Wahrheit der Entwickelungslehre Zeugniß ablegen. Die Einwuͤrfe, welche man gegen die Abſtammungslehre uͤber- haupt erhebt, zerfallen in zwei große Gruppen, Einwaͤnde des Glau- bens und Einwaͤnde der Vernunft. Mit den Einwendungen der erſten Gruppe, die in den unendlich mannichfaltigen Glaubensvorſtellungen der menſchlichen Jndividuen ihren Urſprung haben, brauche ich mich hier durchaus nicht zu befaſſen. Denn, wie ich bereits im Anfang dieſer Vortraͤge bemerkte, hat die Wiſſenſchaft, als das objective Ergeb- niß der ſinnlichen Erfahrung und des Erkenntnißſtrebens der menſch- lichen Vernunft, gar Nichts mit den ſubjectiven Vorſtellungen des Glaubens zu thun, welche von einzelnen Menſchen als unmittelbare Eingebungen oder Offenbarungen des Schoͤpfers gepredigt, und dann von der unſelbſtſtaͤndigen Menge geglaubt werden. Dieſer bei den ver- ſchiedenen Voͤlkern unendlich verſchiedenartige Glaube faͤngt bekannt- lich erſt da an, wo die Wiſſenſchaft aufhoͤrt. Die Naturwiſſenſchaft be- trachtet denſelben nach dem Grundſatz Friedrich’s des Großen, „daß jeder auf ſeine Façon ſelig werden kann“, und nur da tritt ſie noth- wendig in Konflikt mit beſonderen Glaubensvorſtellungen, wo dieſelben der freien Forſchung eine Grenze, und der menſchlichen Erkenntniß ein Ziel ſetzen wollen, uͤber welches dieſelbe nicht hinaus duͤrfe. Das iſt nun allerdings gewiß hier im ſtaͤrkſten Maaße der Fall, da die Ent- wickelungslehre ſich zur Aufgabe das hoͤchſte wiſſenſchaftliche Problem geſetzt hat, das wir uns ſetzen koͤnnen: das Problem der Schoͤpfung, des Werdens der Dinge, und insbeſondere des Werdens der organi- ſchen Formen, an ihrer Spitze des Menſchen. Hier iſt es nun jeden- falls eben ſo das gute Recht, wie die heilige Pflicht der freien Forſch- ung, keinerlei menſchliche Autoritaͤt zu ſcheuen, und muthig den Schleier vom Bilde des Schoͤpfers zu luͤften, unbekuͤmmert, welche natuͤrliche Wahrheit darunter verborgen ſein mag. Die goͤttliche Offenbarung,

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Zitationshilfe: Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868, S. 522. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_schoepfungsgeschichte_1868/547>, abgerufen am 24.07.2024.