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Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868.

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Kopflose und kopftragende Weichthiere.
bildung seiner vollkommensten Formen) für den morphologisch
niedersten unter den vier höheren Thierstämmen.

Wenn wir die Himategen oder Molluscoiden, die gewöhnlich
mit dem Weichthierstamm vereinigt werden, aus den angeführten
Gründen ausschließen, so behalten wir als echte Mollusken folgende
vier Klassen: die Spiralkiemer, Blattkiemer, Schnecken und Pulpen.
Die beiden niederen Molluskenklassen, Spiralkiemer und Blattkiemer,
besitzen weder Kopf noch Zähne, und man kann sie daher als Kopf-
lose
(Acephala) oder Zahnlose (Anodontoda) in einer Haupt-
klasse vereinigen. Diese Hauptklasse wird auch häufig als die der
Muscheln (Conchifera) oder Zweiklappigen (Bivalva) bezeich-
net, weil alle Mitglieder derselben eine zweiklappige Kalkschale besitzen.
Den Muscheln oder Kopflosen gegenüber kann man die beiden höheren
Weichthierklassen, Schnecken und Pulpen, als Kopfträger (Euce-
phala)
oder Zahnträger (Odontophora) in einer zweiten Haupt-
klasse zusammenfassen, weil sowohl Kopf als Zähne bei ihnen ausge-
bildet sind.

Bei der großen Mehrzahl der Weichthiere ist der weiche sackförmige
Körper von einer Kalkschale oder einem Kalkgehäuse geschützt, welches
bei den Muscheln (sowohl Spiralkiemern als Blattkiemern) aus zwei
Klappen, bei den Kopfträgern dagegen (Schnecken und Pulpen) aus
einer meist gewundenen Röhre (dem sogenannten "Schneckenhaus")
besteht. Trotzdem diese harten Skelete massenhaft in allen neptunischen
Schichten sich versteinert finden, sagen uns dieselben dennoch nur sehr
wenig über die geschichtliche Entwickelung des Stammes aus. Denn
diese fällt größtentheils in die Primordialzeit. Selbst schon in den
silurischen Schichten finden wir alle vier Klassen der Weichthiere neben
einander versteinert vor, und dies beweist deutlich, in Uebereinstimmung
mit vielen anderen Zeugnissen, daß der Weichthierstamm damals schon
eine mächtige Ausbildung erreicht hatte, als die höheren Stämme,
namentlich Gliedfüßer und Wirbelthiere, kaum über den Beginn ihrer
historischen Entwickelung hinaus waren. Jn den darauf folgenden
Zeitaltern, besonders zunächst im primären und weiterhin im secundären

Kopfloſe und kopftragende Weichthiere.
bildung ſeiner vollkommenſten Formen) fuͤr den morphologiſch
niederſten unter den vier hoͤheren Thierſtaͤmmen.

Wenn wir die Himategen oder Molluscoiden, die gewoͤhnlich
mit dem Weichthierſtamm vereinigt werden, aus den angefuͤhrten
Gruͤnden ausſchließen, ſo behalten wir als echte Mollusken folgende
vier Klaſſen: die Spiralkiemer, Blattkiemer, Schnecken und Pulpen.
Die beiden niederen Molluskenklaſſen, Spiralkiemer und Blattkiemer,
beſitzen weder Kopf noch Zaͤhne, und man kann ſie daher als Kopf-
loſe
(Acephala) oder Zahnloſe (Anodontoda) in einer Haupt-
klaſſe vereinigen. Dieſe Hauptklaſſe wird auch haͤufig als die der
Muſcheln (Conchifera) oder Zweiklappigen (Bivalva) bezeich-
net, weil alle Mitglieder derſelben eine zweiklappige Kalkſchale beſitzen.
Den Muſcheln oder Kopfloſen gegenuͤber kann man die beiden hoͤheren
Weichthierklaſſen, Schnecken und Pulpen, als Kopftraͤger (Euce-
phala)
oder Zahntraͤger (Odontophora) in einer zweiten Haupt-
klaſſe zuſammenfaſſen, weil ſowohl Kopf als Zaͤhne bei ihnen ausge-
bildet ſind.

Bei der großen Mehrzahl der Weichthiere iſt der weiche ſackfoͤrmige
Koͤrper von einer Kalkſchale oder einem Kalkgehaͤuſe geſchuͤtzt, welches
bei den Muſcheln (ſowohl Spiralkiemern als Blattkiemern) aus zwei
Klappen, bei den Kopftraͤgern dagegen (Schnecken und Pulpen) aus
einer meiſt gewundenen Roͤhre (dem ſogenannten „Schneckenhaus“)
beſteht. Trotzdem dieſe harten Skelete maſſenhaft in allen neptuniſchen
Schichten ſich verſteinert finden, ſagen uns dieſelben dennoch nur ſehr
wenig uͤber die geſchichtliche Entwickelung des Stammes aus. Denn
dieſe faͤllt groͤßtentheils in die Primordialzeit. Selbſt ſchon in den
ſiluriſchen Schichten finden wir alle vier Klaſſen der Weichthiere neben
einander verſteinert vor, und dies beweiſt deutlich, in Uebereinſtimmung
mit vielen anderen Zeugniſſen, daß der Weichthierſtamm damals ſchon
eine maͤchtige Ausbildung erreicht hatte, als die hoͤheren Staͤmme,
namentlich Gliedfuͤßer und Wirbelthiere, kaum uͤber den Beginn ihrer
hiſtoriſchen Entwickelung hinaus waren. Jn den darauf folgenden
Zeitaltern, beſonders zunaͤchſt im primaͤren und weiterhin im ſecundaͤren

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[412/0437] Kopfloſe und kopftragende Weichthiere. bildung ſeiner vollkommenſten Formen) fuͤr den morphologiſch niederſten unter den vier hoͤheren Thierſtaͤmmen. Wenn wir die Himategen oder Molluscoiden, die gewoͤhnlich mit dem Weichthierſtamm vereinigt werden, aus den angefuͤhrten Gruͤnden ausſchließen, ſo behalten wir als echte Mollusken folgende vier Klaſſen: die Spiralkiemer, Blattkiemer, Schnecken und Pulpen. Die beiden niederen Molluskenklaſſen, Spiralkiemer und Blattkiemer, beſitzen weder Kopf noch Zaͤhne, und man kann ſie daher als Kopf- loſe (Acephala) oder Zahnloſe (Anodontoda) in einer Haupt- klaſſe vereinigen. Dieſe Hauptklaſſe wird auch haͤufig als die der Muſcheln (Conchifera) oder Zweiklappigen (Bivalva) bezeich- net, weil alle Mitglieder derſelben eine zweiklappige Kalkſchale beſitzen. Den Muſcheln oder Kopfloſen gegenuͤber kann man die beiden hoͤheren Weichthierklaſſen, Schnecken und Pulpen, als Kopftraͤger (Euce- phala) oder Zahntraͤger (Odontophora) in einer zweiten Haupt- klaſſe zuſammenfaſſen, weil ſowohl Kopf als Zaͤhne bei ihnen ausge- bildet ſind. Bei der großen Mehrzahl der Weichthiere iſt der weiche ſackfoͤrmige Koͤrper von einer Kalkſchale oder einem Kalkgehaͤuſe geſchuͤtzt, welches bei den Muſcheln (ſowohl Spiralkiemern als Blattkiemern) aus zwei Klappen, bei den Kopftraͤgern dagegen (Schnecken und Pulpen) aus einer meiſt gewundenen Roͤhre (dem ſogenannten „Schneckenhaus“) beſteht. Trotzdem dieſe harten Skelete maſſenhaft in allen neptuniſchen Schichten ſich verſteinert finden, ſagen uns dieſelben dennoch nur ſehr wenig uͤber die geſchichtliche Entwickelung des Stammes aus. Denn dieſe faͤllt groͤßtentheils in die Primordialzeit. Selbſt ſchon in den ſiluriſchen Schichten finden wir alle vier Klaſſen der Weichthiere neben einander verſteinert vor, und dies beweiſt deutlich, in Uebereinſtimmung mit vielen anderen Zeugniſſen, daß der Weichthierſtamm damals ſchon eine maͤchtige Ausbildung erreicht hatte, als die hoͤheren Staͤmme, namentlich Gliedfuͤßer und Wirbelthiere, kaum uͤber den Beginn ihrer hiſtoriſchen Entwickelung hinaus waren. Jn den darauf folgenden Zeitaltern, beſonders zunaͤchſt im primaͤren und weiterhin im ſecundaͤren

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Zitationshilfe: Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868, S. 412. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_schoepfungsgeschichte_1868/437>, abgerufen am 25.11.2024.