Knoten geworden, daß alle neueren Untersuchungen über die niedersten Organismen die bisher übliche scharfe Grenze zwischen Thier- und Pflanzenreich völlig verwischt, oder wenigstens dergestalt zerstört haben, daß ihre Wiederherstellung nur mittelst einer ganz künstlichen Definition beider Reiche möglich ist. Aber auch in diese Definition wollen viele Protisten durchaus nicht hineinpassen.
Aus diesen und vielen anderen Gründen ist es jedenfalls, we- nigstens vorläufig das Beste, die zweifelhaften Zwitterwesen sowohl aus dem Thierreiche als aus dem Pflanzenreiche auszuweisen, und in einem zwischen beiden mitten innestehenden dritten organischen Reiche zu ver- einigen. Dieses vermittelnde Zwischenreich habe ich als Reich der Urwesen(Protista) in meiner allgemeinen Anatomie (im zweiten Bande der generellen Morphologie) ausführlich begründet (Gen. Morph. I, S. 191 -- 238). Jn meiner Monographie der Moneren 15) habe ich kürzlich dasselbe in etwas veränderter Begrenzung und in schärferer Definition erläutert. Als selbstständige Klassen des Protisten- reichs kann man gegenwärtig etwa folgende acht Gruppen ansehen: 1. die noch gegenwärtig lebenden Moneren; 2. die Amoeboiden oder Protoplasten; 3. die Geißelschwärmer oder Flagellaten; 4. die Schleim- pilze oder Myxomyceten; 5. die Labyrinthläufer oder Labyrinthuleen; 6. die Kieselzellen oder Diatomeen; 7. die Meerleuchten oder Noctilu- ken; 8. die Wurzelfüßer oder Rhizopoden.
Wahrscheinlich wird die Anzahl dieser Protistenklassen durch die fortschreitenden Untersuchungen über die Ontogenie der einfachsten Le- bensformen, die erst seit kurzer Zeit mit größerem Eifer betrieben werden, in Zukunft noch beträchtlich vermehrt werden. Mit den meisten der genannten Klassen ist man erst in den letzten zehn Jahren genauer be- kannt geworden. Die Moneren und Labyrinthuleen sind sogar erst seit kurzer Zeit entdeckt. Wahrscheinlich sind auch sehr zahlreiche Pro- tistengruppen in früheren Perioden ausgestorben, ohne uns bei ihrer größtentheils sehr weichen Körperbeschaffenheit fossile Reste hinterlassen zu haben. Von den jetzt noch lebenden niedersten Organismengruppen könnte man dem Protistenreiche auch noch drei andere Klassen anschlie-
Acht Klaſſen des Protiſtenreichs.
Knoten geworden, daß alle neueren Unterſuchungen uͤber die niederſten Organismen die bisher uͤbliche ſcharfe Grenze zwiſchen Thier- und Pflanzenreich voͤllig verwiſcht, oder wenigſtens dergeſtalt zerſtoͤrt haben, daß ihre Wiederherſtellung nur mittelſt einer ganz kuͤnſtlichen Definition beider Reiche moͤglich iſt. Aber auch in dieſe Definition wollen viele Protiſten durchaus nicht hineinpaſſen.
Aus dieſen und vielen anderen Gruͤnden iſt es jedenfalls, we- nigſtens vorlaͤufig das Beſte, die zweifelhaften Zwitterweſen ſowohl aus dem Thierreiche als aus dem Pflanzenreiche auszuweiſen, und in einem zwiſchen beiden mitten inneſtehenden dritten organiſchen Reiche zu ver- einigen. Dieſes vermittelnde Zwiſchenreich habe ich als Reich der Urweſen(Protista) in meiner allgemeinen Anatomie (im zweiten Bande der generellen Morphologie) ausfuͤhrlich begruͤndet (Gen. Morph. I, S. 191 — 238). Jn meiner Monographie der Moneren 15) habe ich kuͤrzlich daſſelbe in etwas veraͤnderter Begrenzung und in ſchaͤrferer Definition erlaͤutert. Als ſelbſtſtaͤndige Klaſſen des Protiſten- reichs kann man gegenwaͤrtig etwa folgende acht Gruppen anſehen: 1. die noch gegenwaͤrtig lebenden Moneren; 2. die Amoeboiden oder Protoplaſten; 3. die Geißelſchwaͤrmer oder Flagellaten; 4. die Schleim- pilze oder Myxomyceten; 5. die Labyrinthlaͤufer oder Labyrinthuleen; 6. die Kieſelzellen oder Diatomeen; 7. die Meerleuchten oder Noctilu- ken; 8. die Wurzelfuͤßer oder Rhizopoden.
Wahrſcheinlich wird die Anzahl dieſer Protiſtenklaſſen durch die fortſchreitenden Unterſuchungen uͤber die Ontogenie der einfachſten Le- bensformen, die erſt ſeit kurzer Zeit mit groͤßerem Eifer betrieben werden, in Zukunft noch betraͤchtlich vermehrt werden. Mit den meiſten der genannten Klaſſen iſt man erſt in den letzten zehn Jahren genauer be- kannt geworden. Die Moneren und Labyrinthuleen ſind ſogar erſt ſeit kurzer Zeit entdeckt. Wahrſcheinlich ſind auch ſehr zahlreiche Pro- tiſtengruppen in fruͤheren Perioden ausgeſtorben, ohne uns bei ihrer groͤßtentheils ſehr weichen Koͤrperbeſchaffenheit foſſile Reſte hinterlaſſen zu haben. Von den jetzt noch lebenden niederſten Organismengruppen koͤnnte man dem Protiſtenreiche auch noch drei andere Klaſſen anſchlie-
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Acht Klaſſen des Protiſtenreichs.
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Pflanzenreich voͤllig verwiſcht, oder wenigſtens dergeſtalt zerſtoͤrt haben,
daß ihre Wiederherſtellung nur mittelſt einer ganz kuͤnſtlichen Definition
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viele Protiſten durchaus nicht hineinpaſſen.
Aus dieſen und vielen anderen Gruͤnden iſt es jedenfalls, we-
nigſtens vorlaͤufig das Beſte, die zweifelhaften Zwitterweſen ſowohl aus
dem Thierreiche als aus dem Pflanzenreiche auszuweiſen, und in einem
zwiſchen beiden mitten inneſtehenden dritten organiſchen Reiche zu ver-
einigen. Dieſes vermittelnde Zwiſchenreich habe ich als Reich der
Urweſen (Protista) in meiner allgemeinen Anatomie (im zweiten
Bande der generellen Morphologie) ausfuͤhrlich begruͤndet (Gen.
Morph. I, S. 191 — 238). Jn meiner Monographie der Moneren 15)
habe ich kuͤrzlich daſſelbe in etwas veraͤnderter Begrenzung und in
ſchaͤrferer Definition erlaͤutert. Als ſelbſtſtaͤndige Klaſſen des Protiſten-
reichs kann man gegenwaͤrtig etwa folgende acht Gruppen anſehen:
1. die noch gegenwaͤrtig lebenden Moneren; 2. die Amoeboiden oder
Protoplaſten; 3. die Geißelſchwaͤrmer oder Flagellaten; 4. die Schleim-
pilze oder Myxomyceten; 5. die Labyrinthlaͤufer oder Labyrinthuleen;
6. die Kieſelzellen oder Diatomeen; 7. die Meerleuchten oder Noctilu-
ken; 8. die Wurzelfuͤßer oder Rhizopoden.
Wahrſcheinlich wird die Anzahl dieſer Protiſtenklaſſen durch die
fortſchreitenden Unterſuchungen uͤber die Ontogenie der einfachſten Le-
bensformen, die erſt ſeit kurzer Zeit mit groͤßerem Eifer betrieben werden,
in Zukunft noch betraͤchtlich vermehrt werden. Mit den meiſten der
genannten Klaſſen iſt man erſt in den letzten zehn Jahren genauer be-
kannt geworden. Die Moneren und Labyrinthuleen ſind ſogar erſt
ſeit kurzer Zeit entdeckt. Wahrſcheinlich ſind auch ſehr zahlreiche Pro-
tiſtengruppen in fruͤheren Perioden ausgeſtorben, ohne uns bei ihrer
groͤßtentheils ſehr weichen Koͤrperbeſchaffenheit foſſile Reſte hinterlaſſen
zu haben. Von den jetzt noch lebenden niederſten Organismengruppen
koͤnnte man dem Protiſtenreiche auch noch drei andere Klaſſen anſchlie-
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Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868, S. 327. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_schoepfungsgeschichte_1868/352>, abgerufen am 27.11.2024.
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