Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868.

Bild:
<< vorherige Seite

Geißelschwärmer oder Flagellaten. Schleimpilze oder Myxomyceten.
des Protistenreichs betrachten. Auch diese zeigt gleich nahe und wich-
tige Beziehungen zum Pflanzenreich wie zum Thierreich. Einige Fla-
gellaten sind von den frei beweglichen Jugendzuständen echter Pflanzen,
namentlich den Schwärmsporen vieler Tange, nicht zu unterscheiden,
während andere sich unmittelbar den echten Thieren, und zwar den
bewimperten Jnfusorien (Ciliata) anschließen. Die Geißelschwärmer
sind einfache Zellen, welche entweder einzeln oder zu Colonien ver-
einigt im süßen und salzigen Wasser leben. Jhr charakteristischer Kör-
pertheil ist ein sehr beweglicher, einfacher oder mehrfacher, peitschen-
förmiger Anhang (Geißel oder Flagellum), mittelst dessen sie lebhaft
im Wasser umherschwärmen. Die Klasse zerfällt in zwei Ordnungen.
Bei den bewimperten Geißelschwärmern (Cilioflagellata) ist außer der
langen Geißel auch noch ein Kranz von kurzen Wimpern vorhanden,
welcher den unbewimperten Geißelschwärmern (Nudoflagellata) fehlt.
Zu den ersteren gehören namentlich die kieselschaligen gelben Peridi-
nien, welche sich an dem Leuchten des Meeres stark betheiligen, zu den
letzteren die grünen Euglenen, welche oft durch ihre ungeheuren Jn-
dividuenmassen unsere Teiche im Frühjahr ganz grün färben.

Eine vierte Protistenklasse bilden die merkwürdigen Schleimpilze
(Myxomycetes). Diese galten früher allgemein für Pflanzen, für
echte Pilze, bis vor neun Jahren der Botaniker de Bary durch Ent-
deckung ihrer Ontogenie nachwies, daß dieselben gänzlich von den Pilzen
verschieden, und eher als niedere Thiere zu betrachten seien. Allerdings ist
der reife Fruchtkörper derselben eine rundliche, oft mehrere Zoll große,
mit feinem Sporenpulver und weichen Flocken gefüllte Blase, wie bei
den bekannten Bovisten oder Bauchpilzen (Gastromycetes). Allein aus
den Keimkörnern oder Sporen derselben kommen nicht die charakteristi-
schen Fadenzellen oder Hyphen der echten Pilze hervor, sondern nackte
Zellen, welche anfangs in Form von Geißelschwärmern umher-
schwimmen, später nach Art der Amoeben umherkriechen und endlich
mit anderen Jhresgleichen zu großen Schleimkörpern oder "Plasmo-
dien" zusammenfließen, aus denen dann unmittelbar der blasenförmige
Fruchtkörper entsteht. Wahrscheinlich kennen Sie Alle eines von je-

Geißelſchwaͤrmer oder Flagellaten. Schleimpilze oder Myxomyceten.
des Protiſtenreichs betrachten. Auch dieſe zeigt gleich nahe und wich-
tige Beziehungen zum Pflanzenreich wie zum Thierreich. Einige Fla-
gellaten ſind von den frei beweglichen Jugendzuſtaͤnden echter Pflanzen,
namentlich den Schwaͤrmſporen vieler Tange, nicht zu unterſcheiden,
waͤhrend andere ſich unmittelbar den echten Thieren, und zwar den
bewimperten Jnfuſorien (Ciliata) anſchließen. Die Geißelſchwaͤrmer
ſind einfache Zellen, welche entweder einzeln oder zu Colonien ver-
einigt im ſuͤßen und ſalzigen Waſſer leben. Jhr charakteriſtiſcher Koͤr-
pertheil iſt ein ſehr beweglicher, einfacher oder mehrfacher, peitſchen-
foͤrmiger Anhang (Geißel oder Flagellum), mittelſt deſſen ſie lebhaft
im Waſſer umherſchwaͤrmen. Die Klaſſe zerfaͤllt in zwei Ordnungen.
Bei den bewimperten Geißelſchwaͤrmern (Cilioflagellata) iſt außer der
langen Geißel auch noch ein Kranz von kurzen Wimpern vorhanden,
welcher den unbewimperten Geißelſchwaͤrmern (Nudoflagellata) fehlt.
Zu den erſteren gehoͤren namentlich die kieſelſchaligen gelben Peridi-
nien, welche ſich an dem Leuchten des Meeres ſtark betheiligen, zu den
letzteren die gruͤnen Euglenen, welche oft durch ihre ungeheuren Jn-
dividuenmaſſen unſere Teiche im Fruͤhjahr ganz gruͤn faͤrben.

Eine vierte Protiſtenklaſſe bilden die merkwuͤrdigen Schleimpilze
(Myxomycetes). Dieſe galten fruͤher allgemein fuͤr Pflanzen, fuͤr
echte Pilze, bis vor neun Jahren der Botaniker de Bary durch Ent-
deckung ihrer Ontogenie nachwies, daß dieſelben gaͤnzlich von den Pilzen
verſchieden, und eher als niedere Thiere zu betrachten ſeien. Allerdings iſt
der reife Fruchtkoͤrper derſelben eine rundliche, oft mehrere Zoll große,
mit feinem Sporenpulver und weichen Flocken gefuͤllte Blaſe, wie bei
den bekannten Boviſten oder Bauchpilzen (Gastromycetes). Allein aus
den Keimkoͤrnern oder Sporen derſelben kommen nicht die charakteriſti-
ſchen Fadenzellen oder Hyphen der echten Pilze hervor, ſondern nackte
Zellen, welche anfangs in Form von Geißelſchwaͤrmern umher-
ſchwimmen, ſpaͤter nach Art der Amoeben umherkriechen und endlich
mit anderen Jhresgleichen zu großen Schleimkoͤrpern oder „Plasmo-
dien“ zuſammenfließen, aus denen dann unmittelbar der blaſenfoͤrmige
Fruchtkoͤrper entſteht. Wahrſcheinlich kennen Sie Alle eines von je-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0358" n="333"/><fw place="top" type="header">Geißel&#x017F;chwa&#x0364;rmer oder Flagellaten. Schleimpilze oder Myxomyceten.</fw><lb/>
des Proti&#x017F;tenreichs betrachten. Auch die&#x017F;e zeigt gleich nahe und wich-<lb/>
tige Beziehungen zum Pflanzenreich wie zum Thierreich. Einige Fla-<lb/>
gellaten &#x017F;ind von den frei beweglichen Jugendzu&#x017F;ta&#x0364;nden echter Pflanzen,<lb/>
namentlich den Schwa&#x0364;rm&#x017F;poren vieler Tange, nicht zu unter&#x017F;cheiden,<lb/>
wa&#x0364;hrend andere &#x017F;ich unmittelbar den echten Thieren, und zwar den<lb/>
bewimperten Jnfu&#x017F;orien <hi rendition="#aq">(Ciliata)</hi> an&#x017F;chließen. Die Geißel&#x017F;chwa&#x0364;rmer<lb/>
&#x017F;ind einfache Zellen, welche entweder einzeln oder zu Colonien ver-<lb/>
einigt im &#x017F;u&#x0364;ßen und &#x017F;alzigen Wa&#x017F;&#x017F;er leben. Jhr charakteri&#x017F;ti&#x017F;cher Ko&#x0364;r-<lb/>
pertheil i&#x017F;t ein &#x017F;ehr beweglicher, einfacher oder mehrfacher, peit&#x017F;chen-<lb/>
fo&#x0364;rmiger Anhang (Geißel oder Flagellum), mittel&#x017F;t de&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ie lebhaft<lb/>
im Wa&#x017F;&#x017F;er umher&#x017F;chwa&#x0364;rmen. Die Kla&#x017F;&#x017F;e zerfa&#x0364;llt in zwei Ordnungen.<lb/>
Bei den bewimperten Geißel&#x017F;chwa&#x0364;rmern <hi rendition="#aq">(Cilioflagellata)</hi> i&#x017F;t außer der<lb/>
langen Geißel auch noch ein Kranz von kurzen Wimpern vorhanden,<lb/>
welcher den unbewimperten Geißel&#x017F;chwa&#x0364;rmern <hi rendition="#aq">(Nudoflagellata)</hi> fehlt.<lb/>
Zu den er&#x017F;teren geho&#x0364;ren namentlich die kie&#x017F;el&#x017F;chaligen gelben Peridi-<lb/>
nien, welche &#x017F;ich an dem Leuchten des Meeres &#x017F;tark betheiligen, zu den<lb/>
letzteren die gru&#x0364;nen Euglenen, welche oft durch ihre ungeheuren Jn-<lb/>
dividuenma&#x017F;&#x017F;en un&#x017F;ere Teiche im Fru&#x0364;hjahr ganz gru&#x0364;n fa&#x0364;rben.</p><lb/>
        <p>Eine vierte Proti&#x017F;tenkla&#x017F;&#x017F;e bilden die merkwu&#x0364;rdigen <hi rendition="#g">Schleimpilze</hi><lb/><hi rendition="#aq">(Myxomycetes).</hi> Die&#x017F;e galten fru&#x0364;her allgemein fu&#x0364;r Pflanzen, fu&#x0364;r<lb/>
echte Pilze, bis vor neun Jahren der Botaniker <hi rendition="#g">de Bary</hi> durch Ent-<lb/>
deckung ihrer Ontogenie nachwies, daß die&#x017F;elben ga&#x0364;nzlich von den Pilzen<lb/>
ver&#x017F;chieden, und eher als niedere Thiere zu betrachten &#x017F;eien. Allerdings i&#x017F;t<lb/>
der reife Fruchtko&#x0364;rper der&#x017F;elben eine rundliche, oft mehrere Zoll große,<lb/>
mit feinem Sporenpulver und weichen Flocken gefu&#x0364;llte Bla&#x017F;e, wie bei<lb/>
den bekannten Bovi&#x017F;ten oder Bauchpilzen <hi rendition="#aq">(Gastromycetes).</hi> Allein aus<lb/>
den Keimko&#x0364;rnern oder Sporen der&#x017F;elben kommen nicht die charakteri&#x017F;ti-<lb/>
&#x017F;chen Fadenzellen oder Hyphen der echten Pilze hervor, &#x017F;ondern nackte<lb/>
Zellen, welche anfangs in Form von Geißel&#x017F;chwa&#x0364;rmern umher-<lb/>
&#x017F;chwimmen, &#x017F;pa&#x0364;ter nach Art der Amoeben umherkriechen und endlich<lb/>
mit anderen Jhresgleichen zu großen Schleimko&#x0364;rpern oder &#x201E;Plasmo-<lb/>
dien&#x201C; zu&#x017F;ammenfließen, aus denen dann unmittelbar der bla&#x017F;enfo&#x0364;rmige<lb/>
Fruchtko&#x0364;rper ent&#x017F;teht. Wahr&#x017F;cheinlich kennen Sie Alle eines von je-<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[333/0358] Geißelſchwaͤrmer oder Flagellaten. Schleimpilze oder Myxomyceten. des Protiſtenreichs betrachten. Auch dieſe zeigt gleich nahe und wich- tige Beziehungen zum Pflanzenreich wie zum Thierreich. Einige Fla- gellaten ſind von den frei beweglichen Jugendzuſtaͤnden echter Pflanzen, namentlich den Schwaͤrmſporen vieler Tange, nicht zu unterſcheiden, waͤhrend andere ſich unmittelbar den echten Thieren, und zwar den bewimperten Jnfuſorien (Ciliata) anſchließen. Die Geißelſchwaͤrmer ſind einfache Zellen, welche entweder einzeln oder zu Colonien ver- einigt im ſuͤßen und ſalzigen Waſſer leben. Jhr charakteriſtiſcher Koͤr- pertheil iſt ein ſehr beweglicher, einfacher oder mehrfacher, peitſchen- foͤrmiger Anhang (Geißel oder Flagellum), mittelſt deſſen ſie lebhaft im Waſſer umherſchwaͤrmen. Die Klaſſe zerfaͤllt in zwei Ordnungen. Bei den bewimperten Geißelſchwaͤrmern (Cilioflagellata) iſt außer der langen Geißel auch noch ein Kranz von kurzen Wimpern vorhanden, welcher den unbewimperten Geißelſchwaͤrmern (Nudoflagellata) fehlt. Zu den erſteren gehoͤren namentlich die kieſelſchaligen gelben Peridi- nien, welche ſich an dem Leuchten des Meeres ſtark betheiligen, zu den letzteren die gruͤnen Euglenen, welche oft durch ihre ungeheuren Jn- dividuenmaſſen unſere Teiche im Fruͤhjahr ganz gruͤn faͤrben. Eine vierte Protiſtenklaſſe bilden die merkwuͤrdigen Schleimpilze (Myxomycetes). Dieſe galten fruͤher allgemein fuͤr Pflanzen, fuͤr echte Pilze, bis vor neun Jahren der Botaniker de Bary durch Ent- deckung ihrer Ontogenie nachwies, daß dieſelben gaͤnzlich von den Pilzen verſchieden, und eher als niedere Thiere zu betrachten ſeien. Allerdings iſt der reife Fruchtkoͤrper derſelben eine rundliche, oft mehrere Zoll große, mit feinem Sporenpulver und weichen Flocken gefuͤllte Blaſe, wie bei den bekannten Boviſten oder Bauchpilzen (Gastromycetes). Allein aus den Keimkoͤrnern oder Sporen derſelben kommen nicht die charakteriſti- ſchen Fadenzellen oder Hyphen der echten Pilze hervor, ſondern nackte Zellen, welche anfangs in Form von Geißelſchwaͤrmern umher- ſchwimmen, ſpaͤter nach Art der Amoeben umherkriechen und endlich mit anderen Jhresgleichen zu großen Schleimkoͤrpern oder „Plasmo- dien“ zuſammenfließen, aus denen dann unmittelbar der blaſenfoͤrmige Fruchtkoͤrper entſteht. Wahrſcheinlich kennen Sie Alle eines von je-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_schoepfungsgeschichte_1868
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_schoepfungsgeschichte_1868/358
Zitationshilfe: Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868, S. 333. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_schoepfungsgeschichte_1868/358>, abgerufen am 27.11.2024.