den. Je größer einerseits die Anzahl, je wichtiger die Bedeutung der durch die Theorie zu erklärenden Erscheinungen ist, und je einfacher andrerseits, je allgemeiner die Ursachen sind, welche die Theorie zur Erklärung in Anspruch nimmt, desto höher ist ihr wissenschaftlicher Werth, desto sicherer bedienen wir uns ihrer Leitung, desto mehr sind wir verpflichtet zu ihrer Annahme,
Denken Sie z. B. an diejenige Theorie, welche bisher als der größte Erwerb des menschlichen Geistes galt, an die Gravitations- theorie, welche der Engländer Newton vor 200 Jahren in seinen mathematischen Principien der Naturphilosophie begründete. Hier fin- den Sie das zu erklärende Objekt so groß genommen als Sie es nur denken können. Er unternahm es, die Bewegungserscheinungen der Planeten und den Bau des Weltgebäudes auf mathematische Gesetze zurückzuführen. Als die höchst einfache Ursache dieser verwickelten Bewegungserscheinungen begründete Newton das Gesetz der Schwere oder der Massenanziehung, dasselbe, welches die Ursache des Falles der Körper, der Adhäsion, der Cohäsion und vieler anderen Erschei- nungen ist.
Wenn Sie nun den gleichen Maßstab an die Theorie Darwins anlegen, so müssen Sie zu dem Schluß kommen, daß diese ebenfalls zu den größten Eroberungen des menschlichen Geistes gehört, und daß sie sich unmittelbar neben die Gravitationstheorie Newtons stellen kann. Vielleicht erscheint Jhnen dieser Ausspruch übertrieben oder we- nigstens sehr gewagt; ich hoffe Sie aber im Verlauf dieser Vorträge zu überzeugen, daß diese Schätzung nicht zu hoch gegriffen ist. Jn der vorigen Stunde wurden bereits einige der wichtigsten und allgemein- sten Erscheinungen aus der organischen Natur namhaft gemacht, welche durch Darwins Theorie erklärt werden. Dahin gehören vor Allen die Formveränderungen, welche die individuelle Entwickelung der Organismen begleiten, äußerst mannichfaltige und verwickelte Er- scheinungen, welche bisher einer mechanischen Erklärung, d. h. einer Zurückführung auf wirkende Ursachen die größten Schwierigkeiten in den Weg legten. Wir haben die rudimentären Organe erwähnt,
Vergleichung von Darwins und Newtons Theorie.
den. Je groͤßer einerſeits die Anzahl, je wichtiger die Bedeutung der durch die Theorie zu erklaͤrenden Erſcheinungen iſt, und je einfacher andrerſeits, je allgemeiner die Urſachen ſind, welche die Theorie zur Erklaͤrung in Anſpruch nimmt, deſto hoͤher iſt ihr wiſſenſchaftlicher Werth, deſto ſicherer bedienen wir uns ihrer Leitung, deſto mehr ſind wir verpflichtet zu ihrer Annahme,
Denken Sie z. B. an diejenige Theorie, welche bisher als der groͤßte Erwerb des menſchlichen Geiſtes galt, an die Gravitations- theorie, welche der Englaͤnder Newton vor 200 Jahren in ſeinen mathematiſchen Principien der Naturphiloſophie begruͤndete. Hier fin- den Sie das zu erklaͤrende Objekt ſo groß genommen als Sie es nur denken koͤnnen. Er unternahm es, die Bewegungserſcheinungen der Planeten und den Bau des Weltgebaͤudes auf mathematiſche Geſetze zuruͤckzufuͤhren. Als die hoͤchſt einfache Urſache dieſer verwickelten Bewegungserſcheinungen begruͤndete Newton das Geſetz der Schwere oder der Maſſenanziehung, daſſelbe, welches die Urſache des Falles der Koͤrper, der Adhaͤſion, der Cohaͤſion und vieler anderen Erſchei- nungen iſt.
Wenn Sie nun den gleichen Maßſtab an die Theorie Darwins anlegen, ſo muͤſſen Sie zu dem Schluß kommen, daß dieſe ebenfalls zu den groͤßten Eroberungen des menſchlichen Geiſtes gehoͤrt, und daß ſie ſich unmittelbar neben die Gravitationstheorie Newtons ſtellen kann. Vielleicht erſcheint Jhnen dieſer Ausſpruch uͤbertrieben oder we- nigſtens ſehr gewagt; ich hoffe Sie aber im Verlauf dieſer Vortraͤge zu uͤberzeugen, daß dieſe Schaͤtzung nicht zu hoch gegriffen iſt. Jn der vorigen Stunde wurden bereits einige der wichtigſten und allgemein- ſten Erſcheinungen aus der organiſchen Natur namhaft gemacht, welche durch Darwins Theorie erklaͤrt werden. Dahin gehoͤren vor Allen die Formveraͤnderungen, welche die individuelle Entwickelung der Organismen begleiten, aͤußerſt mannichfaltige und verwickelte Er- ſcheinungen, welche bisher einer mechaniſchen Erklaͤrung, d. h. einer Zuruͤckfuͤhrung auf wirkende Urſachen die groͤßten Schwierigkeiten in den Weg legten. Wir haben die rudimentaͤren Organe erwaͤhnt,
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[21/0042]
Vergleichung von Darwins und Newtons Theorie.
den. Je groͤßer einerſeits die Anzahl, je wichtiger die Bedeutung der
durch die Theorie zu erklaͤrenden Erſcheinungen iſt, und je einfacher
andrerſeits, je allgemeiner die Urſachen ſind, welche die Theorie zur
Erklaͤrung in Anſpruch nimmt, deſto hoͤher iſt ihr wiſſenſchaftlicher
Werth, deſto ſicherer bedienen wir uns ihrer Leitung, deſto mehr ſind
wir verpflichtet zu ihrer Annahme,
Denken Sie z. B. an diejenige Theorie, welche bisher als der
groͤßte Erwerb des menſchlichen Geiſtes galt, an die Gravitations-
theorie, welche der Englaͤnder Newton vor 200 Jahren in ſeinen
mathematiſchen Principien der Naturphiloſophie begruͤndete. Hier fin-
den Sie das zu erklaͤrende Objekt ſo groß genommen als Sie es nur
denken koͤnnen. Er unternahm es, die Bewegungserſcheinungen der
Planeten und den Bau des Weltgebaͤudes auf mathematiſche Geſetze
zuruͤckzufuͤhren. Als die hoͤchſt einfache Urſache dieſer verwickelten
Bewegungserſcheinungen begruͤndete Newton das Geſetz der Schwere
oder der Maſſenanziehung, daſſelbe, welches die Urſache des Falles
der Koͤrper, der Adhaͤſion, der Cohaͤſion und vieler anderen Erſchei-
nungen iſt.
Wenn Sie nun den gleichen Maßſtab an die Theorie Darwins
anlegen, ſo muͤſſen Sie zu dem Schluß kommen, daß dieſe ebenfalls
zu den groͤßten Eroberungen des menſchlichen Geiſtes gehoͤrt, und daß
ſie ſich unmittelbar neben die Gravitationstheorie Newtons ſtellen
kann. Vielleicht erſcheint Jhnen dieſer Ausſpruch uͤbertrieben oder we-
nigſtens ſehr gewagt; ich hoffe Sie aber im Verlauf dieſer Vortraͤge
zu uͤberzeugen, daß dieſe Schaͤtzung nicht zu hoch gegriffen iſt. Jn der
vorigen Stunde wurden bereits einige der wichtigſten und allgemein-
ſten Erſcheinungen aus der organiſchen Natur namhaft gemacht, welche
durch Darwins Theorie erklaͤrt werden. Dahin gehoͤren vor Allen
die Formveraͤnderungen, welche die individuelle Entwickelung der
Organismen begleiten, aͤußerſt mannichfaltige und verwickelte Er-
ſcheinungen, welche bisher einer mechaniſchen Erklaͤrung, d. h. einer
Zuruͤckfuͤhrung auf wirkende Urſachen die groͤßten Schwierigkeiten in
den Weg legten. Wir haben die rudimentaͤren Organe erwaͤhnt,
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Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868, S. 21. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_schoepfungsgeschichte_1868/42>, abgerufen am 23.11.2024.
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