Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868.

Bild:
<< vorherige Seite

Rothtange (Rhodophyceen oder Florideen).
reizendsten Pflanzen gehören. Die charakteristische rothe Farbe ist bald
ein tiefes Purpur-, bald ein brennendes Scharlach-, bald ein zartes
Rosenroth, und geht einerseits in violette und purpurblaue, andrer-
seits in braune und grüne Tinten in bewunderungswürdiger Pracht
über. Wer von Jhnen eines unserer nordischen Seebäder besucht hat,
wird gewiß schon mit Staunen die reizenden Formen dieser Florideen
betrachtet haben, welche auf weißem Papier, zierlich angetrocknet, viel-
fach zum Verkaufe geboten werden. Die meisten Rothtange sind lei-
der so zart, daß sie gar nicht der Versteinerung fähig sind, so die pracht-
vollen Ptiloten, Plokamien, Delesserien u. s. w. Doch giebt es einzelne
Formen, wie die Chondrien und Sphärokokken, welche einen härteren,
oft fast knorpelharten Thallus besitzen, und von diesen sind uns auch
manche versteinerte Reste, namentlich aus den silurischen, devonischen
und Kohlenschichten, später besonders aus dem Jura erhalten worden.
Wahrscheinlich nahm auch diese Klasse an der Zusammensetzung der
archolithischen Tangflora wesentlichen Antheil.

Wenn Sie nun nochmals einen Rückblick auf die Flora der Pri-
mordialzeit werfen, welche ausschließlich von der Hauptklasse der Tange
gebildet wurde, so finden Sie, daß die vier untergeordneten Klassen
derselben wahrscheinlich in ähnlicher Weise an der Zusammensetzung
jener submarinen Wälder des Urmeeres sich betheiligt haben, wie in
der Gegenwart die vier physiognomischen Vegetationstypen der stämmi-
gen Bäume, der blumigen Kräuter, des buschigen Grases und der
zartlaubigen Farne und Mose an der Zusammensetzung unserer Land-
wälder Theil nehmen. Man könnte in dieser Beziehung sagen, daß
die unterseeischen Waldbäume der Primordialzeit durch die mächtigen
Brauntange oder Fucoideen gebildet wurden. Die farbigen Blumen
zu den Füßen dieser Baumriesen wurden durch die bunten Rothtange
oder Florideen vertreten. Das grüne Gras dazwischen bildeten die
haarbüscheligen Grüntange oder Chloralgen. Das zarte Laub der
Farne und Mose endlich, welches den Boden unserer Wälder bedeckt,
die Lücken ausfüllt, welche die anderen Pflanzen übrig lassen, und
selbst auf den Stämmen der Bäume sich ansiedelt, wird damals ähn-

Rothtange (Rhodophyceen oder Florideen).
reizendſten Pflanzen gehoͤren. Die charakteriſtiſche rothe Farbe iſt bald
ein tiefes Purpur-, bald ein brennendes Scharlach-, bald ein zartes
Roſenroth, und geht einerſeits in violette und purpurblaue, andrer-
ſeits in braune und gruͤne Tinten in bewunderungswuͤrdiger Pracht
uͤber. Wer von Jhnen eines unſerer nordiſchen Seebaͤder beſucht hat,
wird gewiß ſchon mit Staunen die reizenden Formen dieſer Florideen
betrachtet haben, welche auf weißem Papier, zierlich angetrocknet, viel-
fach zum Verkaufe geboten werden. Die meiſten Rothtange ſind lei-
der ſo zart, daß ſie gar nicht der Verſteinerung faͤhig ſind, ſo die pracht-
vollen Ptiloten, Plokamien, Deleſſerien u. ſ. w. Doch giebt es einzelne
Formen, wie die Chondrien und Sphaͤrokokken, welche einen haͤrteren,
oft faſt knorpelharten Thallus beſitzen, und von dieſen ſind uns auch
manche verſteinerte Reſte, namentlich aus den ſiluriſchen, devoniſchen
und Kohlenſchichten, ſpaͤter beſonders aus dem Jura erhalten worden.
Wahrſcheinlich nahm auch dieſe Klaſſe an der Zuſammenſetzung der
archolithiſchen Tangflora weſentlichen Antheil.

Wenn Sie nun nochmals einen Ruͤckblick auf die Flora der Pri-
mordialzeit werfen, welche ausſchließlich von der Hauptklaſſe der Tange
gebildet wurde, ſo finden Sie, daß die vier untergeordneten Klaſſen
derſelben wahrſcheinlich in aͤhnlicher Weiſe an der Zuſammenſetzung
jener ſubmarinen Waͤlder des Urmeeres ſich betheiligt haben, wie in
der Gegenwart die vier phyſiognomiſchen Vegetationstypen der ſtaͤmmi-
gen Baͤume, der blumigen Kraͤuter, des buſchigen Graſes und der
zartlaubigen Farne und Moſe an der Zuſammenſetzung unſerer Land-
waͤlder Theil nehmen. Man koͤnnte in dieſer Beziehung ſagen, daß
die unterſeeiſchen Waldbaͤume der Primordialzeit durch die maͤchtigen
Brauntange oder Fucoideen gebildet wurden. Die farbigen Blumen
zu den Fuͤßen dieſer Baumrieſen wurden durch die bunten Rothtange
oder Florideen vertreten. Das gruͤne Gras dazwiſchen bildeten die
haarbuͤſcheligen Gruͤntange oder Chloralgen. Das zarte Laub der
Farne und Moſe endlich, welches den Boden unſerer Waͤlder bedeckt,
die Luͤcken ausfuͤllt, welche die anderen Pflanzen uͤbrig laſſen, und
ſelbſt auf den Staͤmmen der Baͤume ſich anſiedelt, wird damals aͤhn-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0383" n="358"/><fw place="top" type="header">Rothtange (Rhodophyceen oder Florideen).</fw><lb/>
reizend&#x017F;ten Pflanzen geho&#x0364;ren. Die charakteri&#x017F;ti&#x017F;che rothe Farbe i&#x017F;t bald<lb/>
ein tiefes Purpur-, bald ein brennendes Scharlach-, bald ein zartes<lb/>
Ro&#x017F;enroth, und geht einer&#x017F;eits in violette und purpurblaue, andrer-<lb/>
&#x017F;eits in braune und gru&#x0364;ne Tinten in bewunderungswu&#x0364;rdiger Pracht<lb/>
u&#x0364;ber. Wer von Jhnen eines un&#x017F;erer nordi&#x017F;chen Seeba&#x0364;der be&#x017F;ucht hat,<lb/>
wird gewiß &#x017F;chon mit Staunen die reizenden Formen die&#x017F;er Florideen<lb/>
betrachtet haben, welche auf weißem Papier, zierlich angetrocknet, viel-<lb/>
fach zum Verkaufe geboten werden. Die mei&#x017F;ten Rothtange &#x017F;ind lei-<lb/>
der &#x017F;o zart, daß &#x017F;ie gar nicht der Ver&#x017F;teinerung fa&#x0364;hig &#x017F;ind, &#x017F;o die pracht-<lb/>
vollen Ptiloten, Plokamien, Dele&#x017F;&#x017F;erien u. &#x017F;. w. Doch giebt es einzelne<lb/>
Formen, wie die Chondrien und Spha&#x0364;rokokken, welche einen ha&#x0364;rteren,<lb/>
oft fa&#x017F;t knorpelharten Thallus be&#x017F;itzen, und von die&#x017F;en &#x017F;ind uns auch<lb/>
manche ver&#x017F;teinerte Re&#x017F;te, namentlich aus den &#x017F;iluri&#x017F;chen, devoni&#x017F;chen<lb/>
und Kohlen&#x017F;chichten, &#x017F;pa&#x0364;ter be&#x017F;onders aus dem Jura erhalten worden.<lb/>
Wahr&#x017F;cheinlich nahm auch die&#x017F;e Kla&#x017F;&#x017F;e an der Zu&#x017F;ammen&#x017F;etzung der<lb/>
archolithi&#x017F;chen Tangflora we&#x017F;entlichen Antheil.</p><lb/>
        <p>Wenn Sie nun nochmals einen Ru&#x0364;ckblick auf die Flora der Pri-<lb/>
mordialzeit werfen, welche aus&#x017F;chließlich von der Hauptkla&#x017F;&#x017F;e der Tange<lb/>
gebildet wurde, &#x017F;o finden Sie, daß die vier untergeordneten Kla&#x017F;&#x017F;en<lb/>
der&#x017F;elben wahr&#x017F;cheinlich in a&#x0364;hnlicher Wei&#x017F;e an der Zu&#x017F;ammen&#x017F;etzung<lb/>
jener &#x017F;ubmarinen Wa&#x0364;lder des Urmeeres &#x017F;ich betheiligt haben, wie in<lb/>
der Gegenwart die vier phy&#x017F;iognomi&#x017F;chen Vegetationstypen der &#x017F;ta&#x0364;mmi-<lb/>
gen Ba&#x0364;ume, der blumigen Kra&#x0364;uter, des bu&#x017F;chigen Gra&#x017F;es und der<lb/>
zartlaubigen Farne und Mo&#x017F;e an der Zu&#x017F;ammen&#x017F;etzung un&#x017F;erer Land-<lb/>
wa&#x0364;lder Theil nehmen. Man ko&#x0364;nnte in die&#x017F;er Beziehung &#x017F;agen, daß<lb/>
die unter&#x017F;eei&#x017F;chen Waldba&#x0364;ume der Primordialzeit durch die ma&#x0364;chtigen<lb/>
Brauntange oder Fucoideen gebildet wurden. Die farbigen Blumen<lb/>
zu den Fu&#x0364;ßen die&#x017F;er Baumrie&#x017F;en wurden durch die bunten Rothtange<lb/>
oder Florideen vertreten. Das gru&#x0364;ne Gras dazwi&#x017F;chen bildeten die<lb/>
haarbu&#x0364;&#x017F;cheligen Gru&#x0364;ntange oder Chloralgen. Das zarte Laub der<lb/>
Farne und Mo&#x017F;e endlich, welches den Boden un&#x017F;erer Wa&#x0364;lder bedeckt,<lb/>
die Lu&#x0364;cken ausfu&#x0364;llt, welche die anderen Pflanzen u&#x0364;brig la&#x017F;&#x017F;en, und<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t auf den Sta&#x0364;mmen der Ba&#x0364;ume &#x017F;ich an&#x017F;iedelt, wird damals a&#x0364;hn-<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[358/0383] Rothtange (Rhodophyceen oder Florideen). reizendſten Pflanzen gehoͤren. Die charakteriſtiſche rothe Farbe iſt bald ein tiefes Purpur-, bald ein brennendes Scharlach-, bald ein zartes Roſenroth, und geht einerſeits in violette und purpurblaue, andrer- ſeits in braune und gruͤne Tinten in bewunderungswuͤrdiger Pracht uͤber. Wer von Jhnen eines unſerer nordiſchen Seebaͤder beſucht hat, wird gewiß ſchon mit Staunen die reizenden Formen dieſer Florideen betrachtet haben, welche auf weißem Papier, zierlich angetrocknet, viel- fach zum Verkaufe geboten werden. Die meiſten Rothtange ſind lei- der ſo zart, daß ſie gar nicht der Verſteinerung faͤhig ſind, ſo die pracht- vollen Ptiloten, Plokamien, Deleſſerien u. ſ. w. Doch giebt es einzelne Formen, wie die Chondrien und Sphaͤrokokken, welche einen haͤrteren, oft faſt knorpelharten Thallus beſitzen, und von dieſen ſind uns auch manche verſteinerte Reſte, namentlich aus den ſiluriſchen, devoniſchen und Kohlenſchichten, ſpaͤter beſonders aus dem Jura erhalten worden. Wahrſcheinlich nahm auch dieſe Klaſſe an der Zuſammenſetzung der archolithiſchen Tangflora weſentlichen Antheil. Wenn Sie nun nochmals einen Ruͤckblick auf die Flora der Pri- mordialzeit werfen, welche ausſchließlich von der Hauptklaſſe der Tange gebildet wurde, ſo finden Sie, daß die vier untergeordneten Klaſſen derſelben wahrſcheinlich in aͤhnlicher Weiſe an der Zuſammenſetzung jener ſubmarinen Waͤlder des Urmeeres ſich betheiligt haben, wie in der Gegenwart die vier phyſiognomiſchen Vegetationstypen der ſtaͤmmi- gen Baͤume, der blumigen Kraͤuter, des buſchigen Graſes und der zartlaubigen Farne und Moſe an der Zuſammenſetzung unſerer Land- waͤlder Theil nehmen. Man koͤnnte in dieſer Beziehung ſagen, daß die unterſeeiſchen Waldbaͤume der Primordialzeit durch die maͤchtigen Brauntange oder Fucoideen gebildet wurden. Die farbigen Blumen zu den Fuͤßen dieſer Baumrieſen wurden durch die bunten Rothtange oder Florideen vertreten. Das gruͤne Gras dazwiſchen bildeten die haarbuͤſcheligen Gruͤntange oder Chloralgen. Das zarte Laub der Farne und Moſe endlich, welches den Boden unſerer Waͤlder bedeckt, die Luͤcken ausfuͤllt, welche die anderen Pflanzen uͤbrig laſſen, und ſelbſt auf den Staͤmmen der Baͤume ſich anſiedelt, wird damals aͤhn-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_schoepfungsgeschichte_1868
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_schoepfungsgeschichte_1868/383
Zitationshilfe: Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868, S. 358. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_schoepfungsgeschichte_1868/383>, abgerufen am 24.11.2024.