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Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868.

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Fleischfressende Beutelthiere.
Magenbildung an die Wiederkäuer. Eine dritte Ordnung von pflan-
zenfressenden Beutelthieren entspricht durch ihr Gebiß den Nagethieren,
und durch ihre unterirdische Lebensweise noch besonders den Wühl-
mäusen. Wir können dieselben daher als Nagebeutler oder wur-
zelfressende Beutelthiere (Rhizophaga) bezeichnen. Sie ist gegen-
wärtig nur noch durch das australische Wombat (Phascolomys) ver-
treten. Eine vierte und letzte Ordnung von pflanzenfressenden Beutel-
thieren endlich bilden die Kletterbeutler oder früchtefressenden
Beutelthiere (Carpophaga), welche in ihrer Lebensweise und Gestalt
theils den Eichhörnchen, theils den Affen entsprechen (Phalangista,
Phascolarctus).

Die zweite Legion der Marsupialien, die fleischfressenden
Beutelthiere
(Zoophaga), zerfallen ebenfalls in vier Hauptgrup-
pen oder Ordnungen. Die älteste von diesen ist die der Urbeutler
oder insectenfressenden Beutelthiere (Cantharophaga). Zu dieser ge-
hören wahrscheinlich die Stammformen der ganzen Legion, und viel-
leicht auch der ganzen Unterklasse. Wenigstens gehören alle stones-
fielder Unterkiefer (mit Ausnahme des erwähnten Stereognathus)
insectenfressenden Beutelthieren an, welche in dem jetzt noch leben-
den Myrmecobius ihren nächsten Verwandten besitzen. Doch war
bei einem Theile jener oolithischen Urbeutler die Zahl der Zähne
größer, als bei allen übrigen bekannten Säugethieren, indem jede
Unterkieferhälfte von Thylacotherium 16 Zähne enthält (3 Schnei-
dezähne, 1 Eckzahn, 6 falsche und 6 wahre Backzähne). Wenn
in dem unbekannten Oberkiefer eben so viele Zähne saßen, so hatte
Thylacotherium nicht weniger als 64 Zähne, gerade doppelt so
viel als der Mensch. Die Urbeutler entsprechen im Ganzen den
Jnsectenfressern unter den Placentalthieren, zu denen Jgel, Maulwurf
und Spitzmaus gehören. Eine zweite Ordnung, die sich wahrschein-
lich aus einem Zweige der ersteren entwickelt hat, sind die Rüssel-
beutler
oder zahnarmen Beutelthiere (Edentula), welche durch die
rüsselförmig verlängerte Schnauze, das verkümmerte Gebiß und die
demselben entsprechende Lebensweise an die Zahnarmen oder Edentaten

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Fleiſchfreſſende Beutelthiere.
Magenbildung an die Wiederkaͤuer. Eine dritte Ordnung von pflan-
zenfreſſenden Beutelthieren entſpricht durch ihr Gebiß den Nagethieren,
und durch ihre unterirdiſche Lebensweiſe noch beſonders den Wuͤhl-
maͤuſen. Wir koͤnnen dieſelben daher als Nagebeutler oder wur-
zelfreſſende Beutelthiere (Rhizophaga) bezeichnen. Sie iſt gegen-
waͤrtig nur noch durch das auſtraliſche Wombat (Phascolomys) ver-
treten. Eine vierte und letzte Ordnung von pflanzenfreſſenden Beutel-
thieren endlich bilden die Kletterbeutler oder fruͤchtefreſſenden
Beutelthiere (Carpophaga), welche in ihrer Lebensweiſe und Geſtalt
theils den Eichhoͤrnchen, theils den Affen entſprechen (Phalangista,
Phascolarctus).

Die zweite Legion der Marſupialien, die fleiſchfreſſenden
Beutelthiere
(Zoophaga), zerfallen ebenfalls in vier Hauptgrup-
pen oder Ordnungen. Die aͤlteſte von dieſen iſt die der Urbeutler
oder inſectenfreſſenden Beutelthiere (Cantharophaga). Zu dieſer ge-
hoͤren wahrſcheinlich die Stammformen der ganzen Legion, und viel-
leicht auch der ganzen Unterklaſſe. Wenigſtens gehoͤren alle ſtones-
fielder Unterkiefer (mit Ausnahme des erwaͤhnten Stereognathus)
inſectenfreſſenden Beutelthieren an, welche in dem jetzt noch leben-
den Myrmecobius ihren naͤchſten Verwandten beſitzen. Doch war
bei einem Theile jener oolithiſchen Urbeutler die Zahl der Zaͤhne
groͤßer, als bei allen uͤbrigen bekannten Saͤugethieren, indem jede
Unterkieferhaͤlfte von Thylacotherium 16 Zaͤhne enthaͤlt (3 Schnei-
dezaͤhne, 1 Eckzahn, 6 falſche und 6 wahre Backzaͤhne). Wenn
in dem unbekannten Oberkiefer eben ſo viele Zaͤhne ſaßen, ſo hatte
Thylacotherium nicht weniger als 64 Zaͤhne, gerade doppelt ſo
viel als der Menſch. Die Urbeutler entſprechen im Ganzen den
Jnſectenfreſſern unter den Placentalthieren, zu denen Jgel, Maulwurf
und Spitzmaus gehoͤren. Eine zweite Ordnung, die ſich wahrſchein-
lich aus einem Zweige der erſteren entwickelt hat, ſind die Ruͤſſel-
beutler
oder zahnarmen Beutelthiere (Edentula), welche durch die
ruͤſſelfoͤrmig verlaͤngerte Schnauze, das verkuͤmmerte Gebiß und die
demſelben entſprechende Lebensweiſe an die Zahnarmen oder Edentaten

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[467/0492] Fleiſchfreſſende Beutelthiere. Magenbildung an die Wiederkaͤuer. Eine dritte Ordnung von pflan- zenfreſſenden Beutelthieren entſpricht durch ihr Gebiß den Nagethieren, und durch ihre unterirdiſche Lebensweiſe noch beſonders den Wuͤhl- maͤuſen. Wir koͤnnen dieſelben daher als Nagebeutler oder wur- zelfreſſende Beutelthiere (Rhizophaga) bezeichnen. Sie iſt gegen- waͤrtig nur noch durch das auſtraliſche Wombat (Phascolomys) ver- treten. Eine vierte und letzte Ordnung von pflanzenfreſſenden Beutel- thieren endlich bilden die Kletterbeutler oder fruͤchtefreſſenden Beutelthiere (Carpophaga), welche in ihrer Lebensweiſe und Geſtalt theils den Eichhoͤrnchen, theils den Affen entſprechen (Phalangista, Phascolarctus). Die zweite Legion der Marſupialien, die fleiſchfreſſenden Beutelthiere (Zoophaga), zerfallen ebenfalls in vier Hauptgrup- pen oder Ordnungen. Die aͤlteſte von dieſen iſt die der Urbeutler oder inſectenfreſſenden Beutelthiere (Cantharophaga). Zu dieſer ge- hoͤren wahrſcheinlich die Stammformen der ganzen Legion, und viel- leicht auch der ganzen Unterklaſſe. Wenigſtens gehoͤren alle ſtones- fielder Unterkiefer (mit Ausnahme des erwaͤhnten Stereognathus) inſectenfreſſenden Beutelthieren an, welche in dem jetzt noch leben- den Myrmecobius ihren naͤchſten Verwandten beſitzen. Doch war bei einem Theile jener oolithiſchen Urbeutler die Zahl der Zaͤhne groͤßer, als bei allen uͤbrigen bekannten Saͤugethieren, indem jede Unterkieferhaͤlfte von Thylacotherium 16 Zaͤhne enthaͤlt (3 Schnei- dezaͤhne, 1 Eckzahn, 6 falſche und 6 wahre Backzaͤhne). Wenn in dem unbekannten Oberkiefer eben ſo viele Zaͤhne ſaßen, ſo hatte Thylacotherium nicht weniger als 64 Zaͤhne, gerade doppelt ſo viel als der Menſch. Die Urbeutler entſprechen im Ganzen den Jnſectenfreſſern unter den Placentalthieren, zu denen Jgel, Maulwurf und Spitzmaus gehoͤren. Eine zweite Ordnung, die ſich wahrſchein- lich aus einem Zweige der erſteren entwickelt hat, ſind die Ruͤſſel- beutler oder zahnarmen Beutelthiere (Edentula), welche durch die ruͤſſelfoͤrmig verlaͤngerte Schnauze, das verkuͤmmerte Gebiß und die demſelben entſprechende Lebensweiſe an die Zahnarmen oder Edentaten 30 *

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Zitationshilfe: Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868, S. 467. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_schoepfungsgeschichte_1868/492>, abgerufen am 24.11.2024.