Der hohe und wirklich unschätzbare Werth der Abstammungslehre erscheint in einem verschiedenen Lichte, je nachdem Sie bloß deren nä- here Bedeutung für die organische Naturwissenschaft, oder aber ihren weiteren Einfluß auf die gesammte Welterkenntniß des Menschen in Betracht ziehen. Die organische Naturwissenschaft oder die Biologie, welche als Zoologie die Thiere, als Botanik die Pflanzen zum Ge- genstand ihrer Erkenntniß hat, wird durch die Abstammungslehre von Grund aus umgestaltet uud neu begründet. Denn die Descendenz- theorie macht uns mit den wirkenden Ursachen der organischen Formerscheinungen bekannt, während die bisherige Thier- und Pflan- zenkunde sich bloß mit den Thatsachen dieser Erscheinungen beschäf- tigte. Man kann daher auch die Abstammungslehre als die mecha- nische Erklärung der organischen Formerscheinungen, oder als "die Lehre von den wahren Ursachen in der organischen Na- tur" bezeichnen.
Da ich nicht voraussetzen kann, daß Jhnen Allen die Ausdrücke "organische und anorganische Natur" geläufig sind, und da uns die Gegenüberstellung dieser beiderlei Naturkörper in der Folge noch vielfach beschäftigen wird, so muß ich ein paar Worte zur Ver- ständigung darüber vorausschicken. Organismen oder organi- sche Naturkörper nennen wir alle Lebewesen oder belebten Körper, also alle Pflanzen und Thiere, den Menschen mit inbegriffen, weil bei ihnen fast immer eine Zusammensetzung aus verschiedenartigen Theilen (Werkzeugen oder "Organen") nachzuweisen ist, welche zusam- menwirken, um die Lebenserscheinungen hervorzubringen. Eine solche Zusammensetzung vermissen wir dagegen bei den Anorganen oder anorganischen Naturkörpern, den sogenannten todten oder unbe- lebten Körpern, den Mineralien oder Gesteinen, dem Wasser, der atmo- sphärischen Luft u. s. w. Die Organismen enthalten stets eiweißartige Kohlenstoffverbindungen in festflüssigem Aggregatzustande, während diese den Anorganen stets fehlen. Auf diesem wichtigen Unterschiede beruht die Eintheilung der gesammten Naturwissenschaft in zwei große Hauptabtheilungen, die Biologie oder Wissenschaft von den Orga-
Bedeutung der Abſtammungslehre fuͤr die Biologie.
Der hohe und wirklich unſchaͤtzbare Werth der Abſtammungslehre erſcheint in einem verſchiedenen Lichte, je nachdem Sie bloß deren naͤ- here Bedeutung fuͤr die organiſche Naturwiſſenſchaft, oder aber ihren weiteren Einfluß auf die geſammte Welterkenntniß des Menſchen in Betracht ziehen. Die organiſche Naturwiſſenſchaft oder die Biologie, welche als Zoologie die Thiere, als Botanik die Pflanzen zum Ge- genſtand ihrer Erkenntniß hat, wird durch die Abſtammungslehre von Grund aus umgeſtaltet uud neu begruͤndet. Denn die Deſcendenz- theorie macht uns mit den wirkenden Urſachen der organiſchen Formerſcheinungen bekannt, waͤhrend die bisherige Thier- und Pflan- zenkunde ſich bloß mit den Thatſachen dieſer Erſcheinungen beſchaͤf- tigte. Man kann daher auch die Abſtammungslehre als die mecha- niſche Erklaͤrung der organiſchen Formerſcheinungen, oder als „die Lehre von den wahren Urſachen in der organiſchen Na- tur“ bezeichnen.
Da ich nicht vorausſetzen kann, daß Jhnen Allen die Ausdruͤcke „organiſche und anorganiſche Natur“ gelaͤufig ſind, und da uns die Gegenuͤberſtellung dieſer beiderlei Naturkoͤrper in der Folge noch vielfach beſchaͤftigen wird, ſo muß ich ein paar Worte zur Ver- ſtaͤndigung daruͤber vorausſchicken. Organismen oder organi- ſche Naturkoͤrper nennen wir alle Lebeweſen oder belebten Koͤrper, alſo alle Pflanzen und Thiere, den Menſchen mit inbegriffen, weil bei ihnen faſt immer eine Zuſammenſetzung aus verſchiedenartigen Theilen (Werkzeugen oder „Organen“) nachzuweiſen iſt, welche zuſam- menwirken, um die Lebenserſcheinungen hervorzubringen. Eine ſolche Zuſammenſetzung vermiſſen wir dagegen bei den Anorganen oder anorganiſchen Naturkoͤrpern, den ſogenannten todten oder unbe- lebten Koͤrpern, den Mineralien oder Geſteinen, dem Waſſer, der atmo- ſphaͤriſchen Luft u. ſ. w. Die Organismen enthalten ſtets eiweißartige Kohlenſtoffverbindungen in feſtfluͤſſigem Aggregatzuſtande, waͤhrend dieſe den Anorganen ſtets fehlen. Auf dieſem wichtigen Unterſchiede beruht die Eintheilung der geſammten Naturwiſſenſchaft in zwei große Hauptabtheilungen, die Biologie oder Wiſſenſchaft von den Orga-
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Bedeutung der Abſtammungslehre fuͤr die Biologie.
Der hohe und wirklich unſchaͤtzbare Werth der Abſtammungslehre
erſcheint in einem verſchiedenen Lichte, je nachdem Sie bloß deren naͤ-
here Bedeutung fuͤr die organiſche Naturwiſſenſchaft, oder aber ihren
weiteren Einfluß auf die geſammte Welterkenntniß des Menſchen in
Betracht ziehen. Die organiſche Naturwiſſenſchaft oder die Biologie,
welche als Zoologie die Thiere, als Botanik die Pflanzen zum Ge-
genſtand ihrer Erkenntniß hat, wird durch die Abſtammungslehre von
Grund aus umgeſtaltet uud neu begruͤndet. Denn die Deſcendenz-
theorie macht uns mit den wirkenden Urſachen der organiſchen
Formerſcheinungen bekannt, waͤhrend die bisherige Thier- und Pflan-
zenkunde ſich bloß mit den Thatſachen dieſer Erſcheinungen beſchaͤf-
tigte. Man kann daher auch die Abſtammungslehre als die mecha-
niſche Erklaͤrung der organiſchen Formerſcheinungen,
oder als „die Lehre von den wahren Urſachen in der organiſchen Na-
tur“ bezeichnen.
Da ich nicht vorausſetzen kann, daß Jhnen Allen die Ausdruͤcke
„organiſche und anorganiſche Natur“ gelaͤufig ſind, und
da uns die Gegenuͤberſtellung dieſer beiderlei Naturkoͤrper in der Folge
noch vielfach beſchaͤftigen wird, ſo muß ich ein paar Worte zur Ver-
ſtaͤndigung daruͤber vorausſchicken. Organismen oder organi-
ſche Naturkoͤrper nennen wir alle Lebeweſen oder belebten
Koͤrper, alſo alle Pflanzen und Thiere, den Menſchen mit inbegriffen,
weil bei ihnen faſt immer eine Zuſammenſetzung aus verſchiedenartigen
Theilen (Werkzeugen oder „Organen“) nachzuweiſen iſt, welche zuſam-
menwirken, um die Lebenserſcheinungen hervorzubringen. Eine ſolche
Zuſammenſetzung vermiſſen wir dagegen bei den Anorganen oder
anorganiſchen Naturkoͤrpern, den ſogenannten todten oder unbe-
lebten Koͤrpern, den Mineralien oder Geſteinen, dem Waſſer, der atmo-
ſphaͤriſchen Luft u. ſ. w. Die Organismen enthalten ſtets eiweißartige
Kohlenſtoffverbindungen in feſtfluͤſſigem Aggregatzuſtande, waͤhrend
dieſe den Anorganen ſtets fehlen. Auf dieſem wichtigen Unterſchiede
beruht die Eintheilung der geſammten Naturwiſſenſchaft in zwei große
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Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868, S. 4. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_schoepfungsgeschichte_1868/25>, abgerufen am 22.11.2024.
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