Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868.

Bild:
<< vorherige Seite
Feste Rinde und feuerflüssiger Kern des Erdballs.

Wenn wir uns in dieser Weise die Entstehung der ersten irdischen
Organismen, von denen alle übrigen abstammen, durch die zweck-
mäßige und planvolle Thätigkeit eines persönlichen Schöpfers erklären
wollten, so würden wir damit auf eine wissenschaftliche Erkenntniß
derselben verzichten, und aus dem Gebiete der wahren Wissenschaft auf
das gänzlich getrennte Gebiet der dichtenden Glaubenschaft hinüber-
treten. Wir würden durch die Annahme eines übernatürlichen Schö-
pfungsaktes einen Sprung in das Unbegreifliche thun. Ehe wir
uns zu diesem letzten Schritte entschließen und damit auf eine wissen-
schaftliche Erkenntniß jenes Vorgangs verzichten, sind wir jedenfalls
zu dem Versuche verpflichtet, denselben durch eine mechanische Hypo-
these zu beleuchten. Wir müssen jedenfalls untersuchen, ob denn wirk-
lich jener Vorgang so wunderbar ist, und ob wir uns keine haltbare
Vorstellung von einer ganz natürlichen Entstehung jenes ersten Stamm-
organismus machen können. Auf das Wunder der Schöpfung wür-
den wir dann gänzlich verzichten können.

Es wird hierbei nothwendig sein, zunächst etwas weiter auszu-
holen und die natürliche Schöpfungsgeschichte der Erde und, noch wei-
ter zurückgehend, die natürliche Schöpfungsgeschichte des ganzen Welt-
alls in ihren allgemeinen Grundzügen zu betrachten. Es wird Jhnen
Allen wohl bekannt sein, daß aus dem Bau der Erde, wie wir ihn
gegenwärtig kennen, die Vorstellung abgeleitet und bis jetzt noch nicht
widerlegt ist, daß das Jnnere unserer Erde sich in einem feurigflüssi-
gen Zustande befindet, und daß die aus verschiedenen Schichten zu-
sammengesetzte feste Rinde, auf deren Oberfläche die Organismen
leben, nur eine sehr dünne Kruste oder Schale um den feurigflüssigen
Kern bildet. Zu dieser Anschauung sind wir durch verschiedene über-
einstimmende Erfahrungen und Schlüsse gelangt. Zunächst spricht
dafür die Erfahrung, daß die Temperatur der Erdrinde nach dem Jn-
neren hin stetig zunimmt. Je tiefer wir hinabsteigen, desto höher
steigt die Wärme des Erdbodens, und zwar in dem Verhältniß, daß
auf jede 100 Fuß Tiefe die Temperatur ungefähr um einen Grad zu-
nimmt. Jn einer Tiefe von 6 Meilen würde demnach bereits eine

Feſte Rinde und feuerfluͤſſiger Kern des Erdballs.

Wenn wir uns in dieſer Weiſe die Entſtehung der erſten irdiſchen
Organismen, von denen alle uͤbrigen abſtammen, durch die zweck-
maͤßige und planvolle Thaͤtigkeit eines perſoͤnlichen Schoͤpfers erklaͤren
wollten, ſo wuͤrden wir damit auf eine wiſſenſchaftliche Erkenntniß
derſelben verzichten, und aus dem Gebiete der wahren Wiſſenſchaft auf
das gaͤnzlich getrennte Gebiet der dichtenden Glaubenſchaft hinuͤber-
treten. Wir wuͤrden durch die Annahme eines uͤbernatuͤrlichen Schoͤ-
pfungsaktes einen Sprung in das Unbegreifliche thun. Ehe wir
uns zu dieſem letzten Schritte entſchließen und damit auf eine wiſſen-
ſchaftliche Erkenntniß jenes Vorgangs verzichten, ſind wir jedenfalls
zu dem Verſuche verpflichtet, denſelben durch eine mechaniſche Hypo-
theſe zu beleuchten. Wir muͤſſen jedenfalls unterſuchen, ob denn wirk-
lich jener Vorgang ſo wunderbar iſt, und ob wir uns keine haltbare
Vorſtellung von einer ganz natuͤrlichen Entſtehung jenes erſten Stamm-
organismus machen koͤnnen. Auf das Wunder der Schoͤpfung wuͤr-
den wir dann gaͤnzlich verzichten koͤnnen.

Es wird hierbei nothwendig ſein, zunaͤchſt etwas weiter auszu-
holen und die natuͤrliche Schoͤpfungsgeſchichte der Erde und, noch wei-
ter zuruͤckgehend, die natuͤrliche Schoͤpfungsgeſchichte des ganzen Welt-
alls in ihren allgemeinen Grundzuͤgen zu betrachten. Es wird Jhnen
Allen wohl bekannt ſein, daß aus dem Bau der Erde, wie wir ihn
gegenwaͤrtig kennen, die Vorſtellung abgeleitet und bis jetzt noch nicht
widerlegt iſt, daß das Jnnere unſerer Erde ſich in einem feurigfluͤſſi-
gen Zuſtande befindet, und daß die aus verſchiedenen Schichten zu-
ſammengeſetzte feſte Rinde, auf deren Oberflaͤche die Organismen
leben, nur eine ſehr duͤnne Kruſte oder Schale um den feurigfluͤſſigen
Kern bildet. Zu dieſer Anſchauung ſind wir durch verſchiedene uͤber-
einſtimmende Erfahrungen und Schluͤſſe gelangt. Zunaͤchſt ſpricht
dafuͤr die Erfahrung, daß die Temperatur der Erdrinde nach dem Jn-
neren hin ſtetig zunimmt. Je tiefer wir hinabſteigen, deſto hoͤher
ſteigt die Waͤrme des Erdbodens, und zwar in dem Verhaͤltniß, daß
auf jede 100 Fuß Tiefe die Temperatur ungefaͤhr um einen Grad zu-
nimmt. Jn einer Tiefe von 6 Meilen wuͤrde demnach bereits eine

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0286" n="261"/>
        <fw place="top" type="header">Fe&#x017F;te Rinde und feuerflu&#x0364;&#x017F;&#x017F;iger Kern des Erdballs.</fw><lb/>
        <p>Wenn wir uns in die&#x017F;er Wei&#x017F;e die Ent&#x017F;tehung der er&#x017F;ten irdi&#x017F;chen<lb/>
Organismen, von denen alle u&#x0364;brigen ab&#x017F;tammen, durch die zweck-<lb/>
ma&#x0364;ßige und planvolle Tha&#x0364;tigkeit eines per&#x017F;o&#x0364;nlichen Scho&#x0364;pfers erkla&#x0364;ren<lb/>
wollten, &#x017F;o wu&#x0364;rden wir damit auf eine wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaftliche Erkenntniß<lb/>
der&#x017F;elben verzichten, und aus dem Gebiete der wahren Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft auf<lb/>
das ga&#x0364;nzlich getrennte Gebiet der dichtenden Glauben&#x017F;chaft hinu&#x0364;ber-<lb/>
treten. Wir wu&#x0364;rden durch die Annahme eines u&#x0364;bernatu&#x0364;rlichen Scho&#x0364;-<lb/>
pfungsaktes einen Sprung in das Unbegreifliche thun. Ehe wir<lb/>
uns zu die&#x017F;em letzten Schritte ent&#x017F;chließen und damit auf eine wi&#x017F;&#x017F;en-<lb/>
&#x017F;chaftliche Erkenntniß jenes Vorgangs verzichten, &#x017F;ind wir jedenfalls<lb/>
zu dem Ver&#x017F;uche verpflichtet, den&#x017F;elben durch eine mechani&#x017F;che Hypo-<lb/>
the&#x017F;e zu beleuchten. Wir mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en jedenfalls unter&#x017F;uchen, ob denn wirk-<lb/>
lich jener Vorgang &#x017F;o wunderbar i&#x017F;t, und ob wir uns keine haltbare<lb/>
Vor&#x017F;tellung von einer ganz natu&#x0364;rlichen Ent&#x017F;tehung jenes er&#x017F;ten Stamm-<lb/>
organismus machen ko&#x0364;nnen. Auf das Wunder der Scho&#x0364;pfung wu&#x0364;r-<lb/>
den wir dann ga&#x0364;nzlich verzichten ko&#x0364;nnen.</p><lb/>
        <p>Es wird hierbei nothwendig &#x017F;ein, zuna&#x0364;ch&#x017F;t etwas weiter auszu-<lb/>
holen und die natu&#x0364;rliche Scho&#x0364;pfungsge&#x017F;chichte der Erde und, noch wei-<lb/>
ter zuru&#x0364;ckgehend, die natu&#x0364;rliche Scho&#x0364;pfungsge&#x017F;chichte des ganzen Welt-<lb/>
alls in ihren allgemeinen Grundzu&#x0364;gen zu betrachten. Es wird Jhnen<lb/>
Allen wohl bekannt &#x017F;ein, daß aus dem Bau der Erde, wie wir ihn<lb/>
gegenwa&#x0364;rtig kennen, die Vor&#x017F;tellung abgeleitet und bis jetzt noch nicht<lb/>
widerlegt i&#x017F;t, daß das Jnnere un&#x017F;erer Erde &#x017F;ich in einem feurigflu&#x0364;&#x017F;&#x017F;i-<lb/>
gen Zu&#x017F;tande befindet, und daß die aus ver&#x017F;chiedenen Schichten zu-<lb/>
&#x017F;ammenge&#x017F;etzte fe&#x017F;te Rinde, auf deren Oberfla&#x0364;che die Organismen<lb/>
leben, nur eine &#x017F;ehr du&#x0364;nne Kru&#x017F;te oder Schale um den feurigflu&#x0364;&#x017F;&#x017F;igen<lb/>
Kern bildet. Zu die&#x017F;er An&#x017F;chauung &#x017F;ind wir durch ver&#x017F;chiedene u&#x0364;ber-<lb/>
ein&#x017F;timmende Erfahrungen und Schlu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e gelangt. Zuna&#x0364;ch&#x017F;t &#x017F;pricht<lb/>
dafu&#x0364;r die Erfahrung, daß die Temperatur der Erdrinde nach dem Jn-<lb/>
neren hin &#x017F;tetig zunimmt. Je tiefer wir hinab&#x017F;teigen, de&#x017F;to ho&#x0364;her<lb/>
&#x017F;teigt die Wa&#x0364;rme des Erdbodens, und zwar in dem Verha&#x0364;ltniß, daß<lb/>
auf jede 100 Fuß Tiefe die Temperatur ungefa&#x0364;hr um einen Grad zu-<lb/>
nimmt. Jn einer Tiefe von 6 Meilen wu&#x0364;rde demnach bereits eine<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[261/0286] Feſte Rinde und feuerfluͤſſiger Kern des Erdballs. Wenn wir uns in dieſer Weiſe die Entſtehung der erſten irdiſchen Organismen, von denen alle uͤbrigen abſtammen, durch die zweck- maͤßige und planvolle Thaͤtigkeit eines perſoͤnlichen Schoͤpfers erklaͤren wollten, ſo wuͤrden wir damit auf eine wiſſenſchaftliche Erkenntniß derſelben verzichten, und aus dem Gebiete der wahren Wiſſenſchaft auf das gaͤnzlich getrennte Gebiet der dichtenden Glaubenſchaft hinuͤber- treten. Wir wuͤrden durch die Annahme eines uͤbernatuͤrlichen Schoͤ- pfungsaktes einen Sprung in das Unbegreifliche thun. Ehe wir uns zu dieſem letzten Schritte entſchließen und damit auf eine wiſſen- ſchaftliche Erkenntniß jenes Vorgangs verzichten, ſind wir jedenfalls zu dem Verſuche verpflichtet, denſelben durch eine mechaniſche Hypo- theſe zu beleuchten. Wir muͤſſen jedenfalls unterſuchen, ob denn wirk- lich jener Vorgang ſo wunderbar iſt, und ob wir uns keine haltbare Vorſtellung von einer ganz natuͤrlichen Entſtehung jenes erſten Stamm- organismus machen koͤnnen. Auf das Wunder der Schoͤpfung wuͤr- den wir dann gaͤnzlich verzichten koͤnnen. Es wird hierbei nothwendig ſein, zunaͤchſt etwas weiter auszu- holen und die natuͤrliche Schoͤpfungsgeſchichte der Erde und, noch wei- ter zuruͤckgehend, die natuͤrliche Schoͤpfungsgeſchichte des ganzen Welt- alls in ihren allgemeinen Grundzuͤgen zu betrachten. Es wird Jhnen Allen wohl bekannt ſein, daß aus dem Bau der Erde, wie wir ihn gegenwaͤrtig kennen, die Vorſtellung abgeleitet und bis jetzt noch nicht widerlegt iſt, daß das Jnnere unſerer Erde ſich in einem feurigfluͤſſi- gen Zuſtande befindet, und daß die aus verſchiedenen Schichten zu- ſammengeſetzte feſte Rinde, auf deren Oberflaͤche die Organismen leben, nur eine ſehr duͤnne Kruſte oder Schale um den feurigfluͤſſigen Kern bildet. Zu dieſer Anſchauung ſind wir durch verſchiedene uͤber- einſtimmende Erfahrungen und Schluͤſſe gelangt. Zunaͤchſt ſpricht dafuͤr die Erfahrung, daß die Temperatur der Erdrinde nach dem Jn- neren hin ſtetig zunimmt. Je tiefer wir hinabſteigen, deſto hoͤher ſteigt die Waͤrme des Erdbodens, und zwar in dem Verhaͤltniß, daß auf jede 100 Fuß Tiefe die Temperatur ungefaͤhr um einen Grad zu- nimmt. Jn einer Tiefe von 6 Meilen wuͤrde demnach bereits eine

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_schoepfungsgeschichte_1868
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_schoepfungsgeschichte_1868/286
Zitationshilfe: Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868, S. 261. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_schoepfungsgeschichte_1868/286>, abgerufen am 24.11.2024.