Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868.

Bild:
<< vorherige Seite

Zeit der Entstehung des Menschengeschlechts.
Gegnern ihnen untergeschoben worden. Die affenartigen Stamm-
eltern des Menschengeschlechts sind längst ausgestorben.

Vielleicht werden wir ihre versteinerten Gebeine noch dereinst theilweise
in Tertiärgesteinen des südlichen Asiens auffinden. Jedenfalls wer-
den dieselben im zoologischen System in der Gruppe der schwanz-
losen Schmalnasen
(Catarrhina lipocerca) untergebracht wer-
den müssen. Wann die Umbildung der menschenähnlichsten Affen zu
den affenähnlichsten Menschen statt hatte, läßt sich jetzt gleichfalls noch
nicht sicher bestimmen. Doch ist das Wahrscheinlichste, daß dieser
wichtigste Vorgang in der irdischen Schöpfungsgeschichte gegen Ende
der Tertiärzeit stattfand, also in der pliocenen, vielleicht schon in der
miocenen Periode, vielleicht aber auch erst im Beginn der Diluvial-
zeit. Jedenfalls lebte der Mensch als solcher in Mitteleuropa schon
während der Diluvialzeit, gleichzeitig mit vielen großen, längst aus-
gestorbenen Säugethieren, namentlich dem diluvialen Elephanten oder
Mammuth (Elephas primigenius), dem wollhaarigen Nashorn (Rhi-
noceros tichorrhinus),
dem Riesenhirsch (Cervus euryceros), dem
Höhlenbär (Ursus spelaeus), der Höhlenhyäne (Hyaena spelaea),
dem Höhlentiger (Felis spelaea) etc. Die Resultate, welche die neuere
Geologie und Archäologie über diesen fossilen Menschen der Diluvial-
zeit und seine thierischen Zeitgenossen an das Licht gefördert hat, sind
vom höchsten Jnteresse. Da aber eine eingehende Betrachtung der-
selben den uns gesteckten Raum bei weitem überschreiten würde, so
begnüge ich mich hier damit, ihre hohe Bedeutung im Allgemeinen
hervorzuheben, und verweise Sie bezüglich des Besonderen auf die
zahlreichen Schriften, welche in neuester Zeit über die Urgeschichte des
Menschen erschienen sind, namentlich auf die vortrefflichen Werke von
Charles Lyell 30), Carl Vogt 27), Friedrich Rolle 28),
John Lubbock, E. B. Tyler
u. s. w.

Die zahlreichen interessanten Entdeckungen, mit denen uns diese
ausgedehnten Untersuchungen der letzten Jahre über die Urgeschichte
des Menschengeschlechts beschenkt haben, stellen die wichtige (auch aus
vielen anderen Gründen schon längst wahrscheinliche) Thatsache außer

32*

Zeit der Entſtehung des Menſchengeſchlechts.
Gegnern ihnen untergeſchoben worden. Die affenartigen Stamm-
eltern des Menſchengeſchlechts ſind laͤngſt ausgeſtorben.

Vielleicht werden wir ihre verſteinerten Gebeine noch dereinſt theilweiſe
in Tertiaͤrgeſteinen des ſuͤdlichen Aſiens auffinden. Jedenfalls wer-
den dieſelben im zoologiſchen Syſtem in der Gruppe der ſchwanz-
loſen Schmalnaſen
(Catarrhina lipocerca) untergebracht wer-
den muͤſſen. Wann die Umbildung der menſchenaͤhnlichſten Affen zu
den affenaͤhnlichſten Menſchen ſtatt hatte, laͤßt ſich jetzt gleichfalls noch
nicht ſicher beſtimmen. Doch iſt das Wahrſcheinlichſte, daß dieſer
wichtigſte Vorgang in der irdiſchen Schoͤpfungsgeſchichte gegen Ende
der Tertiaͤrzeit ſtattfand, alſo in der pliocenen, vielleicht ſchon in der
miocenen Periode, vielleicht aber auch erſt im Beginn der Diluvial-
zeit. Jedenfalls lebte der Menſch als ſolcher in Mitteleuropa ſchon
waͤhrend der Diluvialzeit, gleichzeitig mit vielen großen, laͤngſt aus-
geſtorbenen Saͤugethieren, namentlich dem diluvialen Elephanten oder
Mammuth (Elephas primigenius), dem wollhaarigen Nashorn (Rhi-
noceros tichorrhinus),
dem Rieſenhirſch (Cervus euryceros), dem
Hoͤhlenbaͤr (Ursus spelaeus), der Hoͤhlenhyaͤne (Hyaena spelaea),
dem Hoͤhlentiger (Felis spelaea) ꝛc. Die Reſultate, welche die neuere
Geologie und Archaͤologie uͤber dieſen foſſilen Menſchen der Diluvial-
zeit und ſeine thieriſchen Zeitgenoſſen an das Licht gefoͤrdert hat, ſind
vom hoͤchſten Jntereſſe. Da aber eine eingehende Betrachtung der-
ſelben den uns geſteckten Raum bei weitem uͤberſchreiten wuͤrde, ſo
begnuͤge ich mich hier damit, ihre hohe Bedeutung im Allgemeinen
hervorzuheben, und verweiſe Sie bezuͤglich des Beſonderen auf die
zahlreichen Schriften, welche in neueſter Zeit uͤber die Urgeſchichte des
Menſchen erſchienen ſind, namentlich auf die vortrefflichen Werke von
Charles Lyell 30), Carl Vogt 27), Friedrich Rolle 28),
John Lubbock, E. B. Tyler
u. ſ. w.

Die zahlreichen intereſſanten Entdeckungen, mit denen uns dieſe
ausgedehnten Unterſuchungen der letzten Jahre uͤber die Urgeſchichte
des Menſchengeſchlechts beſchenkt haben, ſtellen die wichtige (auch aus
vielen anderen Gruͤnden ſchon laͤngſt wahrſcheinliche) Thatſache außer

32*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0524" n="499"/><fw place="top" type="header">Zeit der Ent&#x017F;tehung des Men&#x017F;chenge&#x017F;chlechts.</fw><lb/>
Gegnern ihnen unterge&#x017F;choben worden. <hi rendition="#g">Die affenartigen Stamm-<lb/>
eltern des Men&#x017F;chenge&#x017F;chlechts &#x017F;ind la&#x0364;ng&#x017F;t ausge&#x017F;torben.</hi><lb/>
Vielleicht werden wir ihre ver&#x017F;teinerten Gebeine noch derein&#x017F;t theilwei&#x017F;e<lb/>
in Tertia&#x0364;rge&#x017F;teinen des &#x017F;u&#x0364;dlichen A&#x017F;iens auffinden. Jedenfalls wer-<lb/>
den die&#x017F;elben im zoologi&#x017F;chen Sy&#x017F;tem in der Gruppe der <hi rendition="#g">&#x017F;chwanz-<lb/>
lo&#x017F;en Schmalna&#x017F;en</hi> <hi rendition="#aq">(Catarrhina lipocerca)</hi> untergebracht wer-<lb/>
den mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en. <hi rendition="#g">Wann</hi> die Umbildung der men&#x017F;chena&#x0364;hnlich&#x017F;ten Affen zu<lb/>
den affena&#x0364;hnlich&#x017F;ten Men&#x017F;chen &#x017F;tatt hatte, la&#x0364;ßt &#x017F;ich jetzt gleichfalls noch<lb/>
nicht &#x017F;icher be&#x017F;timmen. Doch i&#x017F;t das Wahr&#x017F;cheinlich&#x017F;te, daß die&#x017F;er<lb/>
wichtig&#x017F;te Vorgang in der irdi&#x017F;chen Scho&#x0364;pfungsge&#x017F;chichte gegen Ende<lb/>
der Tertia&#x0364;rzeit &#x017F;tattfand, al&#x017F;o in der pliocenen, vielleicht &#x017F;chon in der<lb/>
miocenen Periode, vielleicht aber auch er&#x017F;t im Beginn der Diluvial-<lb/>
zeit. Jedenfalls lebte der Men&#x017F;ch als &#x017F;olcher in Mitteleuropa &#x017F;chon<lb/>
wa&#x0364;hrend der Diluvialzeit, gleichzeitig mit vielen großen, la&#x0364;ng&#x017F;t aus-<lb/>
ge&#x017F;torbenen Sa&#x0364;ugethieren, namentlich dem diluvialen Elephanten oder<lb/>
Mammuth <hi rendition="#aq">(Elephas primigenius),</hi> dem wollhaarigen Nashorn <hi rendition="#aq">(Rhi-<lb/>
noceros tichorrhinus),</hi> dem Rie&#x017F;enhir&#x017F;ch <hi rendition="#aq">(Cervus euryceros),</hi> dem<lb/>
Ho&#x0364;hlenba&#x0364;r <hi rendition="#aq">(Ursus spelaeus),</hi> der Ho&#x0364;hlenhya&#x0364;ne <hi rendition="#aq">(Hyaena spelaea),</hi><lb/>
dem Ho&#x0364;hlentiger <hi rendition="#aq">(Felis spelaea)</hi> &#xA75B;c. Die Re&#x017F;ultate, welche die neuere<lb/>
Geologie und Archa&#x0364;ologie u&#x0364;ber die&#x017F;en fo&#x017F;&#x017F;ilen Men&#x017F;chen der Diluvial-<lb/>
zeit und &#x017F;eine thieri&#x017F;chen Zeitgeno&#x017F;&#x017F;en an das Licht gefo&#x0364;rdert hat, &#x017F;ind<lb/>
vom ho&#x0364;ch&#x017F;ten Jntere&#x017F;&#x017F;e. Da aber eine eingehende Betrachtung der-<lb/>
&#x017F;elben den uns ge&#x017F;teckten Raum bei weitem u&#x0364;ber&#x017F;chreiten wu&#x0364;rde, &#x017F;o<lb/>
begnu&#x0364;ge ich mich hier damit, ihre hohe Bedeutung im Allgemeinen<lb/>
hervorzuheben, und verwei&#x017F;e Sie bezu&#x0364;glich des Be&#x017F;onderen auf die<lb/>
zahlreichen Schriften, welche in neue&#x017F;ter Zeit u&#x0364;ber die Urge&#x017F;chichte des<lb/>
Men&#x017F;chen er&#x017F;chienen &#x017F;ind, namentlich auf die vortrefflichen Werke von<lb/><hi rendition="#g">Charles Lyell <hi rendition="#sup">30</hi>), Carl Vogt <hi rendition="#sup">27</hi>), Friedrich Rolle <hi rendition="#sup">28</hi>),<lb/>
John Lubbock, E. B. Tyler</hi> u. &#x017F;. w.</p><lb/>
        <p>Die zahlreichen intere&#x017F;&#x017F;anten Entdeckungen, mit denen uns die&#x017F;e<lb/>
ausgedehnten Unter&#x017F;uchungen der letzten Jahre u&#x0364;ber die Urge&#x017F;chichte<lb/>
des Men&#x017F;chenge&#x017F;chlechts be&#x017F;chenkt haben, &#x017F;tellen die wichtige (auch aus<lb/>
vielen anderen Gru&#x0364;nden &#x017F;chon la&#x0364;ng&#x017F;t wahr&#x017F;cheinliche) That&#x017F;ache außer<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">32*</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[499/0524] Zeit der Entſtehung des Menſchengeſchlechts. Gegnern ihnen untergeſchoben worden. Die affenartigen Stamm- eltern des Menſchengeſchlechts ſind laͤngſt ausgeſtorben. Vielleicht werden wir ihre verſteinerten Gebeine noch dereinſt theilweiſe in Tertiaͤrgeſteinen des ſuͤdlichen Aſiens auffinden. Jedenfalls wer- den dieſelben im zoologiſchen Syſtem in der Gruppe der ſchwanz- loſen Schmalnaſen (Catarrhina lipocerca) untergebracht wer- den muͤſſen. Wann die Umbildung der menſchenaͤhnlichſten Affen zu den affenaͤhnlichſten Menſchen ſtatt hatte, laͤßt ſich jetzt gleichfalls noch nicht ſicher beſtimmen. Doch iſt das Wahrſcheinlichſte, daß dieſer wichtigſte Vorgang in der irdiſchen Schoͤpfungsgeſchichte gegen Ende der Tertiaͤrzeit ſtattfand, alſo in der pliocenen, vielleicht ſchon in der miocenen Periode, vielleicht aber auch erſt im Beginn der Diluvial- zeit. Jedenfalls lebte der Menſch als ſolcher in Mitteleuropa ſchon waͤhrend der Diluvialzeit, gleichzeitig mit vielen großen, laͤngſt aus- geſtorbenen Saͤugethieren, namentlich dem diluvialen Elephanten oder Mammuth (Elephas primigenius), dem wollhaarigen Nashorn (Rhi- noceros tichorrhinus), dem Rieſenhirſch (Cervus euryceros), dem Hoͤhlenbaͤr (Ursus spelaeus), der Hoͤhlenhyaͤne (Hyaena spelaea), dem Hoͤhlentiger (Felis spelaea) ꝛc. Die Reſultate, welche die neuere Geologie und Archaͤologie uͤber dieſen foſſilen Menſchen der Diluvial- zeit und ſeine thieriſchen Zeitgenoſſen an das Licht gefoͤrdert hat, ſind vom hoͤchſten Jntereſſe. Da aber eine eingehende Betrachtung der- ſelben den uns geſteckten Raum bei weitem uͤberſchreiten wuͤrde, ſo begnuͤge ich mich hier damit, ihre hohe Bedeutung im Allgemeinen hervorzuheben, und verweiſe Sie bezuͤglich des Beſonderen auf die zahlreichen Schriften, welche in neueſter Zeit uͤber die Urgeſchichte des Menſchen erſchienen ſind, namentlich auf die vortrefflichen Werke von Charles Lyell 30), Carl Vogt 27), Friedrich Rolle 28), John Lubbock, E. B. Tyler u. ſ. w. Die zahlreichen intereſſanten Entdeckungen, mit denen uns dieſe ausgedehnten Unterſuchungen der letzten Jahre uͤber die Urgeſchichte des Menſchengeſchlechts beſchenkt haben, ſtellen die wichtige (auch aus vielen anderen Gruͤnden ſchon laͤngſt wahrſcheinliche) Thatſache außer 32*

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_schoepfungsgeschichte_1868
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_schoepfungsgeschichte_1868/524
Zitationshilfe: Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868, S. 499. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_schoepfungsgeschichte_1868/524>, abgerufen am 22.11.2024.