das secundäre oder mesolithische und endlich nur 3000 auf das tertiäre oder cenolithische Terrain. Die sehr geringe und nicht annähernd be- stimmbare durchschnittliche Dicke des quartären oder anthropolithischen Terrains kommt dabei gar nicht in Betracht.
Die Dicke der Schlammschichten, welche während eines Jahr- hunderts sich in der Gegenwart ablagern, und welche man als Basis jenes einfachen Rechenexempels benutzt, ist an den verschiedenen Stel- len der Erde unter den ganz verschiedenen Bedingungen, unter denen überall die Ablagerung stattfindet, natürlich ganz verschieden. Sie ist sehr gering auf dem Boden des hohen Meeres, in den Betten breiter Flüsse mit kurzem Laufe, und in Landseen, welche sehr dürftige Zu- flüsse erhalten. Sie ist verhältnißmäßig bedeutend an Meeresküsten mit starker Brandung, am Ausfluß großer Ströme mit langem Lauf und in Landseen mit starken Zuflüssen. An der Mündung des Missi- sippi, welcher sehr bedeutende Schlammmassen mit sich fortführt, würden in 100,000 Jahren nur etwa 600 Fuß abgelagert werden. Auf dem Grunde des offenen Meeres, weit von den Küsten entfernt, werden sich während dieses langen Zeitraums nur wenige Fuß Schlamm ab- setzen. Selbst an den Küsten, wo verhältnißmäßig viel Schlamm ab- gelagert wird, mag die Dicke der dadurch während eines Jahrhun- derts gebildeten Schichten, wenn sie nachher sich zu festem Gesteine ver- dichtet haben, doch nur wenige Zolle oder Linien betragen. Jeden- falls aber bleiben alle auf dieses Verhältniß gegründeten Berechnungen ganz unsicher, und wir können uns auch nicht einmal annähernd die ungeheure Länge der Zeiträume vorstellen, welche zur Bildung jener neptunischen Schichtensysteme erforderlich waren. Nur relative, nicht absolute Zeitmaße sind hier anwendbar.
Man würde übrigens auch vollkommen fehlgehen, wenn man die Mächtigkeit jener Schichtensysteme allein als Maßstab für die inzwischen wirklich verflossene Zeit der Erdgeschichte betrachten wollte. Denn Hebungen und Senkungen der Erdrinde haben beständig mit einander gewechselt, und aller Wahrscheinlichkeit nach entspricht der mineralogische und paläontologische Unterschied, den man zwischen je
Unmeßbare Laͤnge der organiſchen Erdgeſchichte.
das ſecundaͤre oder meſolithiſche und endlich nur 3000 auf das tertiaͤre oder cenolithiſche Terrain. Die ſehr geringe und nicht annaͤhernd be- ſtimmbare durchſchnittliche Dicke des quartaͤren oder anthropolithiſchen Terrains kommt dabei gar nicht in Betracht.
Die Dicke der Schlammſchichten, welche waͤhrend eines Jahr- hunderts ſich in der Gegenwart ablagern, und welche man als Baſis jenes einfachen Rechenexempels benutzt, iſt an den verſchiedenen Stel- len der Erde unter den ganz verſchiedenen Bedingungen, unter denen uͤberall die Ablagerung ſtattfindet, natuͤrlich ganz verſchieden. Sie iſt ſehr gering auf dem Boden des hohen Meeres, in den Betten breiter Fluͤſſe mit kurzem Laufe, und in Landſeen, welche ſehr duͤrftige Zu- fluͤſſe erhalten. Sie iſt verhaͤltnißmaͤßig bedeutend an Meereskuͤſten mit ſtarker Brandung, am Ausfluß großer Stroͤme mit langem Lauf und in Landſeen mit ſtarken Zufluͤſſen. An der Muͤndung des Miſſi- ſippi, welcher ſehr bedeutende Schlammmaſſen mit ſich fortfuͤhrt, wuͤrden in 100,000 Jahren nur etwa 600 Fuß abgelagert werden. Auf dem Grunde des offenen Meeres, weit von den Kuͤſten entfernt, werden ſich waͤhrend dieſes langen Zeitraums nur wenige Fuß Schlamm ab- ſetzen. Selbſt an den Kuͤſten, wo verhaͤltnißmaͤßig viel Schlamm ab- gelagert wird, mag die Dicke der dadurch waͤhrend eines Jahrhun- derts gebildeten Schichten, wenn ſie nachher ſich zu feſtem Geſteine ver- dichtet haben, doch nur wenige Zolle oder Linien betragen. Jeden- falls aber bleiben alle auf dieſes Verhaͤltniß gegruͤndeten Berechnungen ganz unſicher, und wir koͤnnen uns auch nicht einmal annaͤhernd die ungeheure Laͤnge der Zeitraͤume vorſtellen, welche zur Bildung jener neptuniſchen Schichtenſyſteme erforderlich waren. Nur relative, nicht abſolute Zeitmaße ſind hier anwendbar.
Man wuͤrde uͤbrigens auch vollkommen fehlgehen, wenn man die Maͤchtigkeit jener Schichtenſyſteme allein als Maßſtab fuͤr die inzwiſchen wirklich verfloſſene Zeit der Erdgeſchichte betrachten wollte. Denn Hebungen und Senkungen der Erdrinde haben beſtaͤndig mit einander gewechſelt, und aller Wahrſcheinlichkeit nach entſpricht der mineralogiſche und palaͤontologiſche Unterſchied, den man zwiſchen je
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[302/0327]
Unmeßbare Laͤnge der organiſchen Erdgeſchichte.
das ſecundaͤre oder meſolithiſche und endlich nur 3000 auf das tertiaͤre
oder cenolithiſche Terrain. Die ſehr geringe und nicht annaͤhernd be-
ſtimmbare durchſchnittliche Dicke des quartaͤren oder anthropolithiſchen
Terrains kommt dabei gar nicht in Betracht.
Die Dicke der Schlammſchichten, welche waͤhrend eines Jahr-
hunderts ſich in der Gegenwart ablagern, und welche man als Baſis
jenes einfachen Rechenexempels benutzt, iſt an den verſchiedenen Stel-
len der Erde unter den ganz verſchiedenen Bedingungen, unter denen
uͤberall die Ablagerung ſtattfindet, natuͤrlich ganz verſchieden. Sie iſt
ſehr gering auf dem Boden des hohen Meeres, in den Betten breiter
Fluͤſſe mit kurzem Laufe, und in Landſeen, welche ſehr duͤrftige Zu-
fluͤſſe erhalten. Sie iſt verhaͤltnißmaͤßig bedeutend an Meereskuͤſten
mit ſtarker Brandung, am Ausfluß großer Stroͤme mit langem Lauf
und in Landſeen mit ſtarken Zufluͤſſen. An der Muͤndung des Miſſi-
ſippi, welcher ſehr bedeutende Schlammmaſſen mit ſich fortfuͤhrt, wuͤrden
in 100,000 Jahren nur etwa 600 Fuß abgelagert werden. Auf dem
Grunde des offenen Meeres, weit von den Kuͤſten entfernt, werden
ſich waͤhrend dieſes langen Zeitraums nur wenige Fuß Schlamm ab-
ſetzen. Selbſt an den Kuͤſten, wo verhaͤltnißmaͤßig viel Schlamm ab-
gelagert wird, mag die Dicke der dadurch waͤhrend eines Jahrhun-
derts gebildeten Schichten, wenn ſie nachher ſich zu feſtem Geſteine ver-
dichtet haben, doch nur wenige Zolle oder Linien betragen. Jeden-
falls aber bleiben alle auf dieſes Verhaͤltniß gegruͤndeten Berechnungen
ganz unſicher, und wir koͤnnen uns auch nicht einmal annaͤhernd die
ungeheure Laͤnge der Zeitraͤume vorſtellen, welche zur Bildung jener
neptuniſchen Schichtenſyſteme erforderlich waren. Nur relative, nicht
abſolute Zeitmaße ſind hier anwendbar.
Man wuͤrde uͤbrigens auch vollkommen fehlgehen, wenn man
die Maͤchtigkeit jener Schichtenſyſteme allein als Maßſtab fuͤr die
inzwiſchen wirklich verfloſſene Zeit der Erdgeſchichte betrachten wollte.
Denn Hebungen und Senkungen der Erdrinde haben beſtaͤndig mit
einander gewechſelt, und aller Wahrſcheinlichkeit nach entſpricht der
mineralogiſche und palaͤontologiſche Unterſchied, den man zwiſchen je
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Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868, S. 302. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_schoepfungsgeschichte_1868/327>, abgerufen am 26.11.2024.
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