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Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868.

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Vorurtheilsfreie Untersuchung des Menschen.
kurze Zeit wenigstens) aller hergebrachten und allgemein üblichen Vor-
stellungen über die "Schöpfung des Menschen" zu entäußern, und die
tief eingewurzelten Vorurtheile abzustreifen, welche uns über diesen
Punkt schon in frühester Jugend eingepflanzt werden. Wenn Sie
dies nicht thun, können Sien icht objectiv das Gewicht der wissenschaft-
lichen Beweisgründe würdigen, welche ich Jhnen für die thierische
Abstammung des Menschen, für seine Entstehung aus affenähnlichen
Säugethieren anführen werde. Wir können hierbei nichts besseres
thun, als mit Huxley uns vorzustellen, daß wir Bewohner eines
anderen Planeten wären, die bei Gelegenheit einer wissenschaftlichen
Weltreise auf die Erde gekommen wären, und da ein sonderbares
zweibeiniges Säugethier, Mensch genannt, in großer Anzahl über
die ganze Erde verbreitet, angetroffen hätten. Um dasselbe zoologisch
zu untersuchen, hätten wir eine Anzahl von Jndividuen desselben, in
verschiedenem Alter und aus verschiedenen Ländern, gleich den ande-
ren auf der Erde gesammelten Thieren, in ein großes Faß mit Wein-
geist gepackt, und nähmen nun nach unserer Rückkehr auf den heimi-
schen Planeten ganz objectiv die vergleichende Anatomie aller dieser
erdbewohnenden Thiere vor. Da wir gar kein persönliches Jnteresse
an dem, von uns selbst gänzlich verschiedenen Menschen hätten, so
würden wir ihn ebenso unbefangen und objectiv wie die übrigen
Thiere der Erde untersuchen und beurtheilen. Dabei würden wir uns
selbstverständlich zunächst aller Ansichten und Muthmaßungen über
die Natur seiner Seele enthalten oder über die geistige Seite seines
Wesens, wie man es gewöhnlich nennt. Wir beschäftigen uns viel-
mehr zunächst in diesem Vortrage nur mit der körperlichen Seite und
derjenigen natürlichen Auffassung derselben, welche uns durch die
Entwickelungsgeschichte an die Hand gegeben wird.

Offenbar müssen wir hier zunächst, um die Stellung des Men-
schen unter den übrigen Organismen der Erde richtig zu bestimmen,
wieder den unentbehrlichen Leitfaden des natürlichen Systems in die
Hand nehmen. Wir müssen möglichst scharf und genau die Stellung
zu bestimmen suchen, welche dem Menschen im natürlichen System der

Vorurtheilsfreie Unterſuchung des Menſchen.
kurze Zeit wenigſtens) aller hergebrachten und allgemein uͤblichen Vor-
ſtellungen uͤber die „Schoͤpfung des Menſchen“ zu entaͤußern, und die
tief eingewurzelten Vorurtheile abzuſtreifen, welche uns uͤber dieſen
Punkt ſchon in fruͤheſter Jugend eingepflanzt werden. Wenn Sie
dies nicht thun, koͤnnen Sien icht objectiv das Gewicht der wiſſenſchaft-
lichen Beweisgruͤnde wuͤrdigen, welche ich Jhnen fuͤr die thieriſche
Abſtammung des Menſchen, fuͤr ſeine Entſtehung aus affenaͤhnlichen
Saͤugethieren anfuͤhren werde. Wir koͤnnen hierbei nichts beſſeres
thun, als mit Huxley uns vorzuſtellen, daß wir Bewohner eines
anderen Planeten waͤren, die bei Gelegenheit einer wiſſenſchaftlichen
Weltreiſe auf die Erde gekommen waͤren, und da ein ſonderbares
zweibeiniges Saͤugethier, Menſch genannt, in großer Anzahl uͤber
die ganze Erde verbreitet, angetroffen haͤtten. Um daſſelbe zoologiſch
zu unterſuchen, haͤtten wir eine Anzahl von Jndividuen deſſelben, in
verſchiedenem Alter und aus verſchiedenen Laͤndern, gleich den ande-
ren auf der Erde geſammelten Thieren, in ein großes Faß mit Wein-
geiſt gepackt, und naͤhmen nun nach unſerer Ruͤckkehr auf den heimi-
ſchen Planeten ganz objectiv die vergleichende Anatomie aller dieſer
erdbewohnenden Thiere vor. Da wir gar kein perſoͤnliches Jntereſſe
an dem, von uns ſelbſt gaͤnzlich verſchiedenen Menſchen haͤtten, ſo
wuͤrden wir ihn ebenſo unbefangen und objectiv wie die uͤbrigen
Thiere der Erde unterſuchen und beurtheilen. Dabei wuͤrden wir uns
ſelbſtverſtaͤndlich zunaͤchſt aller Anſichten und Muthmaßungen uͤber
die Natur ſeiner Seele enthalten oder uͤber die geiſtige Seite ſeines
Weſens, wie man es gewoͤhnlich nennt. Wir beſchaͤftigen uns viel-
mehr zunaͤchſt in dieſem Vortrage nur mit der koͤrperlichen Seite und
derjenigen natuͤrlichen Auffaſſung derſelben, welche uns durch die
Entwickelungsgeſchichte an die Hand gegeben wird.

Offenbar muͤſſen wir hier zunaͤchſt, um die Stellung des Men-
ſchen unter den uͤbrigen Organismen der Erde richtig zu beſtimmen,
wieder den unentbehrlichen Leitfaden des natuͤrlichen Syſtems in die
Hand nehmen. Wir muͤſſen moͤglichſt ſcharf und genau die Stellung
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[488/0513] Vorurtheilsfreie Unterſuchung des Menſchen. kurze Zeit wenigſtens) aller hergebrachten und allgemein uͤblichen Vor- ſtellungen uͤber die „Schoͤpfung des Menſchen“ zu entaͤußern, und die tief eingewurzelten Vorurtheile abzuſtreifen, welche uns uͤber dieſen Punkt ſchon in fruͤheſter Jugend eingepflanzt werden. Wenn Sie dies nicht thun, koͤnnen Sien icht objectiv das Gewicht der wiſſenſchaft- lichen Beweisgruͤnde wuͤrdigen, welche ich Jhnen fuͤr die thieriſche Abſtammung des Menſchen, fuͤr ſeine Entſtehung aus affenaͤhnlichen Saͤugethieren anfuͤhren werde. Wir koͤnnen hierbei nichts beſſeres thun, als mit Huxley uns vorzuſtellen, daß wir Bewohner eines anderen Planeten waͤren, die bei Gelegenheit einer wiſſenſchaftlichen Weltreiſe auf die Erde gekommen waͤren, und da ein ſonderbares zweibeiniges Saͤugethier, Menſch genannt, in großer Anzahl uͤber die ganze Erde verbreitet, angetroffen haͤtten. Um daſſelbe zoologiſch zu unterſuchen, haͤtten wir eine Anzahl von Jndividuen deſſelben, in verſchiedenem Alter und aus verſchiedenen Laͤndern, gleich den ande- ren auf der Erde geſammelten Thieren, in ein großes Faß mit Wein- geiſt gepackt, und naͤhmen nun nach unſerer Ruͤckkehr auf den heimi- ſchen Planeten ganz objectiv die vergleichende Anatomie aller dieſer erdbewohnenden Thiere vor. Da wir gar kein perſoͤnliches Jntereſſe an dem, von uns ſelbſt gaͤnzlich verſchiedenen Menſchen haͤtten, ſo wuͤrden wir ihn ebenſo unbefangen und objectiv wie die uͤbrigen Thiere der Erde unterſuchen und beurtheilen. Dabei wuͤrden wir uns ſelbſtverſtaͤndlich zunaͤchſt aller Anſichten und Muthmaßungen uͤber die Natur ſeiner Seele enthalten oder uͤber die geiſtige Seite ſeines Weſens, wie man es gewoͤhnlich nennt. Wir beſchaͤftigen uns viel- mehr zunaͤchſt in dieſem Vortrage nur mit der koͤrperlichen Seite und derjenigen natuͤrlichen Auffaſſung derſelben, welche uns durch die Entwickelungsgeſchichte an die Hand gegeben wird. Offenbar muͤſſen wir hier zunaͤchſt, um die Stellung des Men- ſchen unter den uͤbrigen Organismen der Erde richtig zu beſtimmen, wieder den unentbehrlichen Leitfaden des natuͤrlichen Syſtems in die Hand nehmen. Wir muͤſſen moͤglichſt ſcharf und genau die Stellung zu beſtimmen ſuchen, welche dem Menſchen im natuͤrlichen Syſtem der

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Zitationshilfe: Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868, S. 488. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_schoepfungsgeschichte_1868/513>, abgerufen am 22.11.2024.