Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868.Kohlenstoffverbindungen als Ursachen der Lebenskraft. und Fortpflanzung, rein physikalisch-chemische Vorgänge, und ebensounmittelbar von der materiellen Beschaffenheit des Organismus ab- hängig sind, wie alle physikalischen und chemischen Eigenschaften oder Kräfte eines jeden Krystalles lediglich durch seine materielle Zusammen- setzung bedingt werden. Da nun derjenige Grundstoff, welcher die eigenthümliche materielle Zusammensetzung der Organismen bedingt, der Kohlenstoff ist, so müssen wir alle Lebenserscheinungen, und vor allen die beiden Grunderscheinungen der Ernährung und Fortpflan- zung, in letzter Linie auf die chemisch-physikalischen Eigenschaften des Kohlenstoffs zurückführen. Diese allein, und namentlich der fest- flüssige Aggregatzustand und die eigenthümliche Zersetzbarkeit der höchst zusammengesetzten eiweißartigen Kohlenstoffverbindun- gen, sind die mechanischen Ursachen jener eigenthümlichen Bewe- gungserscheinungen, durch welche sich die Organismen von den An- organen unterscheiden, und die man im engeren Sinne das "Leben" zu nennen pflegt. Um diesen höchst wichtigen Satz richtig zu würdigen, ist es vor Kohlenſtoffverbindungen als Urſachen der Lebenskraft. und Fortpflanzung, rein phyſikaliſch-chemiſche Vorgaͤnge, und ebenſounmittelbar von der materiellen Beſchaffenheit des Organismus ab- haͤngig ſind, wie alle phyſikaliſchen und chemiſchen Eigenſchaften oder Kraͤfte eines jeden Kryſtalles lediglich durch ſeine materielle Zuſammen- ſetzung bedingt werden. Da nun derjenige Grundſtoff, welcher die eigenthuͤmliche materielle Zuſammenſetzung der Organismen bedingt, der Kohlenſtoff iſt, ſo muͤſſen wir alle Lebenserſcheinungen, und vor allen die beiden Grunderſcheinungen der Ernaͤhrung und Fortpflan- zung, in letzter Linie auf die chemiſch-phyſikaliſchen Eigenſchaften des Kohlenſtoffs zuruͤckfuͤhren. Dieſe allein, und namentlich der feſt- fluͤſſige Aggregatzuſtand und die eigenthuͤmliche Zerſetzbarkeit der hoͤchſt zuſammengeſetzten eiweißartigen Kohlenſtoffverbindun- gen, ſind die mechaniſchen Urſachen jener eigenthuͤmlichen Bewe- gungserſcheinungen, durch welche ſich die Organismen von den An- organen unterſcheiden, und die man im engeren Sinne das „Leben“ zu nennen pflegt. Um dieſen hoͤchſt wichtigen Satz richtig zu wuͤrdigen, iſt es vor <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0301" n="276"/><fw place="top" type="header">Kohlenſtoffverbindungen als Urſachen der Lebenskraft.</fw><lb/> und Fortpflanzung, rein phyſikaliſch-chemiſche Vorgaͤnge, und ebenſo<lb/> unmittelbar von der materiellen Beſchaffenheit des Organismus ab-<lb/> haͤngig ſind, wie alle phyſikaliſchen und chemiſchen Eigenſchaften oder<lb/> Kraͤfte eines jeden Kryſtalles lediglich durch ſeine materielle Zuſammen-<lb/> ſetzung bedingt werden. Da nun derjenige Grundſtoff, welcher die<lb/> eigenthuͤmliche materielle Zuſammenſetzung der Organismen bedingt,<lb/> der Kohlenſtoff iſt, ſo muͤſſen wir alle Lebenserſcheinungen, und vor<lb/> allen die beiden Grunderſcheinungen der Ernaͤhrung und Fortpflan-<lb/> zung, in letzter Linie auf die chemiſch-phyſikaliſchen Eigenſchaften des<lb/><hi rendition="#g">Kohlenſtoffs</hi> zuruͤckfuͤhren. Dieſe allein, und namentlich der feſt-<lb/> fluͤſſige Aggregatzuſtand und die eigenthuͤmliche Zerſetzbarkeit der hoͤchſt<lb/> zuſammengeſetzten <hi rendition="#g">eiweißartigen Kohlenſtoffverbindun-<lb/> gen,</hi> ſind die mechaniſchen Urſachen jener eigenthuͤmlichen Bewe-<lb/> gungserſcheinungen, durch welche ſich die Organismen von den An-<lb/> organen unterſcheiden, und die man im engeren Sinne das „Leben“<lb/> zu nennen pflegt.</p><lb/> <p>Um dieſen hoͤchſt wichtigen Satz richtig zu wuͤrdigen, iſt es vor<lb/> Allem noͤthig, diejenigen Bewegungserſcheinungen ſcharf in’s Auge<lb/> zu faſſen, welche beiden Gruppen von Naturkoͤrpern gemeinſam ſind.<lb/> Unter dieſen ſteht obenan das <hi rendition="#g">Wachsthum.</hi> Wenn Sie irgend<lb/> eine anorganiſche Salzloͤſung langſam verdampfen laſſen, ſo bilden<lb/> ſich darin Salzkryſtalle, welche bei weiter gehender Verdunſtung des<lb/> Waſſers langſam an Groͤße zunehmen. Dieſes Wachsthum erfolgt<lb/> dadurch, daß immer neue Theilchen aus dem fluͤſſigen Aggregatzu-<lb/> ſtande in den feſten uͤbergehen und ſich an den bereits gebildeten feſten<lb/> Kryſtallkern nach beſtimmten Geſetzen anlagern. Durch ſolche Anla-<lb/> gerung oder Appoſition der Theilchen entſtehen die mathematiſch be-<lb/> ſtimmten Kryſtallformen. Ebenſo durch Aufnahme neuer Theilchen<lb/> geſchieht auch das Wachsthum der Organismen. Der Unterſchied<lb/> iſt nur der, daß beim Wachsthum der Organismen in Folge ihres<lb/> feſtfluͤſſigen Aggregatzuſtandes die neu aufgenommenen Theilchen in’s<lb/> Jnnere des Organismus vorruͤcken (Jntusſusception), waͤhrend die<lb/> Anorgane nur durch Appoſition, durch Anſatz neuer, gleichartiger<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [276/0301]
Kohlenſtoffverbindungen als Urſachen der Lebenskraft.
und Fortpflanzung, rein phyſikaliſch-chemiſche Vorgaͤnge, und ebenſo
unmittelbar von der materiellen Beſchaffenheit des Organismus ab-
haͤngig ſind, wie alle phyſikaliſchen und chemiſchen Eigenſchaften oder
Kraͤfte eines jeden Kryſtalles lediglich durch ſeine materielle Zuſammen-
ſetzung bedingt werden. Da nun derjenige Grundſtoff, welcher die
eigenthuͤmliche materielle Zuſammenſetzung der Organismen bedingt,
der Kohlenſtoff iſt, ſo muͤſſen wir alle Lebenserſcheinungen, und vor
allen die beiden Grunderſcheinungen der Ernaͤhrung und Fortpflan-
zung, in letzter Linie auf die chemiſch-phyſikaliſchen Eigenſchaften des
Kohlenſtoffs zuruͤckfuͤhren. Dieſe allein, und namentlich der feſt-
fluͤſſige Aggregatzuſtand und die eigenthuͤmliche Zerſetzbarkeit der hoͤchſt
zuſammengeſetzten eiweißartigen Kohlenſtoffverbindun-
gen, ſind die mechaniſchen Urſachen jener eigenthuͤmlichen Bewe-
gungserſcheinungen, durch welche ſich die Organismen von den An-
organen unterſcheiden, und die man im engeren Sinne das „Leben“
zu nennen pflegt.
Um dieſen hoͤchſt wichtigen Satz richtig zu wuͤrdigen, iſt es vor
Allem noͤthig, diejenigen Bewegungserſcheinungen ſcharf in’s Auge
zu faſſen, welche beiden Gruppen von Naturkoͤrpern gemeinſam ſind.
Unter dieſen ſteht obenan das Wachsthum. Wenn Sie irgend
eine anorganiſche Salzloͤſung langſam verdampfen laſſen, ſo bilden
ſich darin Salzkryſtalle, welche bei weiter gehender Verdunſtung des
Waſſers langſam an Groͤße zunehmen. Dieſes Wachsthum erfolgt
dadurch, daß immer neue Theilchen aus dem fluͤſſigen Aggregatzu-
ſtande in den feſten uͤbergehen und ſich an den bereits gebildeten feſten
Kryſtallkern nach beſtimmten Geſetzen anlagern. Durch ſolche Anla-
gerung oder Appoſition der Theilchen entſtehen die mathematiſch be-
ſtimmten Kryſtallformen. Ebenſo durch Aufnahme neuer Theilchen
geſchieht auch das Wachsthum der Organismen. Der Unterſchied
iſt nur der, daß beim Wachsthum der Organismen in Folge ihres
feſtfluͤſſigen Aggregatzuſtandes die neu aufgenommenen Theilchen in’s
Jnnere des Organismus vorruͤcken (Jntusſusception), waͤhrend die
Anorgane nur durch Appoſition, durch Anſatz neuer, gleichartiger
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