Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868.

Bild:
<< vorherige Seite

Jndividualität und Grundform des Protistenkörpers.
Plastiden bleibt auch meistens sehr locker, und jede einzelne bewahrt in
hohem Maße ihre individuelle Selbstständigkeit. Jndividualitäten höhe-
rer (dritter bis sechster) Ordnung, wie sie im Thier- und Pflanzenreiche
sehr allgemein ausgebildet sind, finden wir unter den Protisten nur in
geringer Verbreitung entwickelt.

Ein zweiter Formcharakter, welcher nächst der niederen Jndivi-
dualitätsstufe die Protisten besonders auszeichnet, ist der niedere Aus-
bildungsgrad ihrer stereometrischen Grundform. Wie ich in meiner
Grundformenlehre (im vierten Buche der generellen Morphologie) ge-
zeigt habe, ist bei den meisten Organismen sowohl in der Gesammt-
bildung des Körpers als in der Form der einzelnen Theile eine be-
stimmte geometrische Grundform nachzuweisen. Diese ideale Grund-
form, welche durch die Zahl, Lagerung, Verbindung und Differen-
zirung der zusammensetzenden Theile bestimmt ist, verhält sich zu der
realen organischen Form ganz ähnlich, wie sich die ideale geometrische
Grundform der Krystalle zu ihrer unvollkommenen realen Form ver-
hält. Bei den meisten Körpern und Körpertheilen von Thieren und
Pflanzen ist diese Grundform eine Pyramide, und zwar bei den
sogenannten "strahlig-regulären" Formen eine reguläre Pyramide, bei
den höher differenzirten, sogenannten "bilateral-symmetrischen" Formen
eine irreguläre Pyramide (Vergl. die Tabellen S. 556--558 im zweiten
Bande der gen. Morph.). Bei den Protisten ist diese Pyramidenform,
welche im Thier- und Pflanzenreiche vorherrscht, im Ganzen selten,
und statt dessen ist die Form entweder ganz unregelmäßig (amorph
oder irregulär) oder es ist die Grundform eine einfachere reguläre
geometrische Form, insbesondere sehr häufig die Kugel, der Cylinder,
das Ellipsoid, das Sphäroid, der Doppelkegel, der Kegel, das re-
guläre Vieleck (Tetraeder, Hexaeder, Octaeder, Dodekaeder, Jco-
saeder) u. s. w. Alle diese niederen und unvollkommenen Grund-
formen des promorphologischen Systems sind bei den Protisten die
vorherrschenden Grundformen. Jedoch kommen daneben bei vielen
Protisten auch noch die höheren regulären und bilateralen Grundfor-
men vor, welche im Thier- und Pflanzenreich herrschend sind. Auch

Jndividualitaͤt und Grundform des Protiſtenkoͤrpers.
Plaſtiden bleibt auch meiſtens ſehr locker, und jede einzelne bewahrt in
hohem Maße ihre individuelle Selbſtſtaͤndigkeit. Jndividualitaͤten hoͤhe-
rer (dritter bis ſechster) Ordnung, wie ſie im Thier- und Pflanzenreiche
ſehr allgemein ausgebildet ſind, finden wir unter den Protiſten nur in
geringer Verbreitung entwickelt.

Ein zweiter Formcharakter, welcher naͤchſt der niederen Jndivi-
dualitaͤtsſtufe die Protiſten beſonders auszeichnet, iſt der niedere Aus-
bildungsgrad ihrer ſtereometriſchen Grundform. Wie ich in meiner
Grundformenlehre (im vierten Buche der generellen Morphologie) ge-
zeigt habe, iſt bei den meiſten Organismen ſowohl in der Geſammt-
bildung des Koͤrpers als in der Form der einzelnen Theile eine be-
ſtimmte geometriſche Grundform nachzuweiſen. Dieſe ideale Grund-
form, welche durch die Zahl, Lagerung, Verbindung und Differen-
zirung der zuſammenſetzenden Theile beſtimmt iſt, verhaͤlt ſich zu der
realen organiſchen Form ganz aͤhnlich, wie ſich die ideale geometriſche
Grundform der Kryſtalle zu ihrer unvollkommenen realen Form ver-
haͤlt. Bei den meiſten Koͤrpern und Koͤrpertheilen von Thieren und
Pflanzen iſt dieſe Grundform eine Pyramide, und zwar bei den
ſogenannten „ſtrahlig-regulaͤren“ Formen eine regulaͤre Pyramide, bei
den hoͤher differenzirten, ſogenannten „bilateral-ſymmetriſchen“ Formen
eine irregulaͤre Pyramide (Vergl. die Tabellen S. 556—558 im zweiten
Bande der gen. Morph.). Bei den Protiſten iſt dieſe Pyramidenform,
welche im Thier- und Pflanzenreiche vorherrſcht, im Ganzen ſelten,
und ſtatt deſſen iſt die Form entweder ganz unregelmaͤßig (amorph
oder irregulaͤr) oder es iſt die Grundform eine einfachere regulaͤre
geometriſche Form, insbeſondere ſehr haͤufig die Kugel, der Cylinder,
das Ellipſoid, das Sphaͤroid, der Doppelkegel, der Kegel, das re-
gulaͤre Vieleck (Tetraeder, Hexaeder, Octaeder, Dodekaeder, Jco-
ſaeder) u. ſ. w. Alle dieſe niederen und unvollkommenen Grund-
formen des promorphologiſchen Syſtems ſind bei den Protiſten die
vorherrſchenden Grundformen. Jedoch kommen daneben bei vielen
Protiſten auch noch die hoͤheren regulaͤren und bilateralen Grundfor-
men vor, welche im Thier- und Pflanzenreich herrſchend ſind. Auch

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0368" n="343"/><fw place="top" type="header">Jndividualita&#x0364;t und Grundform des Proti&#x017F;tenko&#x0364;rpers.</fw><lb/>
Pla&#x017F;tiden bleibt auch mei&#x017F;tens &#x017F;ehr locker, und jede einzelne bewahrt in<lb/>
hohem Maße ihre individuelle Selb&#x017F;t&#x017F;ta&#x0364;ndigkeit. Jndividualita&#x0364;ten ho&#x0364;he-<lb/>
rer (dritter bis &#x017F;echster) Ordnung, wie &#x017F;ie im Thier- und Pflanzenreiche<lb/>
&#x017F;ehr allgemein ausgebildet &#x017F;ind, finden wir unter den Proti&#x017F;ten nur in<lb/>
geringer Verbreitung entwickelt.</p><lb/>
        <p>Ein zweiter Formcharakter, welcher na&#x0364;ch&#x017F;t der niederen Jndivi-<lb/>
dualita&#x0364;ts&#x017F;tufe die Proti&#x017F;ten be&#x017F;onders auszeichnet, i&#x017F;t der niedere Aus-<lb/>
bildungsgrad ihrer &#x017F;tereometri&#x017F;chen Grundform. Wie ich in meiner<lb/>
Grundformenlehre (im vierten Buche der generellen Morphologie) ge-<lb/>
zeigt habe, i&#x017F;t bei den mei&#x017F;ten Organismen &#x017F;owohl in der Ge&#x017F;ammt-<lb/>
bildung des Ko&#x0364;rpers als in der Form der einzelnen Theile eine be-<lb/>
&#x017F;timmte geometri&#x017F;che Grundform nachzuwei&#x017F;en. Die&#x017F;e ideale Grund-<lb/>
form, welche durch die Zahl, Lagerung, Verbindung und Differen-<lb/>
zirung der zu&#x017F;ammen&#x017F;etzenden Theile be&#x017F;timmt i&#x017F;t, verha&#x0364;lt &#x017F;ich zu der<lb/>
realen organi&#x017F;chen Form ganz a&#x0364;hnlich, wie &#x017F;ich die ideale geometri&#x017F;che<lb/>
Grundform der Kry&#x017F;talle zu ihrer unvollkommenen realen Form ver-<lb/>
ha&#x0364;lt. Bei den mei&#x017F;ten Ko&#x0364;rpern und Ko&#x0364;rpertheilen von Thieren und<lb/>
Pflanzen i&#x017F;t die&#x017F;e Grundform eine Pyramide, und zwar bei den<lb/>
&#x017F;ogenannten &#x201E;&#x017F;trahlig-regula&#x0364;ren&#x201C; Formen eine regula&#x0364;re Pyramide, bei<lb/>
den ho&#x0364;her differenzirten, &#x017F;ogenannten &#x201E;bilateral-&#x017F;ymmetri&#x017F;chen&#x201C; Formen<lb/>
eine irregula&#x0364;re Pyramide (Vergl. die Tabellen S. 556&#x2014;558 im zweiten<lb/>
Bande der gen. Morph.). Bei den Proti&#x017F;ten i&#x017F;t die&#x017F;e Pyramidenform,<lb/>
welche im Thier- und Pflanzenreiche vorherr&#x017F;cht, im Ganzen &#x017F;elten,<lb/>
und &#x017F;tatt de&#x017F;&#x017F;en i&#x017F;t die Form entweder ganz unregelma&#x0364;ßig (amorph<lb/>
oder irregula&#x0364;r) oder es i&#x017F;t die Grundform eine einfachere regula&#x0364;re<lb/>
geometri&#x017F;che Form, insbe&#x017F;ondere &#x017F;ehr ha&#x0364;ufig die Kugel, der Cylinder,<lb/>
das Ellip&#x017F;oid, das Spha&#x0364;roid, der Doppelkegel, der Kegel, das re-<lb/>
gula&#x0364;re Vieleck (Tetraeder, Hexaeder, Octaeder, Dodekaeder, Jco-<lb/>
&#x017F;aeder) u. &#x017F;. w. Alle die&#x017F;e niederen und unvollkommenen Grund-<lb/>
formen des promorphologi&#x017F;chen Sy&#x017F;tems &#x017F;ind bei den Proti&#x017F;ten die<lb/>
vorherr&#x017F;chenden Grundformen. Jedoch kommen daneben bei vielen<lb/>
Proti&#x017F;ten auch noch die ho&#x0364;heren regula&#x0364;ren und bilateralen Grundfor-<lb/>
men vor, welche im Thier- und Pflanzenreich herr&#x017F;chend &#x017F;ind. Auch<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[343/0368] Jndividualitaͤt und Grundform des Protiſtenkoͤrpers. Plaſtiden bleibt auch meiſtens ſehr locker, und jede einzelne bewahrt in hohem Maße ihre individuelle Selbſtſtaͤndigkeit. Jndividualitaͤten hoͤhe- rer (dritter bis ſechster) Ordnung, wie ſie im Thier- und Pflanzenreiche ſehr allgemein ausgebildet ſind, finden wir unter den Protiſten nur in geringer Verbreitung entwickelt. Ein zweiter Formcharakter, welcher naͤchſt der niederen Jndivi- dualitaͤtsſtufe die Protiſten beſonders auszeichnet, iſt der niedere Aus- bildungsgrad ihrer ſtereometriſchen Grundform. Wie ich in meiner Grundformenlehre (im vierten Buche der generellen Morphologie) ge- zeigt habe, iſt bei den meiſten Organismen ſowohl in der Geſammt- bildung des Koͤrpers als in der Form der einzelnen Theile eine be- ſtimmte geometriſche Grundform nachzuweiſen. Dieſe ideale Grund- form, welche durch die Zahl, Lagerung, Verbindung und Differen- zirung der zuſammenſetzenden Theile beſtimmt iſt, verhaͤlt ſich zu der realen organiſchen Form ganz aͤhnlich, wie ſich die ideale geometriſche Grundform der Kryſtalle zu ihrer unvollkommenen realen Form ver- haͤlt. Bei den meiſten Koͤrpern und Koͤrpertheilen von Thieren und Pflanzen iſt dieſe Grundform eine Pyramide, und zwar bei den ſogenannten „ſtrahlig-regulaͤren“ Formen eine regulaͤre Pyramide, bei den hoͤher differenzirten, ſogenannten „bilateral-ſymmetriſchen“ Formen eine irregulaͤre Pyramide (Vergl. die Tabellen S. 556—558 im zweiten Bande der gen. Morph.). Bei den Protiſten iſt dieſe Pyramidenform, welche im Thier- und Pflanzenreiche vorherrſcht, im Ganzen ſelten, und ſtatt deſſen iſt die Form entweder ganz unregelmaͤßig (amorph oder irregulaͤr) oder es iſt die Grundform eine einfachere regulaͤre geometriſche Form, insbeſondere ſehr haͤufig die Kugel, der Cylinder, das Ellipſoid, das Sphaͤroid, der Doppelkegel, der Kegel, das re- gulaͤre Vieleck (Tetraeder, Hexaeder, Octaeder, Dodekaeder, Jco- ſaeder) u. ſ. w. Alle dieſe niederen und unvollkommenen Grund- formen des promorphologiſchen Syſtems ſind bei den Protiſten die vorherrſchenden Grundformen. Jedoch kommen daneben bei vielen Protiſten auch noch die hoͤheren regulaͤren und bilateralen Grundfor- men vor, welche im Thier- und Pflanzenreich herrſchend ſind. Auch

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_schoepfungsgeschichte_1868
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_schoepfungsgeschichte_1868/368
Zitationshilfe: Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868, S. 343. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_schoepfungsgeschichte_1868/368>, abgerufen am 24.07.2024.