Sonnenwesen oder Heliozoen. Strahlwesen oder Radiolarien.
Von der zweiten Klasse der Wurzelfüßer, von den Sonnen- wesen(Heliozoa), kennen wir nur eine einzige Art, das sogenannte "Sonnenthierchen", welches in unseren süßen Gewässern sehr häufig ist. Schon im vorigen Jahrhundert wurde dasselbe von Pastor Eich- horn in Danzig beobachtet und nach ihm Actinosphaerium Eich- hornii getauft. Es erscheint dem bloßen Auge als ein gallertiges graues Schleimkügelchen von der Größe eines Stecknadelknopfes. Unter dem Mikroskope sieht man Hunderte oder Tausende feiner Schleim- fäden von dem centralen Plasmakörper ausstrahlen, und bemerkt, daß seine innere zellige Markschicht von der äußeren blasigen Rinden- schicht verschieden ist. Dadurch erhebt sich das kleine Sonnenwesen, trotz des Mangels einer Schale, bereits über die structurlosen Acyttarien und bildet den Uebergang von diesen zu den Radiolarien.
Die Strahlwesen(Radiolaria) bilden die dritte und letzte Klasse der Rhizopoden. Jn ihren niederen Formen schließen sie sich eng an die Sonnenwesen und Kammerwesen an, während sie sich in ihren höheren Formen weit über diese erheben. Von Beiden unter- scheiden sie sich wesentlich dadurch, daß der centrale Theil des Kör- pers aus vielen Zellen zusammengesetzt und von einer festen Mem- bran umhüllt ist. Diese geschlossene, meistens kugelige "Central- kapsel" ist in eine schleimige Plasmaschicht eingehüllt, von welcher überall Tausende von höchst feinen Fäden, die verästelten und zusam- menfließenden Scheinfüßchen, ausstrahlen. Dazwischen sind zahlreiche gelbe Zellen von räthselhafter Bedeutung zerstreut. Die meisten Ra- diolarien zeichnen sich durch ein sehr entwickeltes Skelet aus, welches aus Kieselerde besteht, und eine wunderbare Fülle dcr zierlichsten und seltsamsten Formen zeigt. Bald bildet dieses Kieselskelet eine einfache Gitterkugel (Fig. 14 s), bald ein künstliches System von mehreren con- centrischen Gitterkugeln, welche in einander geschachtelt und durch radiale Stäbe verbunden sind. Meistens strahlen zierliche, oft baum- förmig verzweigte Stacheln von der Oberfläche der Kugeln aus. An- deremale besteht das ganze Skelet bloß aus einem Kieselstern und ist dann meistens aus zwanzig, nach einem bestimmten mathematischen
Sonnenweſen oder Heliozoen. Strahlweſen oder Radiolarien.
Von der zweiten Klaſſe der Wurzelfuͤßer, von den Sonnen- weſen(Heliozoa), kennen wir nur eine einzige Art, das ſogenannte „Sonnenthierchen“, welches in unſeren ſuͤßen Gewaͤſſern ſehr haͤufig iſt. Schon im vorigen Jahrhundert wurde daſſelbe von Paſtor Eich- horn in Danzig beobachtet und nach ihm Actinosphaerium Eich- hornii getauft. Es erſcheint dem bloßen Auge als ein gallertiges graues Schleimkuͤgelchen von der Groͤße eines Stecknadelknopfes. Unter dem Mikroſkope ſieht man Hunderte oder Tauſende feiner Schleim- faͤden von dem centralen Plasmakoͤrper ausſtrahlen, und bemerkt, daß ſeine innere zellige Markſchicht von der aͤußeren blaſigen Rinden- ſchicht verſchieden iſt. Dadurch erhebt ſich das kleine Sonnenweſen, trotz des Mangels einer Schale, bereits uͤber die ſtructurloſen Acyttarien und bildet den Uebergang von dieſen zu den Radiolarien.
Die Strahlweſen(Radiolaria) bilden die dritte und letzte Klaſſe der Rhizopoden. Jn ihren niederen Formen ſchließen ſie ſich eng an die Sonnenweſen und Kammerweſen an, waͤhrend ſie ſich in ihren hoͤheren Formen weit uͤber dieſe erheben. Von Beiden unter- ſcheiden ſie ſich weſentlich dadurch, daß der centrale Theil des Koͤr- pers aus vielen Zellen zuſammengeſetzt und von einer feſten Mem- bran umhuͤllt iſt. Dieſe geſchloſſene, meiſtens kugelige „Central- kapſel“ iſt in eine ſchleimige Plasmaſchicht eingehuͤllt, von welcher uͤberall Tauſende von hoͤchſt feinen Faͤden, die veraͤſtelten und zuſam- menfließenden Scheinfuͤßchen, ausſtrahlen. Dazwiſchen ſind zahlreiche gelbe Zellen von raͤthſelhafter Bedeutung zerſtreut. Die meiſten Ra- diolarien zeichnen ſich durch ein ſehr entwickeltes Skelet aus, welches aus Kieſelerde beſteht, und eine wunderbare Fuͤlle dcr zierlichſten und ſeltſamſten Formen zeigt. Bald bildet dieſes Kieſelſkelet eine einfache Gitterkugel (Fig. 14 s), bald ein kuͤnſtliches Syſtem von mehreren con- centriſchen Gitterkugeln, welche in einander geſchachtelt und durch radiale Staͤbe verbunden ſind. Meiſtens ſtrahlen zierliche, oft baum- foͤrmig verzweigte Stacheln von der Oberflaͤche der Kugeln aus. An- deremale beſteht das ganze Skelet bloß aus einem Kieſelſtern und iſt dann meiſtens aus zwanzig, nach einem beſtimmten mathematiſchen
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Sonnenweſen oder Heliozoen. Strahlweſen oder Radiolarien.
Von der zweiten Klaſſe der Wurzelfuͤßer, von den Sonnen-
weſen (Heliozoa), kennen wir nur eine einzige Art, das ſogenannte
„Sonnenthierchen“, welches in unſeren ſuͤßen Gewaͤſſern ſehr haͤufig
iſt. Schon im vorigen Jahrhundert wurde daſſelbe von Paſtor Eich-
horn in Danzig beobachtet und nach ihm Actinosphaerium Eich-
hornii getauft. Es erſcheint dem bloßen Auge als ein gallertiges
graues Schleimkuͤgelchen von der Groͤße eines Stecknadelknopfes. Unter
dem Mikroſkope ſieht man Hunderte oder Tauſende feiner Schleim-
faͤden von dem centralen Plasmakoͤrper ausſtrahlen, und bemerkt,
daß ſeine innere zellige Markſchicht von der aͤußeren blaſigen Rinden-
ſchicht verſchieden iſt. Dadurch erhebt ſich das kleine Sonnenweſen,
trotz des Mangels einer Schale, bereits uͤber die ſtructurloſen Acyttarien
und bildet den Uebergang von dieſen zu den Radiolarien.
Die Strahlweſen (Radiolaria) bilden die dritte und letzte
Klaſſe der Rhizopoden. Jn ihren niederen Formen ſchließen ſie ſich
eng an die Sonnenweſen und Kammerweſen an, waͤhrend ſie ſich in
ihren hoͤheren Formen weit uͤber dieſe erheben. Von Beiden unter-
ſcheiden ſie ſich weſentlich dadurch, daß der centrale Theil des Koͤr-
pers aus vielen Zellen zuſammengeſetzt und von einer feſten Mem-
bran umhuͤllt iſt. Dieſe geſchloſſene, meiſtens kugelige „Central-
kapſel“ iſt in eine ſchleimige Plasmaſchicht eingehuͤllt, von welcher
uͤberall Tauſende von hoͤchſt feinen Faͤden, die veraͤſtelten und zuſam-
menfließenden Scheinfuͤßchen, ausſtrahlen. Dazwiſchen ſind zahlreiche
gelbe Zellen von raͤthſelhafter Bedeutung zerſtreut. Die meiſten Ra-
diolarien zeichnen ſich durch ein ſehr entwickeltes Skelet aus, welches
aus Kieſelerde beſteht, und eine wunderbare Fuͤlle dcr zierlichſten und
ſeltſamſten Formen zeigt. Bald bildet dieſes Kieſelſkelet eine einfache
Gitterkugel (Fig. 14 s), bald ein kuͤnſtliches Syſtem von mehreren con-
centriſchen Gitterkugeln, welche in einander geſchachtelt und durch
radiale Staͤbe verbunden ſind. Meiſtens ſtrahlen zierliche, oft baum-
foͤrmig verzweigte Stacheln von der Oberflaͤche der Kugeln aus. An-
deremale beſteht das ganze Skelet bloß aus einem Kieſelſtern und iſt
dann meiſtens aus zwanzig, nach einem beſtimmten mathematiſchen
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Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868, S. 338. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_schoepfungsgeschichte_1868/363>, abgerufen am 26.11.2024.
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