Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868.Entstehung der secundären Sexualcharaktere durch geschlechtliche Zuchtwahl. der männlichen Jndividuen größer, und wenn die Fortpflanzungszeitherannaht, findet in der Regel ein Kampf zwischen den betreffenden Nebenbuhlern um Erlangung der Thiere des anderen Geschlechts statt. Es ist bekannt, mit welcher Kraft und Heftigkeit gerade bei den höch- sten Thieren, bei den Säugethieren und Vögeln, besonders bei den in Polygamie lebenden dieser Kampf gefochten wird. Bei den Hühner- vögeln, wo auf einen Hahn zahlreiche Hennen kommen, findet zur Erlangung eines möglichst großen Harems ein lebhafter Kampf zwischen den mitbewerbenden Hähnen statt. Dasselbe gilt von vielen Wieder- käuern. Bei den Hirschen und Rehen z. B. entstehen zur Zeit der Fort- pflanzung gefährliche Kämpfe zwischen den Männchen um den Besitz der Weibchen. Der secundäre Sexualcharakter, welcher hier die Männ- chen auszeichnet, das Geweih der Hirsche und Rehe, das den Weibchen fehlt, ist nach Darwin die Folge jenes Kampfes. Hier ist also nicht, wie beim Kampfe um die individuelle Existenz, die Selbsterhaltung, sondern die Erhaltung der Art, die Fortpflanzung, das Motiv und die bestimmende Ursache des Kampfes. Es giebt eine ganze Menge von Waffen, die in dieser Weise von den Thieren erworben wurden, sowohl passive Schutzwaffen als active Angriffswaffen. Eine solche Schutzwaffe ist zweifelsohne die Mähne des Löwen, die dem Weib- chen abgeht; sie ist bei den Bissen, die die männlichen Löwen sich am Halse beizubringen suchen, wenn sie um die Weibchen kämpfen, ein tüchtiges Schutzmittel; und daher sind die mit der stärksten Mähne versehenen Männchen in dem sexuellen Kampfe am Meisten begünstigt. Eine ähnliche Schutzwaffe ist die Wamme des Stiers und der Feder- kragen des Hahns. Active Angriffswaffen sind dagegen das Geweih des Hirsches, der Hauzahn des Ebers, der Sporn des Hahns und der entwickelte Oberkiefer des männlichen Hirschkäfers; alles Jnstru- mente, welche beim Kampfe der Männchen um die Weibchen zur Ver- nichtung oder Vertreibung der Nebenbuhler dienen. Jn den letzterwähnten Fällen sind es die unmittelbaren Vernich- Entſtehung der ſecundaͤren Sexualcharaktere durch geſchlechtliche Zuchtwahl. der maͤnnlichen Jndividuen groͤßer, und wenn die Fortpflanzungszeitherannaht, findet in der Regel ein Kampf zwiſchen den betreffenden Nebenbuhlern um Erlangung der Thiere des anderen Geſchlechts ſtatt. Es iſt bekannt, mit welcher Kraft und Heftigkeit gerade bei den hoͤch- ſten Thieren, bei den Saͤugethieren und Voͤgeln, beſonders bei den in Polygamie lebenden dieſer Kampf gefochten wird. Bei den Huͤhner- voͤgeln, wo auf einen Hahn zahlreiche Hennen kommen, findet zur Erlangung eines moͤglichſt großen Harems ein lebhafter Kampf zwiſchen den mitbewerbenden Haͤhnen ſtatt. Daſſelbe gilt von vielen Wieder- kaͤuern. Bei den Hirſchen und Rehen z. B. entſtehen zur Zeit der Fort- pflanzung gefaͤhrliche Kaͤmpfe zwiſchen den Maͤnnchen um den Beſitz der Weibchen. Der ſecundaͤre Sexualcharakter, welcher hier die Maͤnn- chen auszeichnet, das Geweih der Hirſche und Rehe, das den Weibchen fehlt, iſt nach Darwin die Folge jenes Kampfes. Hier iſt alſo nicht, wie beim Kampfe um die individuelle Exiſtenz, die Selbſterhaltung, ſondern die Erhaltung der Art, die Fortpflanzung, das Motiv und die beſtimmende Urſache des Kampfes. Es giebt eine ganze Menge von Waffen, die in dieſer Weiſe von den Thieren erworben wurden, ſowohl paſſive Schutzwaffen als active Angriffswaffen. Eine ſolche Schutzwaffe iſt zweifelsohne die Maͤhne des Loͤwen, die dem Weib- chen abgeht; ſie iſt bei den Biſſen, die die maͤnnlichen Loͤwen ſich am Halſe beizubringen ſuchen, wenn ſie um die Weibchen kaͤmpfen, ein tuͤchtiges Schutzmittel; und daher ſind die mit der ſtaͤrkſten Maͤhne verſehenen Maͤnnchen in dem ſexuellen Kampfe am Meiſten beguͤnſtigt. Eine aͤhnliche Schutzwaffe iſt die Wamme des Stiers und der Feder- kragen des Hahns. Active Angriffswaffen ſind dagegen das Geweih des Hirſches, der Hauzahn des Ebers, der Sporn des Hahns und der entwickelte Oberkiefer des maͤnnlichen Hirſchkaͤfers; alles Jnſtru- mente, welche beim Kampfe der Maͤnnchen um die Weibchen zur Ver- nichtung oder Vertreibung der Nebenbuhler dienen. 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Entſtehung der ſecundaͤren Sexualcharaktere durch geſchlechtliche Zuchtwahl.
der maͤnnlichen Jndividuen groͤßer, und wenn die Fortpflanzungszeit
herannaht, findet in der Regel ein Kampf zwiſchen den betreffenden
Nebenbuhlern um Erlangung der Thiere des anderen Geſchlechts ſtatt.
Es iſt bekannt, mit welcher Kraft und Heftigkeit gerade bei den hoͤch-
ſten Thieren, bei den Saͤugethieren und Voͤgeln, beſonders bei den in
Polygamie lebenden dieſer Kampf gefochten wird. Bei den Huͤhner-
voͤgeln, wo auf einen Hahn zahlreiche Hennen kommen, findet zur
Erlangung eines moͤglichſt großen Harems ein lebhafter Kampf zwiſchen
den mitbewerbenden Haͤhnen ſtatt. Daſſelbe gilt von vielen Wieder-
kaͤuern. Bei den Hirſchen und Rehen z. B. entſtehen zur Zeit der Fort-
pflanzung gefaͤhrliche Kaͤmpfe zwiſchen den Maͤnnchen um den Beſitz
der Weibchen. Der ſecundaͤre Sexualcharakter, welcher hier die Maͤnn-
chen auszeichnet, das Geweih der Hirſche und Rehe, das den Weibchen
fehlt, iſt nach Darwin die Folge jenes Kampfes. Hier iſt alſo nicht,
wie beim Kampfe um die individuelle Exiſtenz, die Selbſterhaltung,
ſondern die Erhaltung der Art, die Fortpflanzung, das Motiv und
die beſtimmende Urſache des Kampfes. Es giebt eine ganze Menge
von Waffen, die in dieſer Weiſe von den Thieren erworben wurden,
ſowohl paſſive Schutzwaffen als active Angriffswaffen. Eine ſolche
Schutzwaffe iſt zweifelsohne die Maͤhne des Loͤwen, die dem Weib-
chen abgeht; ſie iſt bei den Biſſen, die die maͤnnlichen Loͤwen ſich am
Halſe beizubringen ſuchen, wenn ſie um die Weibchen kaͤmpfen, ein
tuͤchtiges Schutzmittel; und daher ſind die mit der ſtaͤrkſten Maͤhne
verſehenen Maͤnnchen in dem ſexuellen Kampfe am Meiſten beguͤnſtigt.
Eine aͤhnliche Schutzwaffe iſt die Wamme des Stiers und der Feder-
kragen des Hahns. Active Angriffswaffen ſind dagegen das Geweih
des Hirſches, der Hauzahn des Ebers, der Sporn des Hahns und
der entwickelte Oberkiefer des maͤnnlichen Hirſchkaͤfers; alles Jnſtru-
mente, welche beim Kampfe der Maͤnnchen um die Weibchen zur Ver-
nichtung oder Vertreibung der Nebenbuhler dienen.
Jn den letzterwaͤhnten Faͤllen ſind es die unmittelbaren Vernich-
tungskaͤmpfe der Nebenbuhler, welche die Entſtehung des ſecundaͤren
Sexualcharakters bedingen. Außer dieſen unmittelbaren Vernichtungs-
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