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Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868.

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Gesetz des Fortschritts oder der Vervollkommnung.
das Leben auf unserem Planeten mit der Urzeugung von Moneren
begann, haben sich die Organismen aller Gruppen beständig im
Ganzen wie im Einzelnen vervollkommnet und höher ausgebildet.
Die stetig zunehmende Mannichfaltigkeit der Lebensformen war stets
zugleich vom Fortschritt in der Organisation begleitet. Je tiefer Sie
in die Schichten der Erde hinabsteigen, in welchen die Reste der aus-
gestorbenen Thiere und Pflanzen begraben liegen, je älter die letzteren
mithin sind, desto einförmiger, einfacher und unvollkommener sind
ihre Gestalten. Dies gilt sowohl von den Organismen im Großen
und Ganzen, als von jeder einzelnen größeren oder kleineren Gruppe
derselben, abgesehen natürlich von jenen Ausnahmen, die durch
Rückbildung einzelner Formen entstehen, und die wir nachher be-
sprechen werden.

Zur Bestätigung dieses Gesetzes will ich Jhnen hier wieder nur
die wichtigste von allen Thiergruppen, den Stamm der Wirbelthiere
anführen. Die ältesten fossilen Wirbelthierreste, welche wir kennen,
gehören der tiefstehenden Fischclasse an. Auf diese folgten späterhin
die vollkommneren Amphibien, dann die Reptilien, und endlich in
noch viel späterer Zeit die höchstorganisirten Wirbelthierclassen, die
Vögel und Säugethiere. Von den letzteren erschienen zuerst nur die
niedrigsten und unvollkommensten Formen, ohne Placenta, die Beu-
telthiere, und viel später wiederum die vollkommneren Säugethiere,
mit Placenta. Auch von diesen traten zuerst nur niedere, später hö-
here Formen auf, und erst in der jüngeren Tertiärzeit entwickelte sich
aus den letzteren allmählich der Mensch.

Verfolgen Sie die historische Entwickelung des Pflanzenreichs, so
finden Sie hier dasselbe Gesetz bestätigt. Auch von den Pflanzen exi-
stirte anfänglich bloß die niedrigste und unvollkommenste Classe, die-
jenige der Algen oder Tange. Auf diese folgte später die Gruppe
der farrnkrautartigen Pflanzen oder Filicinen (Farrne, Schafthalme,
Schuppenpflanzen u. s. w.). Aber noch existirten keine Blüthen-
pflanzen oder Phanerogamen. Diese begannen erst später mit den
Gymnospermen (Nadelhölzern und Cycadeen), welche in ihrer gan-

Haeckel, Natürliche Schöpfungsgeschichte. 15

Geſetz des Fortſchritts oder der Vervollkommnung.
das Leben auf unſerem Planeten mit der Urzeugung von Moneren
begann, haben ſich die Organismen aller Gruppen beſtaͤndig im
Ganzen wie im Einzelnen vervollkommnet und hoͤher ausgebildet.
Die ſtetig zunehmende Mannichfaltigkeit der Lebensformen war ſtets
zugleich vom Fortſchritt in der Organiſation begleitet. Je tiefer Sie
in die Schichten der Erde hinabſteigen, in welchen die Reſte der aus-
geſtorbenen Thiere und Pflanzen begraben liegen, je aͤlter die letzteren
mithin ſind, deſto einfoͤrmiger, einfacher und unvollkommener ſind
ihre Geſtalten. Dies gilt ſowohl von den Organismen im Großen
und Ganzen, als von jeder einzelnen groͤßeren oder kleineren Gruppe
derſelben, abgeſehen natuͤrlich von jenen Ausnahmen, die durch
Ruͤckbildung einzelner Formen entſtehen, und die wir nachher be-
ſprechen werden.

Zur Beſtaͤtigung dieſes Geſetzes will ich Jhnen hier wieder nur
die wichtigſte von allen Thiergruppen, den Stamm der Wirbelthiere
anfuͤhren. Die aͤlteſten foſſilen Wirbelthierreſte, welche wir kennen,
gehoͤren der tiefſtehenden Fiſchclaſſe an. Auf dieſe folgten ſpaͤterhin
die vollkommneren Amphibien, dann die Reptilien, und endlich in
noch viel ſpaͤterer Zeit die hoͤchſtorganiſirten Wirbelthierclaſſen, die
Voͤgel und Saͤugethiere. Von den letzteren erſchienen zuerſt nur die
niedrigſten und unvollkommenſten Formen, ohne Placenta, die Beu-
telthiere, und viel ſpaͤter wiederum die vollkommneren Saͤugethiere,
mit Placenta. Auch von dieſen traten zuerſt nur niedere, ſpaͤter hoͤ-
here Formen auf, und erſt in der juͤngeren Tertiaͤrzeit entwickelte ſich
aus den letzteren allmaͤhlich der Menſch.

Verfolgen Sie die hiſtoriſche Entwickelung des Pflanzenreichs, ſo
finden Sie hier daſſelbe Geſetz beſtaͤtigt. Auch von den Pflanzen exi-
ſtirte anfaͤnglich bloß die niedrigſte und unvollkommenſte Claſſe, die-
jenige der Algen oder Tange. Auf dieſe folgte ſpaͤter die Gruppe
der farrnkrautartigen Pflanzen oder Filicinen (Farrne, Schafthalme,
Schuppenpflanzen u. ſ. w.). Aber noch exiſtirten keine Bluͤthen-
pflanzen oder Phanerogamen. Dieſe begannen erſt ſpaͤter mit den
Gymnoſpermen (Nadelhoͤlzern und Cycadeen), welche in ihrer gan-

Haeckel, Natuͤrliche Schoͤpfungsgeſchichte. 15
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[225/0246] Geſetz des Fortſchritts oder der Vervollkommnung. das Leben auf unſerem Planeten mit der Urzeugung von Moneren begann, haben ſich die Organismen aller Gruppen beſtaͤndig im Ganzen wie im Einzelnen vervollkommnet und hoͤher ausgebildet. Die ſtetig zunehmende Mannichfaltigkeit der Lebensformen war ſtets zugleich vom Fortſchritt in der Organiſation begleitet. Je tiefer Sie in die Schichten der Erde hinabſteigen, in welchen die Reſte der aus- geſtorbenen Thiere und Pflanzen begraben liegen, je aͤlter die letzteren mithin ſind, deſto einfoͤrmiger, einfacher und unvollkommener ſind ihre Geſtalten. Dies gilt ſowohl von den Organismen im Großen und Ganzen, als von jeder einzelnen groͤßeren oder kleineren Gruppe derſelben, abgeſehen natuͤrlich von jenen Ausnahmen, die durch Ruͤckbildung einzelner Formen entſtehen, und die wir nachher be- ſprechen werden. Zur Beſtaͤtigung dieſes Geſetzes will ich Jhnen hier wieder nur die wichtigſte von allen Thiergruppen, den Stamm der Wirbelthiere anfuͤhren. Die aͤlteſten foſſilen Wirbelthierreſte, welche wir kennen, gehoͤren der tiefſtehenden Fiſchclaſſe an. Auf dieſe folgten ſpaͤterhin die vollkommneren Amphibien, dann die Reptilien, und endlich in noch viel ſpaͤterer Zeit die hoͤchſtorganiſirten Wirbelthierclaſſen, die Voͤgel und Saͤugethiere. Von den letzteren erſchienen zuerſt nur die niedrigſten und unvollkommenſten Formen, ohne Placenta, die Beu- telthiere, und viel ſpaͤter wiederum die vollkommneren Saͤugethiere, mit Placenta. Auch von dieſen traten zuerſt nur niedere, ſpaͤter hoͤ- here Formen auf, und erſt in der juͤngeren Tertiaͤrzeit entwickelte ſich aus den letzteren allmaͤhlich der Menſch. Verfolgen Sie die hiſtoriſche Entwickelung des Pflanzenreichs, ſo finden Sie hier daſſelbe Geſetz beſtaͤtigt. Auch von den Pflanzen exi- ſtirte anfaͤnglich bloß die niedrigſte und unvollkommenſte Claſſe, die- jenige der Algen oder Tange. Auf dieſe folgte ſpaͤter die Gruppe der farrnkrautartigen Pflanzen oder Filicinen (Farrne, Schafthalme, Schuppenpflanzen u. ſ. w.). Aber noch exiſtirten keine Bluͤthen- pflanzen oder Phanerogamen. Dieſe begannen erſt ſpaͤter mit den Gymnoſpermen (Nadelhoͤlzern und Cycadeen), welche in ihrer gan- Haeckel, Natuͤrliche Schoͤpfungsgeſchichte. 15

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Zitationshilfe: Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868, S. 225. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_schoepfungsgeschichte_1868/246>, abgerufen am 25.11.2024.