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Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868.

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Musikalische Zuchtwahl im Kampf um die Fortpflanzung.
kämpfen sind aber bei der geschlechtlichen Auslese auch die mehr mit-
telbaren Wettkämpfe von großer Wichtigkeit, welche auf die Neben-
buhler nicht minder umbildend einwirken. Diese bestehen vorzugs-
weise darin, daß das werbende Geschlecht dem anderen zu gefallen
sucht, durch äußeren Putz, durch Schönheit, oder durch eine melodische
Stimme. Darwin meint, daß die schöne Stimme der Singvögel
wesentlich auf diesem Wege entstanden ist. Bei vielen Vögeln findet
ein wirklicher Sängerkrieg statt zwischen den Männchen, die um den
Besitz der Weibchen kämpfen. Von mehreren Singvögeln weiß man,
daß zur Zeit der Fortpflanzung die Männchen sich zahlreich vor den
Weibchen versammeln und vor ihnen ihren Gesang erschallen lassen,
und daß dann die Weibchen denjenigen Sänger, welcher ihnen am
besten gefällt, zu ihrem Gemahl erwählen. Bei anderen Singvögeln
lassen die einzelnen Männchen in der Einsamkeit des Waldes ihren
Gesang ertönen, um die Weibchen anzulocken, und diese folgen dem
anziehendsten Locktone. Ein ähnlicher musikalischer Wettkampf, der
allerdings weniger melodisch ist, findet bei den Cikaden und Heu-
schrecken statt. Bei den Cikaden hat das Männchen am Unterleib
zwei trommelartige Jnstrumente und erzeugt damit die scharfen zir-
penden Töne, welche die alten Griechen seltsamer Weise als schöne
Musik priesen. Bei den Heuschrecken bringen die Männchen, theils
indem sie die Hinterschenkel wie Violinbogen an den Flügeldecken rei-
ben, theils durch Reiben der Flügeldecken an einander Töne hervor,
die für uns allerdings nicht melodisch sind, die aber den weiblichen
Heuschrecken so gefallen, daß sie die am besten geigenden Männchen
sich aussuchen.

Bei anderen Jnsecten und Vögeln ist es nicht der Gesang oder
überhaupt die musikalische Leistung, sondern der Putz oder die Schön-
heit des einen Geschlechts, welche das andere anzieht. So finden wir,
daß bei den meisten Hühnervögeln die Hähne durch Hautlappen auf
dem Kopfe sich auszeichnen, oder durch einen schönen Schweif, den sie
radartig ausbreiten, wie z. B. der Pfau und der Truthahn. Auch
der prachtvolle Schweif des Paradiesvogels ist eine ausschließliche

Muſikaliſche Zuchtwahl im Kampf um die Fortpflanzung.
kaͤmpfen ſind aber bei der geſchlechtlichen Ausleſe auch die mehr mit-
telbaren Wettkaͤmpfe von großer Wichtigkeit, welche auf die Neben-
buhler nicht minder umbildend einwirken. Dieſe beſtehen vorzugs-
weiſe darin, daß das werbende Geſchlecht dem anderen zu gefallen
ſucht, durch aͤußeren Putz, durch Schoͤnheit, oder durch eine melodiſche
Stimme. Darwin meint, daß die ſchoͤne Stimme der Singvoͤgel
weſentlich auf dieſem Wege entſtanden iſt. Bei vielen Voͤgeln findet
ein wirklicher Saͤngerkrieg ſtatt zwiſchen den Maͤnnchen, die um den
Beſitz der Weibchen kaͤmpfen. Von mehreren Singvoͤgeln weiß man,
daß zur Zeit der Fortpflanzung die Maͤnnchen ſich zahlreich vor den
Weibchen verſammeln und vor ihnen ihren Geſang erſchallen laſſen,
und daß dann die Weibchen denjenigen Saͤnger, welcher ihnen am
beſten gefaͤllt, zu ihrem Gemahl erwaͤhlen. Bei anderen Singvoͤgeln
laſſen die einzelnen Maͤnnchen in der Einſamkeit des Waldes ihren
Geſang ertoͤnen, um die Weibchen anzulocken, und dieſe folgen dem
anziehendſten Locktone. Ein aͤhnlicher muſikaliſcher Wettkampf, der
allerdings weniger melodiſch iſt, findet bei den Cikaden und Heu-
ſchrecken ſtatt. Bei den Cikaden hat das Maͤnnchen am Unterleib
zwei trommelartige Jnſtrumente und erzeugt damit die ſcharfen zir-
penden Toͤne, welche die alten Griechen ſeltſamer Weiſe als ſchoͤne
Muſik prieſen. Bei den Heuſchrecken bringen die Maͤnnchen, theils
indem ſie die Hinterſchenkel wie Violinbogen an den Fluͤgeldecken rei-
ben, theils durch Reiben der Fluͤgeldecken an einander Toͤne hervor,
die fuͤr uns allerdings nicht melodiſch ſind, die aber den weiblichen
Heuſchrecken ſo gefallen, daß ſie die am beſten geigenden Maͤnnchen
ſich ausſuchen.

Bei anderen Jnſecten und Voͤgeln iſt es nicht der Geſang oder
uͤberhaupt die muſikaliſche Leiſtung, ſondern der Putz oder die Schoͤn-
heit des einen Geſchlechts, welche das andere anzieht. So finden wir,
daß bei den meiſten Huͤhnervoͤgeln die Haͤhne durch Hautlappen auf
dem Kopfe ſich auszeichnen, oder durch einen ſchoͤnen Schweif, den ſie
radartig ausbreiten, wie z. B. der Pfau und der Truthahn. Auch
der prachtvolle Schweif des Paradiesvogels iſt eine ausſchließliche

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[215/0236] Muſikaliſche Zuchtwahl im Kampf um die Fortpflanzung. kaͤmpfen ſind aber bei der geſchlechtlichen Ausleſe auch die mehr mit- telbaren Wettkaͤmpfe von großer Wichtigkeit, welche auf die Neben- buhler nicht minder umbildend einwirken. Dieſe beſtehen vorzugs- weiſe darin, daß das werbende Geſchlecht dem anderen zu gefallen ſucht, durch aͤußeren Putz, durch Schoͤnheit, oder durch eine melodiſche Stimme. Darwin meint, daß die ſchoͤne Stimme der Singvoͤgel weſentlich auf dieſem Wege entſtanden iſt. Bei vielen Voͤgeln findet ein wirklicher Saͤngerkrieg ſtatt zwiſchen den Maͤnnchen, die um den Beſitz der Weibchen kaͤmpfen. Von mehreren Singvoͤgeln weiß man, daß zur Zeit der Fortpflanzung die Maͤnnchen ſich zahlreich vor den Weibchen verſammeln und vor ihnen ihren Geſang erſchallen laſſen, und daß dann die Weibchen denjenigen Saͤnger, welcher ihnen am beſten gefaͤllt, zu ihrem Gemahl erwaͤhlen. Bei anderen Singvoͤgeln laſſen die einzelnen Maͤnnchen in der Einſamkeit des Waldes ihren Geſang ertoͤnen, um die Weibchen anzulocken, und dieſe folgen dem anziehendſten Locktone. Ein aͤhnlicher muſikaliſcher Wettkampf, der allerdings weniger melodiſch iſt, findet bei den Cikaden und Heu- ſchrecken ſtatt. Bei den Cikaden hat das Maͤnnchen am Unterleib zwei trommelartige Jnſtrumente und erzeugt damit die ſcharfen zir- penden Toͤne, welche die alten Griechen ſeltſamer Weiſe als ſchoͤne Muſik prieſen. Bei den Heuſchrecken bringen die Maͤnnchen, theils indem ſie die Hinterſchenkel wie Violinbogen an den Fluͤgeldecken rei- ben, theils durch Reiben der Fluͤgeldecken an einander Toͤne hervor, die fuͤr uns allerdings nicht melodiſch ſind, die aber den weiblichen Heuſchrecken ſo gefallen, daß ſie die am beſten geigenden Maͤnnchen ſich ausſuchen. Bei anderen Jnſecten und Voͤgeln iſt es nicht der Geſang oder uͤberhaupt die muſikaliſche Leiſtung, ſondern der Putz oder die Schoͤn- heit des einen Geſchlechts, welche das andere anzieht. So finden wir, daß bei den meiſten Huͤhnervoͤgeln die Haͤhne durch Hautlappen auf dem Kopfe ſich auszeichnen, oder durch einen ſchoͤnen Schweif, den ſie radartig ausbreiten, wie z. B. der Pfau und der Truthahn. Auch der prachtvolle Schweif des Paradiesvogels iſt eine ausſchließliche

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Zitationshilfe: Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868, S. 215. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_schoepfungsgeschichte_1868/236>, abgerufen am 26.11.2024.