Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868.

Bild:
<< vorherige Seite

Meerleuchten oder Noctiluken. Wurzelfüßer oder Rhizopoden.
nach außen geöffnet und läßt dadurch den eingeschlossenen weichen
Plasmaleib mit der Außenwelt communiciren. Die Kieselschalen finden sich
massenhaft versteinert vor und setzen manche Gesteine, z. B. den Biliner
Polirschiefer, das schwedische Bergmehl u. s. w. vorwiegend zusammen.

Eine eigene, siebente Protistenclasse bilden die Meerleuchten
(Noctilucae). Es sind kleine, weiche, schleimige Bläschen, von der
Form einer Pfirsich. Sie haben gewöhnlich nur etwa eine halbe Linie
oder einen Millimeter Durchmesser, bedecken aber die Meeresoberfläche
oft in so erstaunlichen Massen, daß sie in meilenweiter Ausdehnung
eine mehr als zolldicke Schleimschicht auf der Oberfläche bilden. Sie
gehören neben den obenerwähnten Peridinien, und neben vielen niede-
ren Seethieren (besonders Medusen und Krebsen) zu den wesentlich-
sten Ursachen des Meerleuchtens, indem sie im Dunkeln einen phos-
phorischen Glanz ausstrahlen. Trotzdem sie in so ungeheuren Massen
in der Nordsee, im Mittelmeere u. s. w. vorkommen, kennen wir den-
noch die Naturgeschichte der Noctiluken nur sehr unvollständig. Es
ist möglich, daß sie den Pflanzen näher als den Thieren verwandt
sind, obwohl die meisten Naturforscher sie gegenwärtig zu den Thieren
zählen. Wahrscheinlich sind es neutrale Protisten.

Ebenso zweifelhaft ist auch die Natur der achten und letzten Klasse
des Protistenreichs, der Wurzelfüßer (Rhizopoda). Diese merk-
würdigen Organismen bevölkern das Meer seit den ältesten Zeiten der
organischen Erdgeschichte in einer außerordentlichen Formenmannichfal-
tigkeit, theils auf dem Meeresboden kriechend, theils an der Ober-
fläche schwimmend. Nur sehr wenige leben im süßen Wasser (Gromia,
Actinosphaerium).
Die meisten besitzen feste, aus Kalkerde oder Kiesel-
erde bestehende und höchst zierlich zusammengesetzte Schalen, welche in
versteinertem Zustande sich vortrefflich erhalten. Oft sind dieselben
zu dicken Gebirgsmassen angehäuft, obwohl die einzelnen Jndividuen
sehr klein und häufig für das bloße Auge kaum oder gar nicht sichtbar
sind. Nur wenige erreichen einen Durchmesser von einigen Linien
oder selbst von ein paar Zollen. Jhren Namen führt die ganze Klasse
davon, daß ihr nackter schleimiger Leib an der ganzen Oberfläche tau-

Meerleuchten oder Noctiluken. Wurzelfuͤßer oder Rhizopoden.
nach außen geoͤffnet und laͤßt dadurch den eingeſchloſſenen weichen
Plasmaleib mit der Außenwelt communiciren. Die Kieſelſchalen finden ſich
maſſenhaft verſteinert vor und ſetzen manche Geſteine, z. B. den Biliner
Polirſchiefer, das ſchwediſche Bergmehl u. ſ. w. vorwiegend zuſammen.

Eine eigene, ſiebente Protiſtenclaſſe bilden die Meerleuchten
(Noctilucae). Es ſind kleine, weiche, ſchleimige Blaͤschen, von der
Form einer Pfirſich. Sie haben gewoͤhnlich nur etwa eine halbe Linie
oder einen Millimeter Durchmeſſer, bedecken aber die Meeresoberflaͤche
oft in ſo erſtaunlichen Maſſen, daß ſie in meilenweiter Ausdehnung
eine mehr als zolldicke Schleimſchicht auf der Oberflaͤche bilden. Sie
gehoͤren neben den obenerwaͤhnten Peridinien, und neben vielen niede-
ren Seethieren (beſonders Meduſen und Krebſen) zu den weſentlich-
ſten Urſachen des Meerleuchtens, indem ſie im Dunkeln einen phos-
phoriſchen Glanz ausſtrahlen. Trotzdem ſie in ſo ungeheuren Maſſen
in der Nordſee, im Mittelmeere u. ſ. w. vorkommen, kennen wir den-
noch die Naturgeſchichte der Noctiluken nur ſehr unvollſtaͤndig. Es
iſt moͤglich, daß ſie den Pflanzen naͤher als den Thieren verwandt
ſind, obwohl die meiſten Naturforſcher ſie gegenwaͤrtig zu den Thieren
zaͤhlen. Wahrſcheinlich ſind es neutrale Protiſten.

Ebenſo zweifelhaft iſt auch die Natur der achten und letzten Klaſſe
des Protiſtenreichs, der Wurzelfuͤßer (Rhizopoda). Dieſe merk-
wuͤrdigen Organismen bevoͤlkern das Meer ſeit den aͤlteſten Zeiten der
organiſchen Erdgeſchichte in einer außerordentlichen Formenmannichfal-
tigkeit, theils auf dem Meeresboden kriechend, theils an der Ober-
flaͤche ſchwimmend. Nur ſehr wenige leben im ſuͤßen Waſſer (Gromia,
Actinosphaerium).
Die meiſten beſitzen feſte, aus Kalkerde oder Kieſel-
erde beſtehende und hoͤchſt zierlich zuſammengeſetzte Schalen, welche in
verſteinertem Zuſtande ſich vortrefflich erhalten. Oft ſind dieſelben
zu dicken Gebirgsmaſſen angehaͤuft, obwohl die einzelnen Jndividuen
ſehr klein und haͤufig fuͤr das bloße Auge kaum oder gar nicht ſichtbar
ſind. Nur wenige erreichen einen Durchmeſſer von einigen Linien
oder ſelbſt von ein paar Zollen. Jhren Namen fuͤhrt die ganze Klaſſe
davon, daß ihr nackter ſchleimiger Leib an der ganzen Oberflaͤche tau-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0360" n="335"/><fw place="top" type="header">Meerleuchten oder Noctiluken. Wurzelfu&#x0364;ßer oder Rhizopoden.</fw><lb/>
nach außen geo&#x0364;ffnet und la&#x0364;ßt dadurch den einge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;enen weichen<lb/>
Plasmaleib mit der Außenwelt communiciren. Die Kie&#x017F;el&#x017F;chalen finden &#x017F;ich<lb/>
ma&#x017F;&#x017F;enhaft ver&#x017F;teinert vor und &#x017F;etzen manche Ge&#x017F;teine, z. B. den Biliner<lb/>
Polir&#x017F;chiefer, das &#x017F;chwedi&#x017F;che Bergmehl u. &#x017F;. w. vorwiegend zu&#x017F;ammen.</p><lb/>
        <p>Eine eigene, &#x017F;iebente Proti&#x017F;tencla&#x017F;&#x017F;e bilden die <hi rendition="#g">Meerleuchten</hi><lb/><hi rendition="#aq">(Noctilucae).</hi> Es &#x017F;ind kleine, weiche, &#x017F;chleimige Bla&#x0364;schen, von der<lb/>
Form einer Pfir&#x017F;ich. Sie haben gewo&#x0364;hnlich nur etwa eine halbe Linie<lb/>
oder einen Millimeter Durchme&#x017F;&#x017F;er, bedecken aber die Meeresoberfla&#x0364;che<lb/>
oft in &#x017F;o er&#x017F;taunlichen Ma&#x017F;&#x017F;en, daß &#x017F;ie in meilenweiter Ausdehnung<lb/>
eine mehr als zolldicke Schleim&#x017F;chicht auf der Oberfla&#x0364;che bilden. Sie<lb/>
geho&#x0364;ren neben den obenerwa&#x0364;hnten Peridinien, und neben vielen niede-<lb/>
ren Seethieren (be&#x017F;onders Medu&#x017F;en und Kreb&#x017F;en) zu den we&#x017F;entlich-<lb/>
&#x017F;ten Ur&#x017F;achen des Meerleuchtens, indem &#x017F;ie im Dunkeln einen phos-<lb/>
phori&#x017F;chen Glanz aus&#x017F;trahlen. Trotzdem &#x017F;ie in &#x017F;o ungeheuren Ma&#x017F;&#x017F;en<lb/>
in der Nord&#x017F;ee, im Mittelmeere u. &#x017F;. w. vorkommen, kennen wir den-<lb/>
noch die Naturge&#x017F;chichte der Noctiluken nur &#x017F;ehr unvoll&#x017F;ta&#x0364;ndig. Es<lb/>
i&#x017F;t mo&#x0364;glich, daß &#x017F;ie den Pflanzen na&#x0364;her als den Thieren verwandt<lb/>
&#x017F;ind, obwohl die mei&#x017F;ten Naturfor&#x017F;cher &#x017F;ie gegenwa&#x0364;rtig zu den Thieren<lb/>
za&#x0364;hlen. Wahr&#x017F;cheinlich &#x017F;ind es neutrale Proti&#x017F;ten.</p><lb/>
        <p>Eben&#x017F;o zweifelhaft i&#x017F;t auch die Natur der achten und letzten Kla&#x017F;&#x017F;e<lb/>
des Proti&#x017F;tenreichs, der <hi rendition="#g">Wurzelfu&#x0364;ßer</hi> <hi rendition="#aq">(Rhizopoda).</hi> Die&#x017F;e merk-<lb/>
wu&#x0364;rdigen Organismen bevo&#x0364;lkern das Meer &#x017F;eit den a&#x0364;lte&#x017F;ten Zeiten der<lb/>
organi&#x017F;chen Erdge&#x017F;chichte in einer außerordentlichen Formenmannichfal-<lb/>
tigkeit, theils auf dem Meeresboden kriechend, theils an der Ober-<lb/>
fla&#x0364;che &#x017F;chwimmend. Nur &#x017F;ehr wenige leben im &#x017F;u&#x0364;ßen Wa&#x017F;&#x017F;er <hi rendition="#aq">(Gromia,<lb/>
Actinosphaerium).</hi> Die mei&#x017F;ten be&#x017F;itzen fe&#x017F;te, aus Kalkerde oder Kie&#x017F;el-<lb/>
erde be&#x017F;tehende und ho&#x0364;ch&#x017F;t zierlich zu&#x017F;ammenge&#x017F;etzte Schalen, welche in<lb/>
ver&#x017F;teinertem Zu&#x017F;tande &#x017F;ich vortrefflich erhalten. Oft &#x017F;ind die&#x017F;elben<lb/>
zu dicken Gebirgsma&#x017F;&#x017F;en angeha&#x0364;uft, obwohl die einzelnen Jndividuen<lb/>
&#x017F;ehr klein und ha&#x0364;ufig fu&#x0364;r das bloße Auge kaum oder gar nicht &#x017F;ichtbar<lb/>
&#x017F;ind. Nur wenige erreichen einen Durchme&#x017F;&#x017F;er von einigen Linien<lb/>
oder &#x017F;elb&#x017F;t von ein paar Zollen. Jhren Namen fu&#x0364;hrt die ganze Kla&#x017F;&#x017F;e<lb/>
davon, daß ihr nackter &#x017F;chleimiger Leib an der ganzen Oberfla&#x0364;che tau-<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[335/0360] Meerleuchten oder Noctiluken. Wurzelfuͤßer oder Rhizopoden. nach außen geoͤffnet und laͤßt dadurch den eingeſchloſſenen weichen Plasmaleib mit der Außenwelt communiciren. Die Kieſelſchalen finden ſich maſſenhaft verſteinert vor und ſetzen manche Geſteine, z. B. den Biliner Polirſchiefer, das ſchwediſche Bergmehl u. ſ. w. vorwiegend zuſammen. Eine eigene, ſiebente Protiſtenclaſſe bilden die Meerleuchten (Noctilucae). Es ſind kleine, weiche, ſchleimige Blaͤschen, von der Form einer Pfirſich. Sie haben gewoͤhnlich nur etwa eine halbe Linie oder einen Millimeter Durchmeſſer, bedecken aber die Meeresoberflaͤche oft in ſo erſtaunlichen Maſſen, daß ſie in meilenweiter Ausdehnung eine mehr als zolldicke Schleimſchicht auf der Oberflaͤche bilden. Sie gehoͤren neben den obenerwaͤhnten Peridinien, und neben vielen niede- ren Seethieren (beſonders Meduſen und Krebſen) zu den weſentlich- ſten Urſachen des Meerleuchtens, indem ſie im Dunkeln einen phos- phoriſchen Glanz ausſtrahlen. Trotzdem ſie in ſo ungeheuren Maſſen in der Nordſee, im Mittelmeere u. ſ. w. vorkommen, kennen wir den- noch die Naturgeſchichte der Noctiluken nur ſehr unvollſtaͤndig. Es iſt moͤglich, daß ſie den Pflanzen naͤher als den Thieren verwandt ſind, obwohl die meiſten Naturforſcher ſie gegenwaͤrtig zu den Thieren zaͤhlen. Wahrſcheinlich ſind es neutrale Protiſten. Ebenſo zweifelhaft iſt auch die Natur der achten und letzten Klaſſe des Protiſtenreichs, der Wurzelfuͤßer (Rhizopoda). Dieſe merk- wuͤrdigen Organismen bevoͤlkern das Meer ſeit den aͤlteſten Zeiten der organiſchen Erdgeſchichte in einer außerordentlichen Formenmannichfal- tigkeit, theils auf dem Meeresboden kriechend, theils an der Ober- flaͤche ſchwimmend. Nur ſehr wenige leben im ſuͤßen Waſſer (Gromia, Actinosphaerium). Die meiſten beſitzen feſte, aus Kalkerde oder Kieſel- erde beſtehende und hoͤchſt zierlich zuſammengeſetzte Schalen, welche in verſteinertem Zuſtande ſich vortrefflich erhalten. Oft ſind dieſelben zu dicken Gebirgsmaſſen angehaͤuft, obwohl die einzelnen Jndividuen ſehr klein und haͤufig fuͤr das bloße Auge kaum oder gar nicht ſichtbar ſind. Nur wenige erreichen einen Durchmeſſer von einigen Linien oder ſelbſt von ein paar Zollen. Jhren Namen fuͤhrt die ganze Klaſſe davon, daß ihr nackter ſchleimiger Leib an der ganzen Oberflaͤche tau-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_schoepfungsgeschichte_1868
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_schoepfungsgeschichte_1868/360
Zitationshilfe: Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868, S. 335. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_schoepfungsgeschichte_1868/360>, abgerufen am 27.11.2024.