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Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868.

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Entstehung der Sternthiere aus Stöcken von Gliedwürmern.
welche bei den meisten zur Bildung eines festen, geschlossenen, aus vie-
len Platten zusammengesetzten Panzers führt. Bei fast allen Echino-
dermen ist der Körper aus fünf Strahltheilen (Gegenstücken oder An-
timeren) zusammengesetzt, welche rings um die Hauptaxe des Körpers
sternförmig herum stehen und sich in dieser Axe berühren. Nur bei
einigen Seesternarten steigt die Zahl dieser Strahltheile über fünf hinaus,
auf 6 -- 9, 10 -- 12, oder selbst 20 -- 40; und in diesem Falle ist
die Zahl der Strahltheile bei den verschiedenen Jndividuen der Spe-
cies meist nicht beständig, sondern wechselnd.

Die geschichtliche Entwickelung und der Stammbaum der Echi-
nodermen werden uns durch ihre zahlreichen und meist vortrefflich er-
haltenen Versteinerungen, durch ihre sehr merkwürdige individuelle
Entwickelungsgeschichte und durch ihre interessante vergleichende Ana-
tomie so vollständig enthüllt, wie es außerdem bei keinem anderen
Thierstamme, selbst die Wirbelthiere vielleicht nicht ausgenommen, der
Fall ist. Durch eine kritische Benutzung jener drei Archive und eine
denkende Vergleichung ihrer Resultate gelangen wir zu folgender Ge-
nealogie der Sternthiere, die ich in meiner generellen Morphologie
begründet habe (Gen. Morph. II, Taf. IV. S. LXII. -- LXXVII).

Die älteste und ursprünglichste Gruppe der Sternthiere, die
Stammform des ganzen Phylum, ist die Klasse der Seesterne (Aste-
rida).
Dafür spricht außer zahlreichen und wichtigen Beweisgrün-
den der Anatomie und Entwickelungsgeschichte vor allen die hier noch
unbeständige und wechselnde Zahl der Strahltheile oder Antimeren,
welche bei allen übrigen Echinodermen ausnahmslos auf fünf fixirt
ist. Jeder Seestern besteht aus einer mittleren kleinen Körperscheibe,
an deren Umkreis in einer Ebene fünf oder mehr lange gegliederte
Arme befestigt sind. Jeder Arm des Seesterns entspricht
in seiner ganzen Organisation wesentlich einem geglie-
derten Wurme
aus der Hauptklasse der Gliedwürmer oder Col-
elminthen. Jch betrachte daher den Seestern als einen echten
Stock oder Cormus von fünf oder mehr gegliederten
Würmern,
welche mit dem einen Ende ihres Körpers verwachsen sind.

Haeckel, Natürliche Schöpfungsgeschichte. 27

Entſtehung der Sternthiere aus Stoͤcken von Gliedwuͤrmern.
welche bei den meiſten zur Bildung eines feſten, geſchloſſenen, aus vie-
len Platten zuſammengeſetzten Panzers fuͤhrt. Bei faſt allen Echino-
dermen iſt der Koͤrper aus fuͤnf Strahltheilen (Gegenſtuͤcken oder An-
timeren) zuſammengeſetzt, welche rings um die Hauptaxe des Koͤrpers
ſternfoͤrmig herum ſtehen und ſich in dieſer Axe beruͤhren. Nur bei
einigen Seeſternarten ſteigt die Zahl dieſer Strahltheile uͤber fuͤnf hinaus,
auf 6 — 9, 10 — 12, oder ſelbſt 20 — 40; und in dieſem Falle iſt
die Zahl der Strahltheile bei den verſchiedenen Jndividuen der Spe-
cies meiſt nicht beſtaͤndig, ſondern wechſelnd.

Die geſchichtliche Entwickelung und der Stammbaum der Echi-
nodermen werden uns durch ihre zahlreichen und meiſt vortrefflich er-
haltenen Verſteinerungen, durch ihre ſehr merkwuͤrdige individuelle
Entwickelungsgeſchichte und durch ihre intereſſante vergleichende Ana-
tomie ſo vollſtaͤndig enthuͤllt, wie es außerdem bei keinem anderen
Thierſtamme, ſelbſt die Wirbelthiere vielleicht nicht ausgenommen, der
Fall iſt. Durch eine kritiſche Benutzung jener drei Archive und eine
denkende Vergleichung ihrer Reſultate gelangen wir zu folgender Ge-
nealogie der Sternthiere, die ich in meiner generellen Morphologie
begruͤndet habe (Gen. Morph. II, Taf. IV. S. LXII. — LXXVII).

Die aͤlteſte und urſpruͤnglichſte Gruppe der Sternthiere, die
Stammform des ganzen Phylum, iſt die Klaſſe der Seeſterne (Aste-
rida).
Dafuͤr ſpricht außer zahlreichen und wichtigen Beweisgruͤn-
den der Anatomie und Entwickelungsgeſchichte vor allen die hier noch
unbeſtaͤndige und wechſelnde Zahl der Strahltheile oder Antimeren,
welche bei allen uͤbrigen Echinodermen ausnahmslos auf fuͤnf fixirt
iſt. Jeder Seeſtern beſteht aus einer mittleren kleinen Koͤrperſcheibe,
an deren Umkreis in einer Ebene fuͤnf oder mehr lange gegliederte
Arme befeſtigt ſind. Jeder Arm des Seeſterns entſpricht
in ſeiner ganzen Organiſation weſentlich einem geglie-
derten Wurme
aus der Hauptklaſſe der Gliedwuͤrmer oder Col-
elminthen. Jch betrachte daher den Seeſtern als einen echten
Stock oder Cormus von fuͤnf oder mehr gegliederten
Wuͤrmern,
welche mit dem einen Ende ihres Koͤrpers verwachſen ſind.

Haeckel, Natuͤrliche Schoͤpfungsgeſchichte. 27
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[417/0442] Entſtehung der Sternthiere aus Stoͤcken von Gliedwuͤrmern. welche bei den meiſten zur Bildung eines feſten, geſchloſſenen, aus vie- len Platten zuſammengeſetzten Panzers fuͤhrt. Bei faſt allen Echino- dermen iſt der Koͤrper aus fuͤnf Strahltheilen (Gegenſtuͤcken oder An- timeren) zuſammengeſetzt, welche rings um die Hauptaxe des Koͤrpers ſternfoͤrmig herum ſtehen und ſich in dieſer Axe beruͤhren. Nur bei einigen Seeſternarten ſteigt die Zahl dieſer Strahltheile uͤber fuͤnf hinaus, auf 6 — 9, 10 — 12, oder ſelbſt 20 — 40; und in dieſem Falle iſt die Zahl der Strahltheile bei den verſchiedenen Jndividuen der Spe- cies meiſt nicht beſtaͤndig, ſondern wechſelnd. Die geſchichtliche Entwickelung und der Stammbaum der Echi- nodermen werden uns durch ihre zahlreichen und meiſt vortrefflich er- haltenen Verſteinerungen, durch ihre ſehr merkwuͤrdige individuelle Entwickelungsgeſchichte und durch ihre intereſſante vergleichende Ana- tomie ſo vollſtaͤndig enthuͤllt, wie es außerdem bei keinem anderen Thierſtamme, ſelbſt die Wirbelthiere vielleicht nicht ausgenommen, der Fall iſt. Durch eine kritiſche Benutzung jener drei Archive und eine denkende Vergleichung ihrer Reſultate gelangen wir zu folgender Ge- nealogie der Sternthiere, die ich in meiner generellen Morphologie begruͤndet habe (Gen. Morph. II, Taf. IV. S. LXII. — LXXVII). Die aͤlteſte und urſpruͤnglichſte Gruppe der Sternthiere, die Stammform des ganzen Phylum, iſt die Klaſſe der Seeſterne (Aste- rida). Dafuͤr ſpricht außer zahlreichen und wichtigen Beweisgruͤn- den der Anatomie und Entwickelungsgeſchichte vor allen die hier noch unbeſtaͤndige und wechſelnde Zahl der Strahltheile oder Antimeren, welche bei allen uͤbrigen Echinodermen ausnahmslos auf fuͤnf fixirt iſt. Jeder Seeſtern beſteht aus einer mittleren kleinen Koͤrperſcheibe, an deren Umkreis in einer Ebene fuͤnf oder mehr lange gegliederte Arme befeſtigt ſind. Jeder Arm des Seeſterns entſpricht in ſeiner ganzen Organiſation weſentlich einem geglie- derten Wurme aus der Hauptklaſſe der Gliedwuͤrmer oder Col- elminthen. Jch betrachte daher den Seeſtern als einen echten Stock oder Cormus von fuͤnf oder mehr gegliederten Wuͤrmern, welche mit dem einen Ende ihres Koͤrpers verwachſen ſind. Haeckel, Natuͤrliche Schoͤpfungsgeſchichte. 27

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Zitationshilfe: Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868, S. 417. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_schoepfungsgeschichte_1868/442>, abgerufen am 25.11.2024.