Art festzustellen. Was eigentlich eine "echte oder gute Species" sei, diese Frage vermag kein Naturforscher zu beantworten, trotzdem ganze Bi- bliotheken über die Frage geschrieben worden sind, ob diese oder jene beobachtete Form eine Species oder Varietät, eine wirklich gute oder schlechte Art sei. Die verhältnißmäßig beste und vernünftigste Ant- wort auf diese Frage war noch immer folgende: "Zu einer Art gehören alle Jndividuen, die in allen wesentlichen Merkmalen übereinstimmen. Wesentliche Speciescharaktere sind aber solche, welche beständig oder constant sind, und niemals abändern oder variiren." Sobald nun aber der Fall eintrat, daß ein Merkmal, das man bisher für wesent- lich hielt, dennoch abänderte, so sagte man: "Dieses Merkmal ist für die Art nicht wesentlich gewesen, denn wesentliche Charaktere variiren nicht." Man bewegte sich also in einem offenbaren Zirkelschluß, und die Naivität ist wirklich erstaunlich, mit der diese Kreisbewegung der Artdefinition in Tausenden von Büchern als unumstößliche Wahrheit hingestellt und immer noch wiederholt wird.
Ebenso wie dieser, so sind auch alle übrigen Versuche, welche man zu einer festen und logischen Begriffsbestimmung der organischen "Spe- cies" gemacht hat, völlig fruchtlos und vergeblich gewesen. Der Natur der Sache nach kann es nicht anders sein. Der Begriff der Species ist ebenso gut relativ, und nicht absolut, wie der Begriff der Varietät, Gattung, Familie, Ordnung, Classe u. s. w. Jch habe dies in meiner Kritik des Speciesbegriffs in meiner generellen Morphologie ausführ- lich nachgewiesen (Gen. Morph. II. 323 -- 364). Jch will mit dieser unerquicklichen Erörterung hier keine Zeit verlieren, und nur noch ein paar Worte über das Verhältniß der Species zur Bastard- zeugung sagen. Früher galt es als Dogma, daß zwei gute Arten niemals mit einander Bastarde zeugen könnten, welche sich als solche fortpflanzten. Man berief sich dabei fast immer auf die Bastarde von Pferd und Esel, die Maulthiere und Maulesel, die in der That selten oder fast niemals ihre Art fortpflanzen können. Allein solche un- fruchtbare Bastarde sind, wie sich herausgestellt hat, seltene Ausnah- men, und in der Mehrzahl der Fälle sind Bastarde zweier ganz ver-
Begriffsbeſtimmung der Art oder Species.
Art feſtzuſtellen. Was eigentlich eine „echte oder gute Species“ ſei, dieſe Frage vermag kein Naturforſcher zu beantworten, trotzdem ganze Bi- bliotheken uͤber die Frage geſchrieben worden ſind, ob dieſe oder jene beobachtete Form eine Species oder Varietaͤt, eine wirklich gute oder ſchlechte Art ſei. Die verhaͤltnißmaͤßig beſte und vernuͤnftigſte Ant- wort auf dieſe Frage war noch immer folgende: „Zu einer Art gehoͤren alle Jndividuen, die in allen weſentlichen Merkmalen uͤbereinſtimmen. Weſentliche Speciescharaktere ſind aber ſolche, welche beſtaͤndig oder conſtant ſind, und niemals abaͤndern oder variiren.“ Sobald nun aber der Fall eintrat, daß ein Merkmal, das man bisher fuͤr weſent- lich hielt, dennoch abaͤnderte, ſo ſagte man: „Dieſes Merkmal iſt fuͤr die Art nicht weſentlich geweſen, denn weſentliche Charaktere variiren nicht.“ Man bewegte ſich alſo in einem offenbaren Zirkelſchluß, und die Naivitaͤt iſt wirklich erſtaunlich, mit der dieſe Kreisbewegung der Artdefinition in Tauſenden von Buͤchern als unumſtoͤßliche Wahrheit hingeſtellt und immer noch wiederholt wird.
Ebenſo wie dieſer, ſo ſind auch alle uͤbrigen Verſuche, welche man zu einer feſten und logiſchen Begriffsbeſtimmung der organiſchen „Spe- cies“ gemacht hat, voͤllig fruchtlos und vergeblich geweſen. Der Natur der Sache nach kann es nicht anders ſein. Der Begriff der Species iſt ebenſo gut relativ, und nicht abſolut, wie der Begriff der Varietaͤt, Gattung, Familie, Ordnung, Claſſe u. ſ. w. Jch habe dies in meiner Kritik des Speciesbegriffs in meiner generellen Morphologie ausfuͤhr- lich nachgewieſen (Gen. Morph. II. 323 — 364). Jch will mit dieſer unerquicklichen Eroͤrterung hier keine Zeit verlieren, und nur noch ein paar Worte uͤber das Verhaͤltniß der Species zur Baſtard- zeugung ſagen. Fruͤher galt es als Dogma, daß zwei gute Arten niemals mit einander Baſtarde zeugen koͤnnten, welche ſich als ſolche fortpflanzten. Man berief ſich dabei faſt immer auf die Baſtarde von Pferd und Eſel, die Maulthiere und Mauleſel, die in der That ſelten oder faſt niemals ihre Art fortpflanzen koͤnnen. Allein ſolche un- fruchtbare Baſtarde ſind, wie ſich herausgeſtellt hat, ſeltene Ausnah- men, und in der Mehrzahl der Faͤlle ſind Baſtarde zweier ganz ver-
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Begriffsbeſtimmung der Art oder Species.
Art feſtzuſtellen. Was eigentlich eine „echte oder gute Species“ ſei, dieſe
Frage vermag kein Naturforſcher zu beantworten, trotzdem ganze Bi-
bliotheken uͤber die Frage geſchrieben worden ſind, ob dieſe oder jene
beobachtete Form eine Species oder Varietaͤt, eine wirklich gute oder
ſchlechte Art ſei. Die verhaͤltnißmaͤßig beſte und vernuͤnftigſte Ant-
wort auf dieſe Frage war noch immer folgende: „Zu einer Art gehoͤren
alle Jndividuen, die in allen weſentlichen Merkmalen uͤbereinſtimmen.
Weſentliche Speciescharaktere ſind aber ſolche, welche beſtaͤndig oder
conſtant ſind, und niemals abaͤndern oder variiren.“ Sobald nun
aber der Fall eintrat, daß ein Merkmal, das man bisher fuͤr weſent-
lich hielt, dennoch abaͤnderte, ſo ſagte man: „Dieſes Merkmal iſt fuͤr
die Art nicht weſentlich geweſen, denn weſentliche Charaktere variiren
nicht.“ Man bewegte ſich alſo in einem offenbaren Zirkelſchluß, und
die Naivitaͤt iſt wirklich erſtaunlich, mit der dieſe Kreisbewegung der
Artdefinition in Tauſenden von Buͤchern als unumſtoͤßliche Wahrheit
hingeſtellt und immer noch wiederholt wird.
Ebenſo wie dieſer, ſo ſind auch alle uͤbrigen Verſuche, welche man
zu einer feſten und logiſchen Begriffsbeſtimmung der organiſchen „Spe-
cies“ gemacht hat, voͤllig fruchtlos und vergeblich geweſen. Der Natur
der Sache nach kann es nicht anders ſein. Der Begriff der Species iſt
ebenſo gut relativ, und nicht abſolut, wie der Begriff der Varietaͤt,
Gattung, Familie, Ordnung, Claſſe u. ſ. w. Jch habe dies in meiner
Kritik des Speciesbegriffs in meiner generellen Morphologie ausfuͤhr-
lich nachgewieſen (Gen. Morph. II. 323 — 364). Jch will mit dieſer
unerquicklichen Eroͤrterung hier keine Zeit verlieren, und nur noch ein
paar Worte uͤber das Verhaͤltniß der Species zur Baſtard-
zeugung ſagen. Fruͤher galt es als Dogma, daß zwei gute Arten
niemals mit einander Baſtarde zeugen koͤnnten, welche ſich als ſolche
fortpflanzten. Man berief ſich dabei faſt immer auf die Baſtarde von
Pferd und Eſel, die Maulthiere und Mauleſel, die in der That ſelten
oder faſt niemals ihre Art fortpflanzen koͤnnen. Allein ſolche un-
fruchtbare Baſtarde ſind, wie ſich herausgeſtellt hat, ſeltene Ausnah-
men, und in der Mehrzahl der Faͤlle ſind Baſtarde zweier ganz ver-
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Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868, S. 221. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_schoepfungsgeschichte_1868/242>, abgerufen am 29.06.2024.
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