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Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868.

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Blutsverwandtschaft der Wirbelthiere und Mantelthiere.
kaum noch bei äußerer Betrachtung ein Thier vermuthet. Allein das
Rückenmark, als die Anlage des Centralnervensystems, und der Rücken-
strang, als die erste Grundlage der Wirbelsäule, sind so wichtige, den
Wirbelthieren so ausschließlich eigenthümliche Organe, daß wir daraus
sicher auf die wirkliche Blutsverwandtschaft der Wirbelthiere mit den
Mantelthieren schließen können. Natürlich wollen wir damit nicht sa-
gen, daß die Wirbelthiere von den Mantelthieren abstammen, sondern
nur, daß beide Gruppen aus gemeinsamer Wurzel entsprossen sind,
und daß die Mantelthiere von allen Wirbellosen diejenigen sind, welche
die nächste Blutsverwandtschaft zu den Wirbelthieren besitzen. Offen-
bar haben sich während der Primordialzeit die echten Wirbelthiere
(und zwar zunächst die Schädellosen) aus einer Würmergruppe fort-
schreitend entwickelt, aus welcher nach einer anderen rückschreitenden
Richtung hin, die degenerirten Mantelthiere hervorgingen.

Aus den Schädellosen oder Rohrherzen hat sich zunächst eine
zweite niedere Klasse von Wirbelthieren entwickelt, welche noch tief un-
ter den Fischen steht, und welche in der Gegenwart nur durch die
Jnger (Myxinoiden) und Lampreten (Petromyzonten) vertreten wird.
Auch diese Klasse konnte wegen des Mangels aller festen Körpertheile
leider eben so wenig als die Schädellosen versteinerte Reste hinter-
lassen. Aus ihrer ganzen Organisation und Ontogenie geht aber deut-
lich hervor, daß sie eine sehr wichtige Mittelstufe zwischen den Schä-
dellosen und den Fischen darstellt, und daß die wenigen noch lebenden
Glieder derselben nur die letzten überlebenden Reste von einer gegen
Ende der Primordialzeit vermuthlich reich entwickelten Thiergruppe sind.
Wegen des kreisrunden, zum Saugen verwendeten Maules, das die
Jnger und Lampreten besitzen, wird die ganze Klasse gewöhnlich
Rundmäuler (Cyclostoma) genannt. Bezeichnender noch ist der
Name Unpaarnasen (Monorrhina). Denn alle Cyclostomen be-
sitzen ein einfaches unpaares Nasenrohr, während bei allen übrigen
Wirbelthieren (wieder mit Ausnahme des Amphioxus) die Nase aus
zwei paarigen Seitenhälften, einer rechten und linken Nase besteht.

Blutsverwandtſchaft der Wirbelthiere und Mantelthiere.
kaum noch bei aͤußerer Betrachtung ein Thier vermuthet. Allein das
Ruͤckenmark, als die Anlage des Centralnervenſyſtems, und der Ruͤcken-
ſtrang, als die erſte Grundlage der Wirbelſaͤule, ſind ſo wichtige, den
Wirbelthieren ſo ausſchließlich eigenthuͤmliche Organe, daß wir daraus
ſicher auf die wirkliche Blutsverwandtſchaft der Wirbelthiere mit den
Mantelthieren ſchließen koͤnnen. Natuͤrlich wollen wir damit nicht ſa-
gen, daß die Wirbelthiere von den Mantelthieren abſtammen, ſondern
nur, daß beide Gruppen aus gemeinſamer Wurzel entſproſſen ſind,
und daß die Mantelthiere von allen Wirbelloſen diejenigen ſind, welche
die naͤchſte Blutsverwandtſchaft zu den Wirbelthieren beſitzen. Offen-
bar haben ſich waͤhrend der Primordialzeit die echten Wirbelthiere
(und zwar zunaͤchſt die Schaͤdelloſen) aus einer Wuͤrmergruppe fort-
ſchreitend entwickelt, aus welcher nach einer anderen ruͤckſchreitenden
Richtung hin, die degenerirten Mantelthiere hervorgingen.

Aus den Schaͤdelloſen oder Rohrherzen hat ſich zunaͤchſt eine
zweite niedere Klaſſe von Wirbelthieren entwickelt, welche noch tief un-
ter den Fiſchen ſteht, und welche in der Gegenwart nur durch die
Jnger (Myxinoiden) und Lampreten (Petromyzonten) vertreten wird.
Auch dieſe Klaſſe konnte wegen des Mangels aller feſten Koͤrpertheile
leider eben ſo wenig als die Schaͤdelloſen verſteinerte Reſte hinter-
laſſen. Aus ihrer ganzen Organiſation und Ontogenie geht aber deut-
lich hervor, daß ſie eine ſehr wichtige Mittelſtufe zwiſchen den Schaͤ-
delloſen und den Fiſchen darſtellt, und daß die wenigen noch lebenden
Glieder derſelben nur die letzten uͤberlebenden Reſte von einer gegen
Ende der Primordialzeit vermuthlich reich entwickelten Thiergruppe ſind.
Wegen des kreisrunden, zum Saugen verwendeten Maules, das die
Jnger und Lampreten beſitzen, wird die ganze Klaſſe gewoͤhnlich
Rundmaͤuler (Cyclostoma) genannt. Bezeichnender noch iſt der
Name Unpaarnaſen (Monorrhina). Denn alle Cycloſtomen be-
ſitzen ein einfaches unpaares Naſenrohr, waͤhrend bei allen uͤbrigen
Wirbelthieren (wieder mit Ausnahme des Amphioxus) die Naſe aus
zwei paarigen Seitenhaͤlften, einer rechten und linken Naſe beſteht.

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[439/0464] Blutsverwandtſchaft der Wirbelthiere und Mantelthiere. kaum noch bei aͤußerer Betrachtung ein Thier vermuthet. Allein das Ruͤckenmark, als die Anlage des Centralnervenſyſtems, und der Ruͤcken- ſtrang, als die erſte Grundlage der Wirbelſaͤule, ſind ſo wichtige, den Wirbelthieren ſo ausſchließlich eigenthuͤmliche Organe, daß wir daraus ſicher auf die wirkliche Blutsverwandtſchaft der Wirbelthiere mit den Mantelthieren ſchließen koͤnnen. Natuͤrlich wollen wir damit nicht ſa- gen, daß die Wirbelthiere von den Mantelthieren abſtammen, ſondern nur, daß beide Gruppen aus gemeinſamer Wurzel entſproſſen ſind, und daß die Mantelthiere von allen Wirbelloſen diejenigen ſind, welche die naͤchſte Blutsverwandtſchaft zu den Wirbelthieren beſitzen. Offen- bar haben ſich waͤhrend der Primordialzeit die echten Wirbelthiere (und zwar zunaͤchſt die Schaͤdelloſen) aus einer Wuͤrmergruppe fort- ſchreitend entwickelt, aus welcher nach einer anderen ruͤckſchreitenden Richtung hin, die degenerirten Mantelthiere hervorgingen. Aus den Schaͤdelloſen oder Rohrherzen hat ſich zunaͤchſt eine zweite niedere Klaſſe von Wirbelthieren entwickelt, welche noch tief un- ter den Fiſchen ſteht, und welche in der Gegenwart nur durch die Jnger (Myxinoiden) und Lampreten (Petromyzonten) vertreten wird. Auch dieſe Klaſſe konnte wegen des Mangels aller feſten Koͤrpertheile leider eben ſo wenig als die Schaͤdelloſen verſteinerte Reſte hinter- laſſen. Aus ihrer ganzen Organiſation und Ontogenie geht aber deut- lich hervor, daß ſie eine ſehr wichtige Mittelſtufe zwiſchen den Schaͤ- delloſen und den Fiſchen darſtellt, und daß die wenigen noch lebenden Glieder derſelben nur die letzten uͤberlebenden Reſte von einer gegen Ende der Primordialzeit vermuthlich reich entwickelten Thiergruppe ſind. Wegen des kreisrunden, zum Saugen verwendeten Maules, das die Jnger und Lampreten beſitzen, wird die ganze Klaſſe gewoͤhnlich Rundmaͤuler (Cyclostoma) genannt. Bezeichnender noch iſt der Name Unpaarnaſen (Monorrhina). Denn alle Cycloſtomen be- ſitzen ein einfaches unpaares Naſenrohr, waͤhrend bei allen uͤbrigen Wirbelthieren (wieder mit Ausnahme des Amphioxus) die Naſe aus zwei paarigen Seitenhaͤlften, einer rechten und linken Naſe beſteht.

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Zitationshilfe: Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868, S. 439. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_schoepfungsgeschichte_1868/464>, abgerufen am 24.11.2024.