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Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868.

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Construction der Stammbäume.
sächlich den ersten Versuch gemacht, die Stammbäume der Organis-
men in der Weise, wie es die Entwickelungstheorie erfordert, wirklich
zu construiren. Dabei war ich mir der außerordentlichen Schwierigkeiten
dieser Aufgabe vollkommen bewußt. Jndem ich trotz aller abschrecken-
den Hindernisse dieselbe dennoch in Angriff nahm, beanspruchte ich
weiter Nichts als den ersten Versuch gemacht und zu weiteren und
besseren Versuchen angeregt zu haben. Vermuthlich werden die mei-
sten Zoologen und Botaniker von diesem Anfang sehr wenig befrie-
digt gewesen sein, und am wenigsten in dem engen Specialgebiete, in
welchem ein Jeder besonders arbeitet. Allein wenn irgendwo, so ist
ganz gewiß hier das Tadeln viel leichter als das Bessermachen, und
daß bisher noch kein Naturforscher meine Stammbäume durch bessere
oder überhaupt durch andere ersetzt hat, beweist am besten die unge-
heure Schwierigkeit der unendlich verwickelten Aufgabe. Aber gleich
allen anderen wissenschaftlichen Hypothesen, welche zur Erklärung der
Thatsachen dienen, werden auch meine genealogischen Hypothesen
so lange auf Berücksichtigung Anspruch machen, bis sie durch bessere
ersetzt werden.

Hoffentlich wird dieser Ersatz recht bald geschehen, und ich
wünschte Nichts mehr, als daß mein erster Versuch recht viele Natur-
forscher anregen möchte, wenigstens auf dem engen, ihnen genau be-
kannten Specialgebiete des Thier- oder Pflanzenreichs die genaueren
Stammbäume für einzelne Gruppen aufzustellen. Durch zahlreiche
derartige Versuche wird unsere genealogische Erkenntniß im Laufe der
Zeit langsam fortschreiten, und mehr und mehr der Vollendung näher
kommen, obwohl mit Bestimmtheit vorauszusehen ist, daß ein vollen-
deter Stammbaum niemals wird erreicht werden. Es fehlen uns und
werden uns immer fehlen die unerläßlichen paläontologischen Grund-
lagen. Die ältesten Urkunden werden uns ewig verschlossen bleiben
aus den früher bereits angeführten Ursachen. Die ältesten, durch Ur-
zeugung entstandenen Organismen, die Stammeltern aller folgenden,
müssen wir uns nothwendig als Moneren denken, als einfache weiche
Eiweißklümpchen, ohne jede bestimmte Form, ohne irgend welche harte

Conſtruction der Stammbaͤume.
ſaͤchlich den erſten Verſuch gemacht, die Stammbaͤume der Organis-
men in der Weiſe, wie es die Entwickelungstheorie erfordert, wirklich
zu conſtruiren. Dabei war ich mir der außerordentlichen Schwierigkeiten
dieſer Aufgabe vollkommen bewußt. Jndem ich trotz aller abſchrecken-
den Hinderniſſe dieſelbe dennoch in Angriff nahm, beanſpruchte ich
weiter Nichts als den erſten Verſuch gemacht und zu weiteren und
beſſeren Verſuchen angeregt zu haben. Vermuthlich werden die mei-
ſten Zoologen und Botaniker von dieſem Anfang ſehr wenig befrie-
digt geweſen ſein, und am wenigſten in dem engen Specialgebiete, in
welchem ein Jeder beſonders arbeitet. Allein wenn irgendwo, ſo iſt
ganz gewiß hier das Tadeln viel leichter als das Beſſermachen, und
daß bisher noch kein Naturforſcher meine Stammbaͤume durch beſſere
oder uͤberhaupt durch andere erſetzt hat, beweiſt am beſten die unge-
heure Schwierigkeit der unendlich verwickelten Aufgabe. Aber gleich
allen anderen wiſſenſchaftlichen Hypotheſen, welche zur Erklaͤrung der
Thatſachen dienen, werden auch meine genealogiſchen Hypotheſen
ſo lange auf Beruͤckſichtigung Anſpruch machen, bis ſie durch beſſere
erſetzt werden.

Hoffentlich wird dieſer Erſatz recht bald geſchehen, und ich
wuͤnſchte Nichts mehr, als daß mein erſter Verſuch recht viele Natur-
forſcher anregen moͤchte, wenigſtens auf dem engen, ihnen genau be-
kannten Specialgebiete des Thier- oder Pflanzenreichs die genaueren
Stammbaͤume fuͤr einzelne Gruppen aufzuſtellen. Durch zahlreiche
derartige Verſuche wird unſere genealogiſche Erkenntniß im Laufe der
Zeit langſam fortſchreiten, und mehr und mehr der Vollendung naͤher
kommen, obwohl mit Beſtimmtheit vorauszuſehen iſt, daß ein vollen-
deter Stammbaum niemals wird erreicht werden. Es fehlen uns und
werden uns immer fehlen die unerlaͤßlichen palaͤontologiſchen Grund-
lagen. Die aͤlteſten Urkunden werden uns ewig verſchloſſen bleiben
aus den fruͤher bereits angefuͤhrten Urſachen. Die aͤlteſten, durch Ur-
zeugung entſtandenen Organismen, die Stammeltern aller folgenden,
muͤſſen wir uns nothwendig als Moneren denken, als einfache weiche
Eiweißkluͤmpchen, ohne jede beſtimmte Form, ohne irgend welche harte

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[318/0343] Conſtruction der Stammbaͤume. ſaͤchlich den erſten Verſuch gemacht, die Stammbaͤume der Organis- men in der Weiſe, wie es die Entwickelungstheorie erfordert, wirklich zu conſtruiren. Dabei war ich mir der außerordentlichen Schwierigkeiten dieſer Aufgabe vollkommen bewußt. Jndem ich trotz aller abſchrecken- den Hinderniſſe dieſelbe dennoch in Angriff nahm, beanſpruchte ich weiter Nichts als den erſten Verſuch gemacht und zu weiteren und beſſeren Verſuchen angeregt zu haben. Vermuthlich werden die mei- ſten Zoologen und Botaniker von dieſem Anfang ſehr wenig befrie- digt geweſen ſein, und am wenigſten in dem engen Specialgebiete, in welchem ein Jeder beſonders arbeitet. Allein wenn irgendwo, ſo iſt ganz gewiß hier das Tadeln viel leichter als das Beſſermachen, und daß bisher noch kein Naturforſcher meine Stammbaͤume durch beſſere oder uͤberhaupt durch andere erſetzt hat, beweiſt am beſten die unge- heure Schwierigkeit der unendlich verwickelten Aufgabe. Aber gleich allen anderen wiſſenſchaftlichen Hypotheſen, welche zur Erklaͤrung der Thatſachen dienen, werden auch meine genealogiſchen Hypotheſen ſo lange auf Beruͤckſichtigung Anſpruch machen, bis ſie durch beſſere erſetzt werden. Hoffentlich wird dieſer Erſatz recht bald geſchehen, und ich wuͤnſchte Nichts mehr, als daß mein erſter Verſuch recht viele Natur- forſcher anregen moͤchte, wenigſtens auf dem engen, ihnen genau be- kannten Specialgebiete des Thier- oder Pflanzenreichs die genaueren Stammbaͤume fuͤr einzelne Gruppen aufzuſtellen. Durch zahlreiche derartige Verſuche wird unſere genealogiſche Erkenntniß im Laufe der Zeit langſam fortſchreiten, und mehr und mehr der Vollendung naͤher kommen, obwohl mit Beſtimmtheit vorauszuſehen iſt, daß ein vollen- deter Stammbaum niemals wird erreicht werden. Es fehlen uns und werden uns immer fehlen die unerlaͤßlichen palaͤontologiſchen Grund- lagen. Die aͤlteſten Urkunden werden uns ewig verſchloſſen bleiben aus den fruͤher bereits angefuͤhrten Urſachen. Die aͤlteſten, durch Ur- zeugung entſtandenen Organismen, die Stammeltern aller folgenden, muͤſſen wir uns nothwendig als Moneren denken, als einfache weiche Eiweißkluͤmpchen, ohne jede beſtimmte Form, ohne irgend welche harte

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Zitationshilfe: Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868, S. 318. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_schoepfungsgeschichte_1868/343>, abgerufen am 28.11.2024.