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Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868.

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Urzeugungshypothese und Plastidentheorie.
scheint uns als ein einfacher und nothwendiger Vorgang in dem Ent-
wickelungsproceß des Erdkörpers. Wir geben zu, daß dieser Vorgang,
so lange er noch nicht direct beobachtet oder durch das Experiment
wiederholt ist, eine reine Hypothese bleibt. Allein ich wiederhole, daß
diese Hypothese für den ganzen Zusammenhang der natürlichen Schö-
pfungsgeschichte unentbehrlich ist, daß sie an sich durchaus nichts Ge-
zwungenes und Wunderbares mehr hat, und daß sie keinenfalls je-
mals positiv widerlegt werden kann. Wenn Sie die Hypothese der
Urzeugung nicht annehmen, so müssen Sie an diesem einzigen Punkte
der Entwickelungstheorie zum Wunder einer übernatürlichen Schö-
pfung Jhre Zuflucht nehmen. Der Schöpfer muß dann den ersten
Organismus oder die wenigen ersten Organismen, von denen alle
übrigen abstammen, jedenfalls einfachste Moneren oder Urcytoden,
als solche geschaffen und ihnen die Fähigkeit beigelegt haben, sich in
mechanischer Weise weiter zu entwickeln. Jch überlasse es einem Jeden
von Jhnen, zwischen dieser Vorstellung und der Hypothese der Ur-
zeugung zu wählen. Mir scheint die Vorstellung, daß der Schöpfer
an diesem einzigen Punkte willkürlich in den gesetzmäßigen Ent-
wickelungsgang der Materie eingegriffen habe, der im Uebrigen
ganz ohne seine Mitwirkung verläuft, ebenso unbefriedigend für das
gläubige Gemüth, wie für den wissenschaftlichen Verstand zu sein.
Nehmen wir dagegen für die Entstehung der ersten Organismen die
Hypothese der Urzeugung an, welche aus den oben erörterten Grün-
den, insbesondere durch die Entdeckung der Moneren, ihre frühere
Schwierigkeit verloren hat, so gelangen wir zur Herstellung eines un-
unterbrochenen natürlichen Zusammenhanges zwischen der Entwicke-
lung der Erde und der von ihr geborenen Organismen, und wir er-
kennen auch in dem letzten noch zweifelhaften Punkte die Einheit
der gesammten Natur und die Einheit ihrer Entwicke-
lungsgesetze
(Gen. Morph. I, 164).



Urzeugungshypotheſe und Plaſtidentheorie.
ſcheint uns als ein einfacher und nothwendiger Vorgang in dem Ent-
wickelungsproceß des Erdkoͤrpers. Wir geben zu, daß dieſer Vorgang,
ſo lange er noch nicht direct beobachtet oder durch das Experiment
wiederholt iſt, eine reine Hypotheſe bleibt. Allein ich wiederhole, daß
dieſe Hypotheſe fuͤr den ganzen Zuſammenhang der natuͤrlichen Schoͤ-
pfungsgeſchichte unentbehrlich iſt, daß ſie an ſich durchaus nichts Ge-
zwungenes und Wunderbares mehr hat, und daß ſie keinenfalls je-
mals poſitiv widerlegt werden kann. Wenn Sie die Hypotheſe der
Urzeugung nicht annehmen, ſo muͤſſen Sie an dieſem einzigen Punkte
der Entwickelungstheorie zum Wunder einer uͤbernatuͤrlichen Schoͤ-
pfung Jhre Zuflucht nehmen. Der Schoͤpfer muß dann den erſten
Organismus oder die wenigen erſten Organismen, von denen alle
uͤbrigen abſtammen, jedenfalls einfachſte Moneren oder Urcytoden,
als ſolche geſchaffen und ihnen die Faͤhigkeit beigelegt haben, ſich in
mechaniſcher Weiſe weiter zu entwickeln. Jch uͤberlaſſe es einem Jeden
von Jhnen, zwiſchen dieſer Vorſtellung und der Hypotheſe der Ur-
zeugung zu waͤhlen. Mir ſcheint die Vorſtellung, daß der Schoͤpfer
an dieſem einzigen Punkte willkuͤrlich in den geſetzmaͤßigen Ent-
wickelungsgang der Materie eingegriffen habe, der im Uebrigen
ganz ohne ſeine Mitwirkung verlaͤuft, ebenſo unbefriedigend fuͤr das
glaͤubige Gemuͤth, wie fuͤr den wiſſenſchaftlichen Verſtand zu ſein.
Nehmen wir dagegen fuͤr die Entſtehung der erſten Organismen die
Hypotheſe der Urzeugung an, welche aus den oben eroͤrterten Gruͤn-
den, insbeſondere durch die Entdeckung der Moneren, ihre fruͤhere
Schwierigkeit verloren hat, ſo gelangen wir zur Herſtellung eines un-
unterbrochenen natuͤrlichen Zuſammenhanges zwiſchen der Entwicke-
lung der Erde und der von ihr geborenen Organismen, und wir er-
kennen auch in dem letzten noch zweifelhaften Punkte die Einheit
der geſammten Natur und die Einheit ihrer Entwicke-
lungsgeſetze
(Gen. Morph. I, 164).



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[287/0312] Urzeugungshypotheſe und Plaſtidentheorie. ſcheint uns als ein einfacher und nothwendiger Vorgang in dem Ent- wickelungsproceß des Erdkoͤrpers. Wir geben zu, daß dieſer Vorgang, ſo lange er noch nicht direct beobachtet oder durch das Experiment wiederholt iſt, eine reine Hypotheſe bleibt. Allein ich wiederhole, daß dieſe Hypotheſe fuͤr den ganzen Zuſammenhang der natuͤrlichen Schoͤ- pfungsgeſchichte unentbehrlich iſt, daß ſie an ſich durchaus nichts Ge- zwungenes und Wunderbares mehr hat, und daß ſie keinenfalls je- mals poſitiv widerlegt werden kann. Wenn Sie die Hypotheſe der Urzeugung nicht annehmen, ſo muͤſſen Sie an dieſem einzigen Punkte der Entwickelungstheorie zum Wunder einer uͤbernatuͤrlichen Schoͤ- pfung Jhre Zuflucht nehmen. Der Schoͤpfer muß dann den erſten Organismus oder die wenigen erſten Organismen, von denen alle uͤbrigen abſtammen, jedenfalls einfachſte Moneren oder Urcytoden, als ſolche geſchaffen und ihnen die Faͤhigkeit beigelegt haben, ſich in mechaniſcher Weiſe weiter zu entwickeln. Jch uͤberlaſſe es einem Jeden von Jhnen, zwiſchen dieſer Vorſtellung und der Hypotheſe der Ur- zeugung zu waͤhlen. Mir ſcheint die Vorſtellung, daß der Schoͤpfer an dieſem einzigen Punkte willkuͤrlich in den geſetzmaͤßigen Ent- wickelungsgang der Materie eingegriffen habe, der im Uebrigen ganz ohne ſeine Mitwirkung verlaͤuft, ebenſo unbefriedigend fuͤr das glaͤubige Gemuͤth, wie fuͤr den wiſſenſchaftlichen Verſtand zu ſein. Nehmen wir dagegen fuͤr die Entſtehung der erſten Organismen die Hypotheſe der Urzeugung an, welche aus den oben eroͤrterten Gruͤn- den, insbeſondere durch die Entdeckung der Moneren, ihre fruͤhere Schwierigkeit verloren hat, ſo gelangen wir zur Herſtellung eines un- unterbrochenen natuͤrlichen Zuſammenhanges zwiſchen der Entwicke- lung der Erde und der von ihr geborenen Organismen, und wir er- kennen auch in dem letzten noch zweifelhaften Punkte die Einheit der geſammten Natur und die Einheit ihrer Entwicke- lungsgeſetze (Gen. Morph. I, 164).

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Zitationshilfe: Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868, S. 287. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_schoepfungsgeschichte_1868/312>, abgerufen am 25.11.2024.