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Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868.

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Abstammung aller mehrzelligen Organismen von einzelligen.
schen Entwickelung seiner Vorfahrenkette, so können wir daraus zu-
nächst mit voller Sicherheit den ebenso einfachen als bedeutenden Schluß
ziehen, daß alle mehrzelligen Thiere und Pflanzen ursprüng-
lich von einzelligen Organismen abstammen.
Die uralten
primordialen Vorfahren des Menschen so gut wie aller anderen Thiere
und aller aus vielen Zellen zusammengesetzten Pflanzen waren einfache,
isolirt lebende Zellen. Dieses unschätzbare Geheimniß des organi-
schen Stammbaums wird uns durch das Ei der Thiere und durch
das "Keimbläschen" der Pflanzen mit untrüglicher Sicherheit ver-
rathen. Wenn die Gegner der Descendenztheorie uns entgegenhalten,
es sei wunderbar und unbegreiflich, daß ein äußerst complicirter viel-
zelliger Organismus aus einem einfachen einzelligen Organismus
im Laufe der Zeit hervorgegangen sei, so entgegnen wir einfach, daß
wir dieses unglaubliche Wunder jeden Augenblick vor uns sehen und
mit unseren Augen verfolgen können. Denn die Embryologie der
Thiere und Pflanzen führt uns in kürzester Zeit denselben Vorgang
greifbar vor Augen, welcher im Laufe ungeheurer Zeiträume bei der
Entstehung des ganzen Stammes stattgefunden hat.

Auf Grund der embryologischen Urkunden können wir also mit
voller Sicherheit behaupten, daß alle mehrzelligen Organismen eben
so gut wie alle einzelligen ursprünglich von einfachen Zellen abstam-
men; hieran würde sich sehr natürlich der Schluß reihen, daß die äl-
teste Wurzel des Thier- und Pflanzenreichs gemeinsam ist. Denn die
verschiedenen uralten "Stammzellen", aus denen sich die wenigen
verschiedenen Hauptgruppen oder "Stämme" (Phylen) des Thier-
und Pflanzenreichs entwickelt haben, könnten ihre Verschiedenheit
selbst erst erworben haben, und könnten selbst von einer gemeinsamen
"Urstammzelle" abstammen. Wo kommen aber jene wenigen "Stamm-
zellen" oder diese eine "Urstammzelle" her? Zur Beantwortung dieser
genealogischen Grundfrage müssen wir auf die früher erörterte Plasti-
dentheorie und die Urzeugungshypothese zurückgreifen.

Wie wir damals zeigten, können wir uns durch Urzeugung un-
mittelbar nicht Zellen entstanden denken, sondern nur Moneren, Ur-

Abſtammung aller mehrzelligen Organismen von einzelligen.
ſchen Entwickelung ſeiner Vorfahrenkette, ſo koͤnnen wir daraus zu-
naͤchſt mit voller Sicherheit den ebenſo einfachen als bedeutenden Schluß
ziehen, daß alle mehrzelligen Thiere und Pflanzen urſpruͤng-
lich von einzelligen Organismen abſtammen.
Die uralten
primordialen Vorfahren des Menſchen ſo gut wie aller anderen Thiere
und aller aus vielen Zellen zuſammengeſetzten Pflanzen waren einfache,
iſolirt lebende Zellen. Dieſes unſchaͤtzbare Geheimniß des organi-
ſchen Stammbaums wird uns durch das Ei der Thiere und durch
das „Keimblaͤschen“ der Pflanzen mit untruͤglicher Sicherheit ver-
rathen. Wenn die Gegner der Deſcendenztheorie uns entgegenhalten,
es ſei wunderbar und unbegreiflich, daß ein aͤußerſt complicirter viel-
zelliger Organismus aus einem einfachen einzelligen Organismus
im Laufe der Zeit hervorgegangen ſei, ſo entgegnen wir einfach, daß
wir dieſes unglaubliche Wunder jeden Augenblick vor uns ſehen und
mit unſeren Augen verfolgen koͤnnen. Denn die Embryologie der
Thiere und Pflanzen fuͤhrt uns in kuͤrzeſter Zeit denſelben Vorgang
greifbar vor Augen, welcher im Laufe ungeheurer Zeitraͤume bei der
Entſtehung des ganzen Stammes ſtattgefunden hat.

Auf Grund der embryologiſchen Urkunden koͤnnen wir alſo mit
voller Sicherheit behaupten, daß alle mehrzelligen Organismen eben
ſo gut wie alle einzelligen urſpruͤnglich von einfachen Zellen abſtam-
men; hieran wuͤrde ſich ſehr natuͤrlich der Schluß reihen, daß die aͤl-
teſte Wurzel des Thier- und Pflanzenreichs gemeinſam iſt. Denn die
verſchiedenen uralten „Stammzellen“, aus denen ſich die wenigen
verſchiedenen Hauptgruppen oder „Staͤmme“ (Phylen) des Thier-
und Pflanzenreichs entwickelt haben, koͤnnten ihre Verſchiedenheit
ſelbſt erſt erworben haben, und koͤnnten ſelbſt von einer gemeinſamen
„Urſtammzelle“ abſtammen. Wo kommen aber jene wenigen „Stamm-
zellen“ oder dieſe eine „Urſtammzelle“ her? Zur Beantwortung dieſer
genealogiſchen Grundfrage muͤſſen wir auf die fruͤher eroͤrterte Plaſti-
dentheorie und die Urzeugungshypotheſe zuruͤckgreifen.

Wie wir damals zeigten, koͤnnen wir uns durch Urzeugung un-
mittelbar nicht Zellen entſtanden denken, ſondern nur Moneren, Ur-

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[320/0345] Abſtammung aller mehrzelligen Organismen von einzelligen. ſchen Entwickelung ſeiner Vorfahrenkette, ſo koͤnnen wir daraus zu- naͤchſt mit voller Sicherheit den ebenſo einfachen als bedeutenden Schluß ziehen, daß alle mehrzelligen Thiere und Pflanzen urſpruͤng- lich von einzelligen Organismen abſtammen. Die uralten primordialen Vorfahren des Menſchen ſo gut wie aller anderen Thiere und aller aus vielen Zellen zuſammengeſetzten Pflanzen waren einfache, iſolirt lebende Zellen. Dieſes unſchaͤtzbare Geheimniß des organi- ſchen Stammbaums wird uns durch das Ei der Thiere und durch das „Keimblaͤschen“ der Pflanzen mit untruͤglicher Sicherheit ver- rathen. Wenn die Gegner der Deſcendenztheorie uns entgegenhalten, es ſei wunderbar und unbegreiflich, daß ein aͤußerſt complicirter viel- zelliger Organismus aus einem einfachen einzelligen Organismus im Laufe der Zeit hervorgegangen ſei, ſo entgegnen wir einfach, daß wir dieſes unglaubliche Wunder jeden Augenblick vor uns ſehen und mit unſeren Augen verfolgen koͤnnen. Denn die Embryologie der Thiere und Pflanzen fuͤhrt uns in kuͤrzeſter Zeit denſelben Vorgang greifbar vor Augen, welcher im Laufe ungeheurer Zeitraͤume bei der Entſtehung des ganzen Stammes ſtattgefunden hat. Auf Grund der embryologiſchen Urkunden koͤnnen wir alſo mit voller Sicherheit behaupten, daß alle mehrzelligen Organismen eben ſo gut wie alle einzelligen urſpruͤnglich von einfachen Zellen abſtam- men; hieran wuͤrde ſich ſehr natuͤrlich der Schluß reihen, daß die aͤl- teſte Wurzel des Thier- und Pflanzenreichs gemeinſam iſt. Denn die verſchiedenen uralten „Stammzellen“, aus denen ſich die wenigen verſchiedenen Hauptgruppen oder „Staͤmme“ (Phylen) des Thier- und Pflanzenreichs entwickelt haben, koͤnnten ihre Verſchiedenheit ſelbſt erſt erworben haben, und koͤnnten ſelbſt von einer gemeinſamen „Urſtammzelle“ abſtammen. Wo kommen aber jene wenigen „Stamm- zellen“ oder dieſe eine „Urſtammzelle“ her? Zur Beantwortung dieſer genealogiſchen Grundfrage muͤſſen wir auf die fruͤher eroͤrterte Plaſti- dentheorie und die Urzeugungshypotheſe zuruͤckgreifen. Wie wir damals zeigten, koͤnnen wir uns durch Urzeugung un- mittelbar nicht Zellen entſtanden denken, ſondern nur Moneren, Ur-

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Zitationshilfe: Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868, S. 320. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_schoepfungsgeschichte_1868/345>, abgerufen am 28.11.2024.