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Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868.

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Kant's kosmologische und Lamarck's biologische Theorie.
und Theorie des Himmels." 22) Nur die Bemerkung will ich noch aus-
drücklich hinzufügen, daß diese höchst bewunderungswürdige Theorie mit
allen uns bis jetzt bekannten allgemeinen Erscheinungsreihen im besten
Einklang, und mit keiner einzigen derselben in unvereinbarem Wider-
spruch steht. Ferner ist dieselbe rein mechanisch oder monistisch, nimmt
ausschließlich die ureigenen Kräfte der ewigen Materie für sich in An-
spruch, und schließt jeden übernatürlichen Vorgang, jede zweckmäßige
und bewußte Thätigkeit eines persönlichen Schöpfers vollständig aus.
Kant's kosmologische Gastheorie nimmt daher in der Anorgano-
logie,
und insbesondere in der Geologie eine ähnliche herrschende
Stellung ein, und krönt in ähnlicher Weise unsere Gesammterkenntniß,
wie Lamarck's biologische Descendenztheorie in der ganzen Biolo-
gie,
und namentlich in der Anthropologie. Beide stützen sich aus-
schließlich auf mechanische oder bewußtlose Ursachen (Causae efficien-
tes),
nirgends auf zweckthätige oder bewußte Ursachen (Causae finales).
(Vergl. oben S. 80 -- 83). Beide erfüllen somit alle Anforderun-
gen einer wissenschaftlichen Theorie und werden daher in allgemeiner
Geltung bleiben, bis sie durch eine bessere ersetzt werden. Neuer-
dings sind mehrfache Versuche gemacht worden, Kant's Kosmogenie
durch eine andere zu verdrängen; indessen sind diese Versuche bis jetzt
so unbefriedigend und mangelhaft, daß sie nicht beanspruchen können,
an deren Stelle zu treten.

Nach diesem allgemeinen Blick auf die monistische Kosmogenie
oder die natürliche Entwickelungsgeschichte des Weltalls lassen Sie
uns zu einem winzigen Bruchtheil desselben zurückkehren, zu unserer
mütterlichen Erde, welche wir im Zustande einer feurigflüssigen, an
beiden Polen abgeplatteten Kugel verlassen haben, deren Oberfläche
sich durch Abkühlung zu einer ganz dünnen festen Rinde verdichtet
hatte. Die erste Erstarrungskruste wird die ganze Oberfläche des
Erdsphäroids als eine zusammenhängende, glatte, dünne Schale
gleichmäßig überzogen haben. Bald aber wurde dieselbe uneben und
höckerig. Jndem nämlich bei fortschreitender Abkühlung der feuerflüs-
sige Kern sich mehr und mehr verdichtete und zusammenzog, und so

Kant’s kosmologiſche und Lamarck’s biologiſche Theorie.
und Theorie des Himmels.“ 22) Nur die Bemerkung will ich noch aus-
druͤcklich hinzufuͤgen, daß dieſe hoͤchſt bewunderungswuͤrdige Theorie mit
allen uns bis jetzt bekannten allgemeinen Erſcheinungsreihen im beſten
Einklang, und mit keiner einzigen derſelben in unvereinbarem Wider-
ſpruch ſteht. Ferner iſt dieſelbe rein mechaniſch oder moniſtiſch, nimmt
ausſchließlich die ureigenen Kraͤfte der ewigen Materie fuͤr ſich in An-
ſpruch, und ſchließt jeden uͤbernatuͤrlichen Vorgang, jede zweckmaͤßige
und bewußte Thaͤtigkeit eines perſoͤnlichen Schoͤpfers vollſtaͤndig aus.
Kant’s kosmologiſche Gastheorie nimmt daher in der Anorgano-
logie,
und insbeſondere in der Geologie eine aͤhnliche herrſchende
Stellung ein, und kroͤnt in aͤhnlicher Weiſe unſere Geſammterkenntniß,
wie Lamarck’s biologiſche Deſcendenztheorie in der ganzen Biolo-
gie,
und namentlich in der Anthropologie. Beide ſtuͤtzen ſich aus-
ſchließlich auf mechaniſche oder bewußtloſe Urſachen (Causae efficien-
tes),
nirgends auf zweckthaͤtige oder bewußte Urſachen (Causae finales).
(Vergl. oben S. 80 — 83). Beide erfuͤllen ſomit alle Anforderun-
gen einer wiſſenſchaftlichen Theorie und werden daher in allgemeiner
Geltung bleiben, bis ſie durch eine beſſere erſetzt werden. Neuer-
dings ſind mehrfache Verſuche gemacht worden, Kant’s Kosmogenie
durch eine andere zu verdraͤngen; indeſſen ſind dieſe Verſuche bis jetzt
ſo unbefriedigend und mangelhaft, daß ſie nicht beanſpruchen koͤnnen,
an deren Stelle zu treten.

Nach dieſem allgemeinen Blick auf die moniſtiſche Kosmogenie
oder die natuͤrliche Entwickelungsgeſchichte des Weltalls laſſen Sie
uns zu einem winzigen Bruchtheil deſſelben zuruͤckkehren, zu unſerer
muͤtterlichen Erde, welche wir im Zuſtande einer feurigfluͤſſigen, an
beiden Polen abgeplatteten Kugel verlaſſen haben, deren Oberflaͤche
ſich durch Abkuͤhlung zu einer ganz duͤnnen feſten Rinde verdichtet
hatte. Die erſte Erſtarrungskruſte wird die ganze Oberflaͤche des
Erdſphaͤroids als eine zuſammenhaͤngende, glatte, duͤnne Schale
gleichmaͤßig uͤberzogen haben. Bald aber wurde dieſelbe uneben und
hoͤckerig. Jndem naͤmlich bei fortſchreitender Abkuͤhlung der feuerfluͤſ-
ſige Kern ſich mehr und mehr verdichtete und zuſammenzog, und ſo

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[267/0292] Kant’s kosmologiſche und Lamarck’s biologiſche Theorie. und Theorie des Himmels.“ 22) Nur die Bemerkung will ich noch aus- druͤcklich hinzufuͤgen, daß dieſe hoͤchſt bewunderungswuͤrdige Theorie mit allen uns bis jetzt bekannten allgemeinen Erſcheinungsreihen im beſten Einklang, und mit keiner einzigen derſelben in unvereinbarem Wider- ſpruch ſteht. Ferner iſt dieſelbe rein mechaniſch oder moniſtiſch, nimmt ausſchließlich die ureigenen Kraͤfte der ewigen Materie fuͤr ſich in An- ſpruch, und ſchließt jeden uͤbernatuͤrlichen Vorgang, jede zweckmaͤßige und bewußte Thaͤtigkeit eines perſoͤnlichen Schoͤpfers vollſtaͤndig aus. Kant’s kosmologiſche Gastheorie nimmt daher in der Anorgano- logie, und insbeſondere in der Geologie eine aͤhnliche herrſchende Stellung ein, und kroͤnt in aͤhnlicher Weiſe unſere Geſammterkenntniß, wie Lamarck’s biologiſche Deſcendenztheorie in der ganzen Biolo- gie, und namentlich in der Anthropologie. Beide ſtuͤtzen ſich aus- ſchließlich auf mechaniſche oder bewußtloſe Urſachen (Causae efficien- tes), nirgends auf zweckthaͤtige oder bewußte Urſachen (Causae finales). (Vergl. oben S. 80 — 83). Beide erfuͤllen ſomit alle Anforderun- gen einer wiſſenſchaftlichen Theorie und werden daher in allgemeiner Geltung bleiben, bis ſie durch eine beſſere erſetzt werden. Neuer- dings ſind mehrfache Verſuche gemacht worden, Kant’s Kosmogenie durch eine andere zu verdraͤngen; indeſſen ſind dieſe Verſuche bis jetzt ſo unbefriedigend und mangelhaft, daß ſie nicht beanſpruchen koͤnnen, an deren Stelle zu treten. Nach dieſem allgemeinen Blick auf die moniſtiſche Kosmogenie oder die natuͤrliche Entwickelungsgeſchichte des Weltalls laſſen Sie uns zu einem winzigen Bruchtheil deſſelben zuruͤckkehren, zu unſerer muͤtterlichen Erde, welche wir im Zuſtande einer feurigfluͤſſigen, an beiden Polen abgeplatteten Kugel verlaſſen haben, deren Oberflaͤche ſich durch Abkuͤhlung zu einer ganz duͤnnen feſten Rinde verdichtet hatte. Die erſte Erſtarrungskruſte wird die ganze Oberflaͤche des Erdſphaͤroids als eine zuſammenhaͤngende, glatte, duͤnne Schale gleichmaͤßig uͤberzogen haben. Bald aber wurde dieſelbe uneben und hoͤckerig. Jndem naͤmlich bei fortſchreitender Abkuͤhlung der feuerfluͤſ- ſige Kern ſich mehr und mehr verdichtete und zuſammenzog, und ſo

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Zitationshilfe: Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868, S. 267. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_schoepfungsgeschichte_1868/292>, abgerufen am 24.11.2024.