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Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868.

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Hufthiere oder Ungulaten.

Die Hufthiere gehören in vieler Beziehung zu den wichtigsten und
interessantesten Säugethieren. Sie zeigen deutlich, wie uns das wahre
Verständniß der natürlichen Verwandtschaft der Thiere niemals allein
aus dem Studium der noch lebenden Formen, sondern stets nur durch
gleichmäßige Berücksichtigung ihrer ausgestorbenen und versteinerten
Blutsverwandten und Vorfahren erschlossen werden kann. Wenn man
in herkömmlicher Weise allein die lebenden Hufthiere berücksichtigt, so
erscheint es ganz naturgemäß, dieselben in drei gänzlich verschiedene
Ordnungen einzutheilen, nämlich 1, die Pferde oder Einhufer (So-
lidungula
oder Equina); 2, die Wiederkäuer oder Zweihufer
(Bisulca oder Ruminantia); und 3, die Dickhäuter oder Viel-
hufer
(Multungula oder Pachyderma). Sobald man aber die aus-
gestorbenen Hufthiere der Tertiärzeit mit in Betracht zieht, von de-
nen wir sehr zahlreiche und wichtige Reste besitzen, so zeigt sich bald,
daß jene Eintheilung, namentlich aber die Begrenzung der Dickhäuter,
eine ganz künstliche ist, und daß diese drei Gruppen nur abgeschnittene
Aeste des Hufthierstammbaums sind, welche durch ausgestorbene Zwi-
schenformen auf das engste verbunden sind. Die eine Hälfte der Dick-
häuter, Nashorn, Tapir und Paläotherien zeigen sich auf das nächste
mit den Pferden verwandt, und besitzen gleich diesen unpaarzehige
Füße. Die andere Hälfte der Dickhäuter dagegen, Schweine, Fluß-
pferde und Anoplotherien, sind durch ihre paarzehigen Füße viel enger
mit den Wiederkäuern, als mit jenen ersteren verbunden. Wir müssen
daher zunächst als zwei natürliche Hauptgruppen unter den Hufthieren
die beiden Ordnungen der Paarhufer und der Unpaarhufer unter-
scheiden, welche sich als zwei divergente Aeste aus der alttertiären
Stammgruppe der Stammhufer oder Prochelen entwickelt haben.

Die Ordnung der Unpaarhufer (Perissodactyla) umfaßt die-
jenigen Ungulaten, bei denen die mittlere (oder dritte) Zehe des Fu-
ßes viel stärker als die übrigen entwickelt ist, so daß sie die eigentliche
Mitte des Hufes bildet. Es gehört hierher zunächst die uralte gemeinsame
Stammgruppe aller Hufthiere, die Stammhufer (Prochela), welche
schon in den ältesten eocenen Schichten versteinert vorkommen (Lophi-

Hufthiere oder Ungulaten.

Die Hufthiere gehoͤren in vieler Beziehung zu den wichtigſten und
intereſſanteſten Saͤugethieren. Sie zeigen deutlich, wie uns das wahre
Verſtaͤndniß der natuͤrlichen Verwandtſchaft der Thiere niemals allein
aus dem Studium der noch lebenden Formen, ſondern ſtets nur durch
gleichmaͤßige Beruͤckſichtigung ihrer ausgeſtorbenen und verſteinerten
Blutsverwandten und Vorfahren erſchloſſen werden kann. Wenn man
in herkoͤmmlicher Weiſe allein die lebenden Hufthiere beruͤckſichtigt, ſo
erſcheint es ganz naturgemaͤß, dieſelben in drei gaͤnzlich verſchiedene
Ordnungen einzutheilen, naͤmlich 1, die Pferde oder Einhufer (So-
lidungula
oder Equina); 2, die Wiederkaͤuer oder Zweihufer
(Bisulca oder Ruminantia); und 3, die Dickhaͤuter oder Viel-
hufer
(Multungula oder Pachyderma). Sobald man aber die aus-
geſtorbenen Hufthiere der Tertiaͤrzeit mit in Betracht zieht, von de-
nen wir ſehr zahlreiche und wichtige Reſte beſitzen, ſo zeigt ſich bald,
daß jene Eintheilung, namentlich aber die Begrenzung der Dickhaͤuter,
eine ganz kuͤnſtliche iſt, und daß dieſe drei Gruppen nur abgeſchnittene
Aeſte des Hufthierſtammbaums ſind, welche durch ausgeſtorbene Zwi-
ſchenformen auf das engſte verbunden ſind. Die eine Haͤlfte der Dick-
haͤuter, Nashorn, Tapir und Palaͤotherien zeigen ſich auf das naͤchſte
mit den Pferden verwandt, und beſitzen gleich dieſen unpaarzehige
Fuͤße. Die andere Haͤlfte der Dickhaͤuter dagegen, Schweine, Fluß-
pferde und Anoplotherien, ſind durch ihre paarzehigen Fuͤße viel enger
mit den Wiederkaͤuern, als mit jenen erſteren verbunden. Wir muͤſſen
daher zunaͤchſt als zwei natuͤrliche Hauptgruppen unter den Hufthieren
die beiden Ordnungen der Paarhufer und der Unpaarhufer unter-
ſcheiden, welche ſich als zwei divergente Aeſte aus der alttertiaͤren
Stammgruppe der Stammhufer oder Prochelen entwickelt haben.

Die Ordnung der Unpaarhufer (Perissodactyla) umfaßt die-
jenigen Ungulaten, bei denen die mittlere (oder dritte) Zehe des Fu-
ßes viel ſtaͤrker als die uͤbrigen entwickelt iſt, ſo daß ſie die eigentliche
Mitte des Hufes bildet. Es gehoͤrt hierher zunaͤchſt die uralte gemeinſame
Stammgruppe aller Hufthiere, die Stammhufer (Prochela), welche
ſchon in den aͤlteſten eocenen Schichten verſteinert vorkommen (Lophi-

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[475/0500] Hufthiere oder Ungulaten. Die Hufthiere gehoͤren in vieler Beziehung zu den wichtigſten und intereſſanteſten Saͤugethieren. Sie zeigen deutlich, wie uns das wahre Verſtaͤndniß der natuͤrlichen Verwandtſchaft der Thiere niemals allein aus dem Studium der noch lebenden Formen, ſondern ſtets nur durch gleichmaͤßige Beruͤckſichtigung ihrer ausgeſtorbenen und verſteinerten Blutsverwandten und Vorfahren erſchloſſen werden kann. Wenn man in herkoͤmmlicher Weiſe allein die lebenden Hufthiere beruͤckſichtigt, ſo erſcheint es ganz naturgemaͤß, dieſelben in drei gaͤnzlich verſchiedene Ordnungen einzutheilen, naͤmlich 1, die Pferde oder Einhufer (So- lidungula oder Equina); 2, die Wiederkaͤuer oder Zweihufer (Bisulca oder Ruminantia); und 3, die Dickhaͤuter oder Viel- hufer (Multungula oder Pachyderma). Sobald man aber die aus- geſtorbenen Hufthiere der Tertiaͤrzeit mit in Betracht zieht, von de- nen wir ſehr zahlreiche und wichtige Reſte beſitzen, ſo zeigt ſich bald, daß jene Eintheilung, namentlich aber die Begrenzung der Dickhaͤuter, eine ganz kuͤnſtliche iſt, und daß dieſe drei Gruppen nur abgeſchnittene Aeſte des Hufthierſtammbaums ſind, welche durch ausgeſtorbene Zwi- ſchenformen auf das engſte verbunden ſind. Die eine Haͤlfte der Dick- haͤuter, Nashorn, Tapir und Palaͤotherien zeigen ſich auf das naͤchſte mit den Pferden verwandt, und beſitzen gleich dieſen unpaarzehige Fuͤße. Die andere Haͤlfte der Dickhaͤuter dagegen, Schweine, Fluß- pferde und Anoplotherien, ſind durch ihre paarzehigen Fuͤße viel enger mit den Wiederkaͤuern, als mit jenen erſteren verbunden. Wir muͤſſen daher zunaͤchſt als zwei natuͤrliche Hauptgruppen unter den Hufthieren die beiden Ordnungen der Paarhufer und der Unpaarhufer unter- ſcheiden, welche ſich als zwei divergente Aeſte aus der alttertiaͤren Stammgruppe der Stammhufer oder Prochelen entwickelt haben. Die Ordnung der Unpaarhufer (Perissodactyla) umfaßt die- jenigen Ungulaten, bei denen die mittlere (oder dritte) Zehe des Fu- ßes viel ſtaͤrker als die uͤbrigen entwickelt iſt, ſo daß ſie die eigentliche Mitte des Hufes bildet. Es gehoͤrt hierher zunaͤchſt die uralte gemeinſame Stammgruppe aller Hufthiere, die Stammhufer (Prochela), welche ſchon in den aͤlteſten eocenen Schichten verſteinert vorkommen (Lophi-

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Zitationshilfe: Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868, S. 475. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_schoepfungsgeschichte_1868/500>, abgerufen am 22.11.2024.