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Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868.

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Natürliche Schöpfungsgeschichte und monistische Weltanschauung.
vier und Agassiz, und überhaupt von der großen Mehrzahl der
Naturforscher sowohl als der Laien gehören in diese Gruppe.

Die von Darwin ausgebildete Entwickelungstheorie dagegen,
welche wir hier als natürliche Schöpfungsgeschichte zu behan-
deln haben, und welche bereits von Goethe und Lamarck aufgestellt
wurde, muß, wenn sie folgerichtig durchgeführt wird, schließlich nothwen-
dig zu der monistischen oder mechanischen (causalen) Weltanschau-
ung hinführen. Jm Gegensatz zu jener dualistischen oder teleologischen
Naturauffassung betrachtet dieselbe die Formen der organischen Natur-
körper, ebenso wie diejenigen der anorganischen, als die nothwendigen
Produkte natürlicher Kräfte. Sie erblickt in den einzelnen Thier- und
Pflanzenarten nicht verkörperte Gedanken des persönlichen Schöpfers,
sondern den zeitweiligen Ausdruck eines mechanischen Entwickelungs-
ganges der Materie, den Ausdruck einer nothwendig wirkenden Ur-
sache oder einer mechanischen Ursache (causa efficiens). Sie
braucht also niemals übernatürliche und daher für uns unbegreifliche
Eingriffe des Schöpfers in den natürlichen Gang der Dinge zu Hülfe
zu rufen. Jhr gehört die Zukunft.

Lassen Sie uns nun zunächst einen Blick auf die wichtigste von
allen übernatürlichen Schöpfungsgeschichten werfen, diejenige des Mo-
ses,
wie sie uns durch die alte Geschichts- und Gesetzesurkunde
des jüdischen Volkes, durch die Bibel, überliefert worden ist. Be-
kanntlich ist die mosaische Schöpfungsgeschichte, wie sie im ersten Ca-
pitel der Genesis den Eingang zum alten Testament bildet, in der
ganzen jüdischen und christlichen Kulturwelt bis auf den heutigen Tag
in allgemeiner Geltung geblieben. Dieser außerordentliche Erfolg er-
klärt sich nicht allein aus der engen Verbindung derselben mit den jü-
dischen und christlichen Glaubenslehren, sondern auch aus dem wahr-
haft großartigen, einfachen und natürlichen Jdeengang, welcher die-
selbe durchzieht, und welcher vortheilhaft gegen die bunte Schöpfungs-
mythologie der meisten anderen Völker des Alterthums absticht. Zu-
erst schafft Gott der Herr die Erde als anorganischen Weltkörper.
Dann scheidet er Licht und Finsterniß, darauf Wasser und Festland.

Natuͤrliche Schoͤpfungsgeſchichte und moniſtiſche Weltanſchauung.
vier und Agaſſiz, und uͤberhaupt von der großen Mehrzahl der
Naturforſcher ſowohl als der Laien gehoͤren in dieſe Gruppe.

Die von Darwin ausgebildete Entwickelungstheorie dagegen,
welche wir hier als natuͤrliche Schoͤpfungsgeſchichte zu behan-
deln haben, und welche bereits von Goethe und Lamarck aufgeſtellt
wurde, muß, wenn ſie folgerichtig durchgefuͤhrt wird, ſchließlich nothwen-
dig zu der moniſtiſchen oder mechaniſchen (cauſalen) Weltanſchau-
ung hinfuͤhren. Jm Gegenſatz zu jener dualiſtiſchen oder teleologiſchen
Naturauffaſſung betrachtet dieſelbe die Formen der organiſchen Natur-
koͤrper, ebenſo wie diejenigen der anorganiſchen, als die nothwendigen
Produkte natuͤrlicher Kraͤfte. Sie erblickt in den einzelnen Thier- und
Pflanzenarten nicht verkoͤrperte Gedanken des perſoͤnlichen Schoͤpfers,
ſondern den zeitweiligen Ausdruck eines mechaniſchen Entwickelungs-
ganges der Materie, den Ausdruck einer nothwendig wirkenden Ur-
ſache oder einer mechaniſchen Urſache (causa efficiens). Sie
braucht alſo niemals uͤbernatuͤrliche und daher fuͤr uns unbegreifliche
Eingriffe des Schoͤpfers in den natuͤrlichen Gang der Dinge zu Huͤlfe
zu rufen. Jhr gehoͤrt die Zukunft.

Laſſen Sie uns nun zunaͤchſt einen Blick auf die wichtigſte von
allen uͤbernatuͤrlichen Schoͤpfungsgeſchichten werfen, diejenige des Mo-
ſes,
wie ſie uns durch die alte Geſchichts- und Geſetzesurkunde
des juͤdiſchen Volkes, durch die Bibel, uͤberliefert worden iſt. Be-
kanntlich iſt die moſaiſche Schoͤpfungsgeſchichte, wie ſie im erſten Ca-
pitel der Genesis den Eingang zum alten Teſtament bildet, in der
ganzen juͤdiſchen und chriſtlichen Kulturwelt bis auf den heutigen Tag
in allgemeiner Geltung geblieben. Dieſer außerordentliche Erfolg er-
klaͤrt ſich nicht allein aus der engen Verbindung derſelben mit den juͤ-
diſchen und chriſtlichen Glaubenslehren, ſondern auch aus dem wahr-
haft großartigen, einfachen und natuͤrlichen Jdeengang, welcher die-
ſelbe durchzieht, und welcher vortheilhaft gegen die bunte Schoͤpfungs-
mythologie der meiſten anderen Voͤlker des Alterthums abſticht. Zu-
erſt ſchafft Gott der Herr die Erde als anorganiſchen Weltkoͤrper.
Dann ſcheidet er Licht und Finſterniß, darauf Waſſer und Feſtland.

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[29/0050] Natuͤrliche Schoͤpfungsgeſchichte und moniſtiſche Weltanſchauung. vier und Agaſſiz, und uͤberhaupt von der großen Mehrzahl der Naturforſcher ſowohl als der Laien gehoͤren in dieſe Gruppe. Die von Darwin ausgebildete Entwickelungstheorie dagegen, welche wir hier als natuͤrliche Schoͤpfungsgeſchichte zu behan- deln haben, und welche bereits von Goethe und Lamarck aufgeſtellt wurde, muß, wenn ſie folgerichtig durchgefuͤhrt wird, ſchließlich nothwen- dig zu der moniſtiſchen oder mechaniſchen (cauſalen) Weltanſchau- ung hinfuͤhren. Jm Gegenſatz zu jener dualiſtiſchen oder teleologiſchen Naturauffaſſung betrachtet dieſelbe die Formen der organiſchen Natur- koͤrper, ebenſo wie diejenigen der anorganiſchen, als die nothwendigen Produkte natuͤrlicher Kraͤfte. Sie erblickt in den einzelnen Thier- und Pflanzenarten nicht verkoͤrperte Gedanken des perſoͤnlichen Schoͤpfers, ſondern den zeitweiligen Ausdruck eines mechaniſchen Entwickelungs- ganges der Materie, den Ausdruck einer nothwendig wirkenden Ur- ſache oder einer mechaniſchen Urſache (causa efficiens). Sie braucht alſo niemals uͤbernatuͤrliche und daher fuͤr uns unbegreifliche Eingriffe des Schoͤpfers in den natuͤrlichen Gang der Dinge zu Huͤlfe zu rufen. Jhr gehoͤrt die Zukunft. Laſſen Sie uns nun zunaͤchſt einen Blick auf die wichtigſte von allen uͤbernatuͤrlichen Schoͤpfungsgeſchichten werfen, diejenige des Mo- ſes, wie ſie uns durch die alte Geſchichts- und Geſetzesurkunde des juͤdiſchen Volkes, durch die Bibel, uͤberliefert worden iſt. Be- kanntlich iſt die moſaiſche Schoͤpfungsgeſchichte, wie ſie im erſten Ca- pitel der Genesis den Eingang zum alten Teſtament bildet, in der ganzen juͤdiſchen und chriſtlichen Kulturwelt bis auf den heutigen Tag in allgemeiner Geltung geblieben. Dieſer außerordentliche Erfolg er- klaͤrt ſich nicht allein aus der engen Verbindung derſelben mit den juͤ- diſchen und chriſtlichen Glaubenslehren, ſondern auch aus dem wahr- haft großartigen, einfachen und natuͤrlichen Jdeengang, welcher die- ſelbe durchzieht, und welcher vortheilhaft gegen die bunte Schoͤpfungs- mythologie der meiſten anderen Voͤlker des Alterthums abſticht. Zu- erſt ſchafft Gott der Herr die Erde als anorganiſchen Weltkoͤrper. Dann ſcheidet er Licht und Finſterniß, darauf Waſſer und Feſtland.

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Zitationshilfe: Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868, S. 29. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_schoepfungsgeschichte_1868/50>, abgerufen am 24.11.2024.