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Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868.

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Schmalnasige und plattnasige Affen.
rhinae). Ferner ist das Gebiß, welches bekanntlich bei der Klassifi-
kation der Säugethiere eine hervorragende Rolle spielt, bei beiden
Gruppen charakteristisch verschieden. Alle Katarrhinen oder Affen der
alten Welt haben ganz dasselbe Gebiß, wie der Mensch, nämlich in
jedem Kiefer, oben und unten, vier Schneidezähne, dann jederseits ei-
nen Eckzahn und fünf Backzähne, von denen zwei Lückenzähne und
drei Mahlzähne sind, zusammen 32 Zähne. Dagegen alle Affen der
neuen Welt, alle Platyrrhinen, besitzen vier Backzähne mehr, nämlich
drei Lückenzähne und drei Mahlzähne jederseits oben und unten. Sie
haben also zusammen 36 Zähne. Nur eine kleine Gruppe bildet da-
von eine Ausnahme, nämlich die Krallenaffen (Arctopitheci), bei
denen der dritte Mahlzahn verkümmert, und die demnach in jeder Kie-
ferhälfte drei Lückenzähne und zwei Mahlzähne haben. Sie unter-
scheiden sich von den übrigen Platyrrhinen auch dadurch, daß sie an
den Fingern der Hände und den Zehen der Füße Krallen tragen, und
keine Nägel, wie der Mensch und die übrigen Affen. Diese kleine
Gruppe südamerikanischer Affen, zu welcher unter anderen die bekann-
ten niedlichen Pinseläffchen (Midas) und Löwenäffchen (Jacchus) ge-
hören, ist wohl nur als ein eigenthümlich entwickelter Seitenzweig der
Platyrrhinen aufzufassen.

Fragen wir nun, welche Resultate aus diesem System der Affen
für den Stammbaum derselben folgen, so ergiebt sich daraus unmit-
telbar, daß sich alle Affen der neuen Welt aus einem Stamme ent-
wickelt haben, weil sie alle das charakteristische Gebiß und die Nasen-
bildung der Platyrrhinen besitzen. Ebenso folgt daraus, daß alle
Affen der alten Welt abstammen müssen von einer und derselben ge-
meinschaftlichen Stammform, welche die Nasenbildung und das Gebiß
aller jetzt lebenden Katarrhinen besaß. Ferner kann es kaum zweifel-
haft sein, daß die Affen der neuen Welt, als ganzer Stamm genom-
men, entweder von denen der alten Welt abstammen, oder (unbestimm-
ter und vorsichtiger ausgedrückt) daß Beide divergente Aeste eines und
desselben Affenstammes sind. Für die Abstammung des Menschen folgt
hieraus der unendlich wichtige Schluß, welcher auch für die Verbrei-

Schmalnaſige und plattnaſige Affen.
rhinae). Ferner iſt das Gebiß, welches bekanntlich bei der Klaſſifi-
kation der Saͤugethiere eine hervorragende Rolle ſpielt, bei beiden
Gruppen charakteriſtiſch verſchieden. Alle Katarrhinen oder Affen der
alten Welt haben ganz daſſelbe Gebiß, wie der Menſch, naͤmlich in
jedem Kiefer, oben und unten, vier Schneidezaͤhne, dann jederſeits ei-
nen Eckzahn und fuͤnf Backzaͤhne, von denen zwei Luͤckenzaͤhne und
drei Mahlzaͤhne ſind, zuſammen 32 Zaͤhne. Dagegen alle Affen der
neuen Welt, alle Platyrrhinen, beſitzen vier Backzaͤhne mehr, naͤmlich
drei Luͤckenzaͤhne und drei Mahlzaͤhne jederſeits oben und unten. Sie
haben alſo zuſammen 36 Zaͤhne. Nur eine kleine Gruppe bildet da-
von eine Ausnahme, naͤmlich die Krallenaffen (Arctopitheci), bei
denen der dritte Mahlzahn verkuͤmmert, und die demnach in jeder Kie-
ferhaͤlfte drei Luͤckenzaͤhne und zwei Mahlzaͤhne haben. Sie unter-
ſcheiden ſich von den uͤbrigen Platyrrhinen auch dadurch, daß ſie an
den Fingern der Haͤnde und den Zehen der Fuͤße Krallen tragen, und
keine Naͤgel, wie der Menſch und die uͤbrigen Affen. Dieſe kleine
Gruppe ſuͤdamerikaniſcher Affen, zu welcher unter anderen die bekann-
ten niedlichen Pinſelaͤffchen (Midas) und Loͤwenaͤffchen (Jacchus) ge-
hoͤren, iſt wohl nur als ein eigenthuͤmlich entwickelter Seitenzweig der
Platyrrhinen aufzufaſſen.

Fragen wir nun, welche Reſultate aus dieſem Syſtem der Affen
fuͤr den Stammbaum derſelben folgen, ſo ergiebt ſich daraus unmit-
telbar, daß ſich alle Affen der neuen Welt aus einem Stamme ent-
wickelt haben, weil ſie alle das charakteriſtiſche Gebiß und die Naſen-
bildung der Platyrrhinen beſitzen. Ebenſo folgt daraus, daß alle
Affen der alten Welt abſtammen muͤſſen von einer und derſelben ge-
meinſchaftlichen Stammform, welche die Naſenbildung und das Gebiß
aller jetzt lebenden Katarrhinen beſaß. Ferner kann es kaum zweifel-
haft ſein, daß die Affen der neuen Welt, als ganzer Stamm genom-
men, entweder von denen der alten Welt abſtammen, oder (unbeſtimm-
ter und vorſichtiger ausgedruͤckt) daß Beide divergente Aeſte eines und
deſſelben Affenſtammes ſind. Fuͤr die Abſtammung des Menſchen folgt
hieraus der unendlich wichtige Schluß, welcher auch fuͤr die Verbrei-

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[495/0520] Schmalnaſige und plattnaſige Affen. rhinae). Ferner iſt das Gebiß, welches bekanntlich bei der Klaſſifi- kation der Saͤugethiere eine hervorragende Rolle ſpielt, bei beiden Gruppen charakteriſtiſch verſchieden. Alle Katarrhinen oder Affen der alten Welt haben ganz daſſelbe Gebiß, wie der Menſch, naͤmlich in jedem Kiefer, oben und unten, vier Schneidezaͤhne, dann jederſeits ei- nen Eckzahn und fuͤnf Backzaͤhne, von denen zwei Luͤckenzaͤhne und drei Mahlzaͤhne ſind, zuſammen 32 Zaͤhne. Dagegen alle Affen der neuen Welt, alle Platyrrhinen, beſitzen vier Backzaͤhne mehr, naͤmlich drei Luͤckenzaͤhne und drei Mahlzaͤhne jederſeits oben und unten. Sie haben alſo zuſammen 36 Zaͤhne. Nur eine kleine Gruppe bildet da- von eine Ausnahme, naͤmlich die Krallenaffen (Arctopitheci), bei denen der dritte Mahlzahn verkuͤmmert, und die demnach in jeder Kie- ferhaͤlfte drei Luͤckenzaͤhne und zwei Mahlzaͤhne haben. Sie unter- ſcheiden ſich von den uͤbrigen Platyrrhinen auch dadurch, daß ſie an den Fingern der Haͤnde und den Zehen der Fuͤße Krallen tragen, und keine Naͤgel, wie der Menſch und die uͤbrigen Affen. Dieſe kleine Gruppe ſuͤdamerikaniſcher Affen, zu welcher unter anderen die bekann- ten niedlichen Pinſelaͤffchen (Midas) und Loͤwenaͤffchen (Jacchus) ge- hoͤren, iſt wohl nur als ein eigenthuͤmlich entwickelter Seitenzweig der Platyrrhinen aufzufaſſen. Fragen wir nun, welche Reſultate aus dieſem Syſtem der Affen fuͤr den Stammbaum derſelben folgen, ſo ergiebt ſich daraus unmit- telbar, daß ſich alle Affen der neuen Welt aus einem Stamme ent- wickelt haben, weil ſie alle das charakteriſtiſche Gebiß und die Naſen- bildung der Platyrrhinen beſitzen. Ebenſo folgt daraus, daß alle Affen der alten Welt abſtammen muͤſſen von einer und derſelben ge- meinſchaftlichen Stammform, welche die Naſenbildung und das Gebiß aller jetzt lebenden Katarrhinen beſaß. Ferner kann es kaum zweifel- haft ſein, daß die Affen der neuen Welt, als ganzer Stamm genom- men, entweder von denen der alten Welt abſtammen, oder (unbeſtimm- ter und vorſichtiger ausgedruͤckt) daß Beide divergente Aeſte eines und deſſelben Affenſtammes ſind. Fuͤr die Abſtammung des Menſchen folgt hieraus der unendlich wichtige Schluß, welcher auch fuͤr die Verbrei-

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Zitationshilfe: Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868, S. 495. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_schoepfungsgeschichte_1868/520>, abgerufen am 25.11.2024.